Der Thälmannpark, der Ex-Güterbahnhof und alternative Fakten


 

Unglaubliches ist geschehen: Die Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen ist möglicherweise dem Begehren eines Berliner Immobilienmoguls, zu seinen Gunsten in einen politischen Willenbildungsprozess einzugreifen, nicht unverzüglich nachgekommen.
Das Echo bei einigen Zeitungen war bemerkenswert. Vor allem, weil das Missfallen der Autoren über diesen Vorgang mit einem… nun ja… sehr freien Umgang mit den Tatsachen verknüpft war.

Die Prenzlberger Stimme macht den Faktenchek

Keine neuen Wohnungen am Thälmannpark„, titelte der Tagesspiegel am 1. November. In einer am 26. Oktober online gestellten, mittlerweile vom Netz genommenen Meldung, wurde verbreitet; der Senat habe am Thälmannpark Wohnungsbau geplant.

 
Die Fakten:

1. Der Senat plante und plant am Thälmannpark nichts. Die Planungen sind dort, wie auch auf dem angrenzenden Gelände, einzig Sache des Bezirks.

2. Es werden neue Wohnungen am Thälmannpark gebaut. Die Bezirksverordnetenversammlung fasste am 28. Juni einen Beschluss, in dem es ausdrücklich heißt: „Die Bebauung soll blockrandbildend der Greifswalder Straße folgen und sich in der Lilli-Henoch-Straße – ebenfalls blockrandbildend – rücksichtsvoll in die Wohnqualität der Bestandsbebauung einfügen.“
 
3. Die immer wieder genannte Zahl 600 ist in mehrfacher Hinsicht falsch.
Sie ist einer Powerpoint-Präsentation entnommen, die der damalige Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner anstelle einer eigentlich angekündigten Machbarkeitsstudie präsentierte. Diese Präsentation entbehrte allerdings jeglicher Ansprüche, die an eine solche Studie gestellt werden. Somit ist nicht einmal klar, ob dort unter verträglichen Umständen überhaupt 600 Wohnungen entstehen könnten.

Ein Städtebaulicher Wettbewerb zu einer verträglichen Bebauung wurde von Kirchner zwar angekündigt, die Ankündigung aber später mit der Bemerkung zurückgezogen, dies sei ein „Missverständnis“ gewesen. Es liegt also bisher kein belastbares Papier darüber vor, ob 600 Wohnungen auf dem Areal überhaupt möglich sind.

4. In dem genannten Artikel heißt es:

„Nur eine Bebauung der kleineren gegenüberliegenden Fläche mit 130 Wohnungen durch die städtische Gewobag wurde in Aussicht gestellt. Doch auch dazu wird es wohl nicht kommen, weil das Vorhaben nun zu klein für einen Bebauungsplan ist.“

Der Eindruck, den der Autor vermittelt, dass es sich um zusätzliche Wohnungen handelt, die nicht in der Zahl 600 enthalten sind, ist falsch. Auch die Zahl 130 ist fiktiv. Festgelegt ist lediglich die eine Bruttogeschossfläche von maximal 9.750 m².

Selbst noch in einem am 3. November veröffentlichten Interview mit der bündnisgrünen Fraktionschefin Antje Kapek behauptet Tagesspiegel-Autorin Sabine Beikler:

„Ein Investor wollte mit der Gewobag 600 Mietwohnungen am Thälmann-Park bauen. Der Bezirk will das nicht, der Senat könnte das Verfahren an sich ziehen, macht es aber nicht. Jetzt kommt als Zwischennutzung wohl erst einmal ein Recyclinghof dahin.“

Die Wiederholung der nachweislich falschen Zahl lässt einen Unwillen zur Kenntnisnahme der Tatsachen vermuten. Auch die Behauptung mit dem Recyclinghof ist unzutreffend.

5. Völliger Unsinn ist die Darstellung, dass das zu bebauende Areal „zu klein“ für einen Bebauungsplan ist.
Die Erfordernisse eines B-Plans hängen nicht von der Größe des Grundstücks ab. Die Frage ist hier lediglich, ob es an dieser Stelle eines Bebauungsplanes bedarf, weil es sich um unbeplantes Gebiet handelt, oder ob der Bau ohne B-Plan nach § 34 des Baugesetzbuches errichtet werden kann, in dem es heißt:

Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. (…)“.
 

Illegales Gewerbe

6. „Eine Unwägbarkeit bleibt aus Sicht der Anwohner aber: Nach dem Lückenschlussprinzip wären weiter Gewerbebauten auf dem Industrieareal möglich, dagegen gäbe es rechtlich keine Handhabe. ‚Darüber würde im Bauamt entschieden werden, da sehe ich dann kein gravierendes Hindernis‘, sagt Vollrad Kuhn.
(…)
„Schon bald könnte neben dem (Event-Unternehmen – ODK) ‚Von Greifswald‘ ein Autohandel oder ein Schrottplatz entstehen. ‚Wir müssen ja die Kosten reinholen‘, sagt Gérôme. ‚Aber es ist ein Skandal, dass Frau Lompscher trotz der Wohnungsnot hier offenbar lieber einen Recyclinghof will.‘

Auch das ist Unsinn. Das Güterbahnhofsgelände ist unbeplantes Gebiet, auf dem nichts ohne baurechtliche Genehmigung der Gemeinde errichtet und betrieben werden darf.

Solange der Güterbahnhof als „privilegiertes Eisenbahngelände“ galt, war jede andere Nutzung, die nicht zum Betrieb der Eisenbahnanlagen gehört illegal. Bereits 1998 stellte das Bundesverwaltungsgericht in einem Beschluss klar:

„Der aus dem Eisenbahnneuordnungsgesetz vom 27.12.1993 abgeleitete gesetzliche Auftrag, nicht mehr für Eisenbahnzwecke benötigte Grundstücke zur Finanzierung der Eisenbahn des Bundes zu verwerten, rechtfertigt keine Verletzung der Planungshoheit der Gemeinden.“

Genau diese Verletzung der Planungshoheit der Gemeinde war bereits gegeben, als die Deutsche Bahn noch vor der Entwidmung dort bahnfremdes Gewerbe – z.B. einen Stoff- und n Getränkehändler – in den nicht mehr genutzten Güterschuppen zuließ.

Mit der Entwidmung des einstigen Güterbahnhofs ist das Areal baurechtlich unbeplantes Außengebiet. Das heißt, ohne entsprechende Beplanung darf da gar nichts stattfinden – und die Gemeinde ist auch nicht verpflichtet, irgend etwas zuzulassen. Damit ist auch die Drohung mit der Errichtung eines Auto- oder Schrotthandels irrelevant.
Folgerichtig erklärte der seinerzeitige Stadtentwicklungsstadtrat Jens-Holger Kirchner am 25. März 2015 vor der Pankower Bezirksverordnetenversammlung:

„Ein im Verlauf des Jahres 2011 vom Erwerber beabsichtigtes Einzelhandelsvorhaben erwies sich gemäß § 34 BauGB ebenso wenig durchführbar wie eine am 18.11.2011 per Vorbescheid abgefragte Wohnanlage aus Hoch- und Reihenhäusern.”

Der Eigentümer hatte dagegen keinen Widerspruch eingelegt – wohl in dem Wissen um die Rechtslage.

Vielmehr stellt sich die Frage, warum das Bezirksamt das dort illegal angesiedelte Gewerbe weiterhin duldet und auch nichts gegen die Neuansiedlung des Event-Veranstalters „von Greifswald“ unternimmt.
Die Event-Veranstalter jedenfalls waren vorsichtig genug, das Anmelden ihres Gewerbes ein Jahr lang zu „vergessen“ – was erst durch eine Kleine Anfrage des Pankower SPD-Fraktionsvorsitzenden Roland Schröder offenbar wurde.

 

Fragwürdige Zahlen, unkommentiertes Gejammer

7. Einen Tag später, am 2. November, überschreibt die „Berliner Morgenpost“ einen Artikel zum Thema mit einer ähnlich irreführende Überschrift: „Senat und Bezirk verhindern 600 Wohnungen in Prenzlauer Berg„.
Innerhalb des Artikels wird dann aber klargestellt, dass es sich gar nicht um 600 Wohnungen handelt.

8. Am 3. November titelte die Morgenpost „Thälmannpark: Gewobag baut nur 120 Wohnungen„.
Auch das ist zumindest unkorrekt, denn die Anzahl der Wohnungen steht – siehe oben – noch gar nicht fest.

9. Der Artikel selbst stellt ungeprüft, unkommentiert und ohne Einordnung die Sichtweise des Eigentümers der ehemaligen Bahnimmobilie Christian Gerome in den Vordergrund.

– “ Tatsächlich verzichtet Berlin damit auf den Bau von 470 Wohnungen.“
– „Auf unserem Gebiet sollten weitere 117 mietpreisgebundene Wohnungen für die Gewobag entstehen, die nun verhindert werden.“
– Nach dem Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung, ist bereits fest vereinbart gewesen, dass 25 Prozent der geplanten 470 Wohnungen für die Gewobag errichtet werden.“

 

Die Fakten:

Es gibt keine verbindlichen Vereinbarungen zwischen dem Grundstückseigentümer und dem Bezirksamt. Weder über den Bau von Wohnungen, logischerweise dann auch nicht über deren Anzahl, noch über weiter gehende Modalitäten.
Es gibt nicht einmal formale eine Bauvoranfrage des Eigentümers.
Es hatten lediglich Gespräche stattgefunden, bei denen mehrere Modelle des Eigentümers diskutiert wurden. Keines der Modelle hatte es auch nur zu einer verbindlichen Vorvereinbarung geschafft.

10. In selben Artikel lässt Morgenpost-Autorin Isabell Jürgens Grundstückseigentümer Christian Gérôme unkommentiert lamentieren:

– „Es ist doch absolut unverständlich, dass hier Wohnraum für 2000 Menschen einfach blockiert wird“

– „Vielleicht sollte man aber auch mal die Menschen in Prenzlauer Berg befragen, die händeringend eine Wohnung für ihre Familie suchen“
 
Die Fakten:

Laut Statistisches Landesamt wurden allein vom 1. Januar bis 31 August 2017 1.475 Baugenehmigungen zum Bau von Wohnungen mit einer Gesamtfläche von 129.630 m². Nicht wenige davon betrafen Prenzlauer Berg.

Und hier liegt das Problem.

Bereits jetzt herrscht in dem am Thälmannpark angrenzenden Kiezen ein Mangel, an Kita- und Schulplätzen, gibt es dort – gemessen an der steigenden Bewohnerzahl – zuwenig Spielplätze, Jugendfreizeiteinrichtungen und freie Sportplätze. Die Sportvereine, wie zum Beispiel Rotation Prenzlauer Berg, können kaum noch Kinder aufnehmen – wegen Platzmangels.

Dies soziale Infrastruktur hinkt dem Wohnungsbau in Prenzlauer Berg immer mehr hinterher. Die zentral gelegene Fläche des Güterbehnhofs Greifswalder Straße ist die letzte größere, zentral gelegene unbebaute Fläche in der weiteren Umgebung.

Bemerkenswerter Weise erwähnen alle hier zitierten Artikel zwar den Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung, ohne ihn aber zu zitieren. Dort heißt es:

„Auf Flächen im Bereich des ehemaligen Güterbahnhofs Greifswalder Straße werden Erfordernisse sowohl in den Bereichen öffentliche Infrastruktur und Grünflächen, als auch im Bereich Wohnungsbau miteinander verbunden umgesetzt“

Stattdessen: Das unkommentierte Gejammer eines Immobilieneigentümers, der um den Gewinn für sein preiswert erworbenes Grundstück fürchtet.

 

 


 

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