Klosettrevolution

 

Man weiß es ja nicht.

Vielleicht sollte man mal einen Experten befragen. So, wie es das ZDF-Morgenmagazin immer macht: „Zugeschaltet ist jetzt Professor Dr. wc Uri Nahl, Toilettologe an der Universität Darmstadt und Genius Lokus der Bedürfnisanstalt des öffentlichen Rechts in Pissen/Sachsen-Anhalt…“
 
Gesichert scheint, dass die alten Römer – also die ganz alten – wohl noch nicht so pingelig waren, wie ihre Nachnachnach-Nachfahren.
So hat man zum Beispiel bei Ausgrabungen von Toilettenanlagen in Ostia (Foto oben) keinerlei Trennung der Geschlechter beim Betreiben öffentlicher Bedürfnisanlagen feststellen können. Im Gegenteil: Die Verrichtung der Notdurft hatte damals offenbar einen gesamtgesellschaftlichen Charakter. Es liegt daher nahe, dass der Beriff „öffentliche Sitzung“ in jener Zeit geprägt wurde.

Aborterker…- wer gerade unten vorbei kam, hatte Pech gehabt
Foto: AxelHH

Auch später, im Mittelalter, machte man sich um die toillettenmäßige Trennung der Geschlechter nicht wirklich Gedanken. Da herrschten auch in Klosettangelegenheiten äußerst rauhe Sitten.

In den Burgen, die sich nicht selten auf einer Anhöhe befanden, führte der Abfluss unter dem Sitz direkt ins Freie. Wer da zum richtigen – korrekter: falschen – Zeitpunkt unten lang lief… – tja.

Zu Zeiten von Barock und Rokoko wurde zwar eine Unzahl wunderschöner Schlösser mit prunkvollen Sälen und Gemächern gebaut – was die genialen Baumeister aber allesamt vergaßen, waren die stillen Örtchen. Was sich gerade bei den damals häufiger vorkommenden großen Gelagen der Schlosseigentümer nachteilig bemerkbar machte.
Denn die unzureichende Ausstattung hatte zur Folge, dass für die Notdurft ohne Hemmungen Korridore, Flure, Raumecken, Eingänge und Durchfahrten sowie Höfe, Gärten und Parkanlagen benutzt wurden.
Verhaltensweisen also, wie sie auch heute noch in einigen Berliner Partyzonen anzutreffen sind.
 

Unisex (nicht Uni-Sex!)

Die Aufteilung in Männer- und Frauentoiletten dürfte erst im Biedermeier – einer Zeit der verschärften Gschamigkeit – in Mode gekommen sein. Da wurde scharf getrennt – die Männlein rechts, die Damen links. So, wie wir es auch heute noch kennen. Doch die Biedermeierzeit liegt ja auch schon wieder fast zwei Jahrhunderte zurück. Zeit also, Neues zu wagen. Oder Altes aufzuwärmen – je nach dem.

Der neue Trend heißt „Unisex“.

Nein, das hat nichts mit körperlicher Liebe an Hochschulen zu tun.
In Sachen Toiletten bedeutet das nur: Ein Klo für alle.
Ob Frau, ob Mann oder beides zugleich oder noch was ganz anderes: Alle sollen, dürfen, müssen (wenn sie müssen) auf der selben Schüssel Platz nehmen. Natürlich nacheinander.

Kann man machen.

Aber wir leben ja in Deutschland – da macht man nicht einfach so. Da geht alles seinen geregelten rechtsstaalich-politischen Verwaltungsgang. Und das kann dauern. Denn Verwaltungen haben viel, sehr viel und ausschließlich Wichtiges zu tun.

Normalerweise.

Weil aber glücklicherweise alle anderen, viel unwesentlicheren Fragen wie Krieg und Frieden, soziale Gerechtigkeit, ausreichend bezahlbarer Wohnraum und so weiter längst gelöst sind, konnten sich Politik und Verwaltung nun mit vollem Einsatz dem letzten, wirklich existenziellen Problem der Menschheit zuwenden: Der Demokratisierung des Stuhlgangs.

 

Revolution in Kreuzberg

Also wurden erst einmal Opfergruppen in das Licht der Öffentlichkeit gehoben, die seit Jahren, Jahrzehnten, Jahrhunderten… – zumindest aber seit der Erfindung der Damen- und Herrentoiletten auf das schändlichste diskriminiert werden, da sie stets nur zwischen zwei Türen wählen können. Obwohl sie doch bei einem dringenden Bedürfnis das dringende Bedürfnis verspüren, durch eine dritte Tür gehen zu müssen. Oder eine vierte.

Garantiert unisextaugliche Reisetoilette, um 1850
Foto: Hermann Junghans

Nachdem das Problembewusstsein der Gesellschaft derart geschärft und somit eine quasi-revolutionäre Situation geschaffen wurde, schlug die Stunde der Volksvertreter. In einem geradezu revolutionären Akt beschloss die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Kreuzberg-Friedrichshain im Jahr 2013 die Einrichtung einer Toilette der dritten Art.

Der Beschluss nahm seinen üblichen Verwaltungsweg. Eine sicher nicht unbeträchtliche Anzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bezirksamtes – die auf Grund permanenter Unterforderung in Jubel darob ausbrachen, endlich mal wieder etwas für ihr Geld tun zu dürfen – prüften den Beschluss auf Gesetzesmäßigkeit, Finanzier- und Realisierbarkeit und gaben schließlich ihr Placet.

Der Damm war gebrochen. Da konnten sich auch die Landesinstitutionen nicht mehr verweigern. Sie wären sonst unweigerlich vom Sturm der Revolution hinweggefegt wurden.

Also fasste das Berliner Abgeordnetenhaus im Februar 2015 einstimmig einen Beschluss mit dem Titel „Hürden im Alltag beseitigen – Unisextoiletten in öffentlichen Gebäuden einrichten“.

 

TaskForce Klothilde

Bei diesem historisch zu nennenden Willensakt aller Abgeordneten von CDU bis Linkspartei ging es natürlich nicht bloß darum, mal eben an ein paar Türen die Schildchen auszuwechseln.

„Zunächst prüft der Senat“, ist dann auch in einem Flyer der Landesregierung zu lesen, „welche Toiletten in öffentlichen Gebäuden durch einen Wechsel der Beschriftung in Unisextoiletten umgewandelt werden können.“

Vermutlich wurde eine größere Arbeitsgruppe („TaskForce Klothilde“) gebildet, die – versehen mit einem vom Regierenden Bürgermeister, dem Finanzsenator und der Inegrationssenatorin unterschriebenen Dienstreiseauftrag – sämtliche im Bereich aller Senatsbehörden befindlichen Toilettenstandorte bereiste und daselbst die entsprechenden Örtlichkeiten durch Inaugenscheinnahme und Probesitzen auf Unisextauglichkeit untersuchte.

Nach der Auswertung der Ergebnisse sahen sich die Mitarbeiter von „Klothilde“ mit einem weiteren schwerwiegenden Problem konfrontiert, wie die „Berliner Zeitung“ zu berichten wusste:

„Lange hat man (…) auch über neue Piktogramme an den Türen nachgedacht. Aber wie stellt man Unisex dar? Findet man eine Darstellung, die Mann und Frau gleichermaßen verkörpert? Zeigt man eine Frau mit oder ohne Rock? Viele Vorschläge wurden verworfen, weil sie selbst schon wieder diskriminierend waren. Übrig blieb nur das Für-Alle-Geschlechter-WC.“

Ende 2015 – nur ein Dreivierteljahr nach dem Parlamentsbeschluss – zeitigte die aufreibende Arbeit von „Klothilde“ erste sichtbare Ergebnisse: Durch das Auswechseln der Schilder an den Türen wurden aus je einer biederen bürgerlichen Damen- und Herrentoilette der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen zwei revolutionäre Gemischtklos.

Selbstverständlich begnügte man sich bei diesem die Welt verändernden Akt nicht damit, einfach mal dem Hausmeister… – nein. Der Bedeutung des Vorganges gemäß, übernahm eine leibhaftige Staatssekretärin die feierliche Umwidmung der Örtchens und schraubte höchstpersönlich das neue „Für alle“-Schild an die Lokustüren.

Mittlerweile hat die Angelegenheit die Staatssekretärsebene längst verlassen.
Anfang Januar teilte der neue Senator für Justiz und Verbraucherschutz Dirk Behrendt mit, er habe eine Machbarkeitsstudie bei der landeseigenen Berliner Immobilienmanagement GmbH in Auftrag gegeben, um herauszufinden, auf welche Weise man in weiteren Senatsbehörden die Schilder an den Klotüren wechseln könnte.
Mit einem Ergebnis, so die Berliner Zeitung, soll Ende März 2017 zu rechnen sein.

Was möglicherweise eine Tippfehler ist.

Schließlich handelt es sich um eine hochkomplexe Problemstellung, die vielleicht nur noch mit der Programmierung automatischer Schließfunktionen von Brandschutztüren eines mittleren Großflughafens zu vergleichen ist.
 

Totalversagen in Pankow

Wenn die Wogen der Revolution ringsum hochschlagen und der revolutionäre Geist sich längst seinen Weg durch die (Landes-)Institutionen gebahnt hat, dann wird er früher oder später auch vor den Pankower Mauern nicht haltmachen. Und wer, wenn nicht die SPD als die Inkarnation des Aufrührertums (wer lacht da?!) wäre dazu berufen, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen?!

„Herr Bezirksverordneter Tannaz Falaknaz…“

Also fragte die sozialdemokratische Bezirksverordnete Tannaz Falaknaz – ganz harmlos tuend, sich der subversiven Kraft ihrer Worte aber schwer bewusst – das Bezirksamt: „Wie viele geschlechtsunabhängige Toiletten in öffentlichen Räumen sind dem Bezirksamt bekannt? Wo befinden sich diese im Bezirk?“
Und legte dann gleich noch einmal messerscharf nach:
„Sind geschlechtsunabhängige Toiletten auch in den Räumen der öffentlichen Verwaltung auffindbar?“

Die Pankower Regierung fühlte sich offenbar von der Wucht Angriffs dermaßen getroffen, dass sie erst einmal die Notbremse zog und irritiert um Fristverlängerung für die Beantwortung der Fragen bat.

Den Fragen angemessen – wenn Unisex, dann konsequent! – wurde schließlich nicht nur die Bitte um Fristausdehnung, sondern auch die Antwort auf die Fragen der Politikerin an „Herrn Bezirksverordneten Tannaz Falaknaz“ adressiert.

In dem Schreiben offenbarte die Bezirksverwaltung:

„Auf öffentlichen Straßen- und Grünflächen im Bezirk Pankow gibt es derzeit 21 geschlechtsunabhängige Toiletten. Diese Toiletten werden entsprechend „Toilettenvertrag“ von 1993 von der Fa. WALL betrieben.“

Und:

„In den Bürodienstgebäuden des Bezirksamts Pankow können generell alle als behindertengerecht ausgeschilderten und ausgestatteten Besuchertoiletten geschlechtsunabhängig genutzt werden. Des Weiteren gibt es Toiletten, die einfach mit der Aufschrift „Besucher“ ausgeschildert sind (z. B. Rathaus Pankow) und geschlechtsunabhängig genutzt werden können oder auch im Haus 4 der Fröbelstraße 17, wo bereits eine geschlechtsunabhängige Ausschilderung (Mann und Frau) einer Besuchertoilette erfolgt ist.“

„Unisex“ seit 1993: Wall-Toiletten-Ufo

Unglaublich!

Da wurden also – zum Teil schon vor einem knappen Vierteljahrhundert – etliche „Toiletten für alle“ aufgestellt oder eingerichtet, ohne dass es zuvor öffentlichkeitswirksame Bejammerungen diverser Betroffenengruppen gegeben hatte. Und ohne Anträge und Beschlüsse der Politik, ohne Machbarkeitsstudien und feierlichen Eröffnung durch ranghohe Amtsträger. Ist das noch demokratisch?

Vor allem aber: Wie kommt das Bezirksamt dazu, die Eingangstüren zu den angeblich geschlechtsunabhängigen Toiletten mit dem patriarchalischen und damit zutiefst diskriminierenden Wort „Besucher“ zu versehen?
Müssen sich da nicht Besucherinnen (von BesucherInnen und Besucher*Innen und Besuchx ganz zu schweigen) abgelehnt, ausgegrenzt und verhöhnt vorkommen?

Was ist von einem Bürgermeister (ein Mann!) zu halten, der es nicht einmal schafft, die entsprechenden Türen einfach und diskriminierungsfrei mit „Toiletten für alle Mensch*Innenx aller bekannten, weniger bekannten und unbekannten Geschlechter und auch für alle ander*Innen Mensch*Innenx“ zu versehen?
 
Etwas läuft gründlich schief in Pankow.

 



2 Kommentare zu “Klosettrevolution”

  1. Daniel

    Mrz 13. 2017

    Wegen so einem Scheiss machen die so ein geschiß?
    „Ich piss mir ins Fell!“ oder wie sagt man so schön?

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  2. Fritz Bocks

    Mrz 14. 2017

    Ich weiß jetzt nicht, ob ich lachen oder weinen soll und ob der Verfasser dieses Artikels jetzt sein satirisches Talent unter Beweis stellen wollte. „Pecunia non olet“ hieß es bei den alten Römern. Indes, bei den Penunzen in Pankow gibt es wahrlich wichtere Aufgaben zu lösen.

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