„Für eine menschenwürdige Situation sorgen“


 

Wie schlimm ist die Situation am Bahnhof Pankow und auf dem Garbatyplatz tatsächlich? Und was ist zu tun?
Als sich im Frühjahr dieses Jahres ein von den Abgeordneten Stephan Lenz (CDU/Abgeordnetenhaus), Andreas Otto (Grüne/Abgeordnetenhaus) und Stefan Gelbhaar (Grüne/Bundestag) initiierter „Runder Tisch“ mit gewerbetreibenden Anrainern, Polizei, Ordnungsamt,BVG und S-Bahn dies erörterte, kam man am Ende des Zusammentreffens zu folgendem Ergebnis:
Sowohl der Bahnhof, als auch der Garbatyplatz sind keine unsicheren Orte.

Ärger gab es zuweilen mit deutschen Jugendlichen, die dort an bestimmten Tagen „vorglühten“ und ddanach mehr oder weníger heftig randalierten. Als unerträglich wurde die „Nutzung“ der Fahrradabstellanlagen als Toiletten eingeschätzt.

Unsicherheit verbreitete der Anblick offensichtlich obdachloser Menschen, die dem Anschein nicht aus Deutschland kommen. Aber woher genau? Und was wollen sie hier? Kann man ihnen irgendwie helfen? Vielleicht mit einem Streetworker-Angebot?
 

Kommunikationsproblem zwischen Bezirksamt und Rundem Tisch

Was die Teilnehmer des Runden Tisches nicht wussten: Bereits seit Oktober 2018 bietet der Träger „Horizonte – für Familien – gGmbH“ im Auftrag des Bezirksamtes Straßensozialarbeit in Form einer Erstberatung für Obdachlose an. Der Träger ist in ganz Pankow tätig; Schwerpunktgebiete sind unter anderem der S- und U-Bahnhof Pankow, der Bereich der Schönhauser Allee unter dem Magistratsschirm und der Mauerpark.

Unklar, warum Pankows Sozialstadträtin Rona Tietje (SPD), die im Frühjahr eingeladen war, aber wegen einer zeitgleichen Ausschusssitzung absagte, diese nicht unwesentliche Nachricht dem Runden Tisch vorenthalten hatte. All das, was nun bei der zweiten Zusammenkunft des Runden Tisches erörtert wurde, hätte so bereits im März besprochen und sicher manches auch schon umgesetzt werden können.

 

Treffpunkt hauptsächlich rumänischer Obdachloser

Nun aber gibt Dana Saky, einer der Sozialarbeiter von „Horizonte“, erst einmal Bericht über seine Erfahrungen am Bahnhof: Die Mehrzahl der dort sich einstellenden Menschen sind Rumänen, etwa 40 am der Zahl. Daneben tauchen dort regelmäßig einige deutsche Obdachlose auf, die schon länger auf der Straße leben, sowie Sinti und Roma aus Bulgarien, Rumänien und der Türkei.

Gravierende Probleme gebe es mit diesen Menschen nicht, sagt der Sozialarbeiter. Falls es doch einmal zu Ungelegenheiten komme, habe man bei den am Garbatyplatz ansässigen Handelseinrichtungen eine Telefonnummer hinterlegt,mit denen die Sozialarbeiter gerufen werden können, um etwaige Konflikte zu klären.

 

Kein „Hotspot“ – sinkende Kriminalitätsrate

Hanno Becker vom Polizeiabschnitt 13 bestätigt die Einschätzung des Sozialarbeiters. Es gebe nicht nur keine „Negnativtendenzen“ – die Kriminalität sei in der vergangenen Zeit sogar zurückgegangen. Ladendiebstähle seien rückläufig und auch die Lärmbelästigungen überschreiten nur selten die Grenze zum Strafbaren. Selbst Fahrraddiebstähle werden neuerdings weniger angezeigt – was wohl auf die seit dem ersten Runden Tisch öfter am Garbatyplatz Station machende „Mobile Wache“ zurückzuführen sei.
Insgesamt, so Becker, sei der Bahnhof – gemessen an den zehntausenden Menschen die ihn Tag für Tag passieren – kein krimineller „Hotspot“.

Ähnlich sieht es auch die Mitarbeiterin des am Garbatyplatz beheimateten dm-Marktes – auch wenn sie den Grund nicht zuletzt auf die Anwesenheit der von den Geschäftsanliegern angeheuerte Security-Firma zurückführt.
Früher hätten einige von den Osteuropäern Brennspiritus gekauft – als man bemerkte, dass das Zeug getrunken wurde, habe man das unterbunden. „Ich glaube, die leben heute schon nicht mehr.“
 

Treffpunkt für rumänische Wanderarbeiter

Warum nun aber sich die Menschen gerade am Bahnhof Pankow treffen? „Der Bahnhof Pankow ist das Tor zu Europa“, sagt Dana Saky, was etwas pathetisch klingt.
Doch offenbar ist der Bahnhof so etwas wie eine Anlaufstelle für rumänische Wanderarbeiter. Die würden vor allem in den Sommermonaten von Bauunternehmen für Hilfsarbeiten schwarz angeheuert und bekämen in dieser Zeit wohl auch eine Unterkunft bei den Unternehmen. Werden sie nicht mehr gebraucht, stünden sie buchstäblich wieder auf der Straße.

Das sei besonders im Winter schlimm, denn die Rumänen haben zwar als EU-Bürger das Recht, sich in Deutschland aufzuhalten und hier zu arbeiten – aber kein Recht auf Inanspruchnahme der deutschen Sozialsysteme. Und dazu zählen eben auch die Hilfsmaßnahmen, die für Obdachlose gelten.
Ausnahme ist die Berliner Kältehilfe, die jedem ein Bett und ein Essen garantiert – allerdings scheuen die Rumänen diese Sammelunterkünfte und versuchen sich irgendwie anders zu behelfen – immer hoffend, vielleicht doch noch irgend einen Hilfsjob samt Bleibe zu bekommen.

Eigentlich eine gruselige Vorstellung: Diejenigen, die mit Knochenjobs ein paar Euro damit verdienen, teure Wohnungen zu profitablen Bedingungen für irgendwelche Unternehmen zu errichten, finden für sich selbst nicht mal ein Zimmer mit einem Bett.
 

Möglichkeiten für eine Unterkunft finden

Was also tun? Ihnen helfen, für die arbeitsarme Winterzeit zurück nach Rumänien zu gelangen? Dana Saky winkt ab: Die meisten der hier gestrandeten Rumänen haben keine Papiere mehr. Ein Versuch, sich einen neuen Pass von der rumänischen Botschaft ausstellen zu lassen sei sinnlos: Die Botschaft der Republik Rumänien in Deutschland sei praktisch nicht arbeitsfähig. Anträge würden dort ein Jahr und länger schmoren, ohne dass sich etwas bewege.
Die Menschen irgendwie verdrängen, dorthin wo sie weniger auffallen, will niemand aus der Runde.

Er halte die Regelung, dass EU-Bürger nicht an den deutschen Sozialsystemen partizipieren, grundsätzlich für richtig, sagt der CDU-Abgeordnete Stephan Lenz. Dennoch „müssen wir für eine menschenwürdige Situation sorgen.“
Zum Beispiel eine Möglichkeit finden, dass die Menschen trotz des Ausschlusses von den sozialen Sicherungen deutscher Bürger eine Unterkunft finden. Herauszufinden, wie das zu bewerkstelligen sein, wäre eine Aufgabe für die kommenden Wochen.

Anderes wird unmittelbar erfolgen: Die Verteilung von Hygieneartikel zum Beispiel und die Bestellung von Duschmobilen für Männer und Frauen – organisiert von „Horizonte“.
 

Dringend vonnöten: Eine kostenfreie Toilette

Bleibt ein weiteres großes Problem offen: Der „Missbrauch“ der Fahrradabstellanlagen am Bahnhof als „Ersatztoilette“.
Wenn die anliegenden Gaststätten und Cafés den Obdachlosen vom Bahnhof den Zutritt zu ihren Toiletten verwehren – wo sollen sie sich dann erleichtern?
Ein Dixi-Klo aufstellen? S-Bahn-Sicherheitschef Jörk Pruss hatte beim ersten Runden Tisch halb im Scherz den Prospekt einer Trockentoilette in die Runde gereicht.

Naheliegend wäre aber eigentlich etwas ganz anderes.

Vor fast genau einem Jahr brachte die SPD-Fraktion in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung einen Antrag ein, in dem das Bezirksamt „ersucht“ wurde,

„sich dafür einzusetzen, dass im Bereich der Bahnhöfe Eberswalder Straße und Schönhauser Allee und am S+U Bhf Pankow Pissoirs zum Beispiel gemäß dem Vorbild am Hamburger Hauptbahnhof als Pilotprojekt aufgestellt werden, und sich dazu mit den Berliner Wasserbetrieben, der BVG und weiteren Akteurinnen und Akteuren abzustimmen.“

Der Antrag wurde in zwei Ausschüssen beraten und schließlich im auf der BVV-Tagung im März einstimmig angenommen. Im August teilte Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn den Bezirksverordneten in einem „1. Zwischenbericht“ in 573 Wörtern mit, warum das Ansinnen der Bezirksverordneten höchstwahrscheinlich unter Umständen vielleicht nicht oder nicht ganz einfach umzusetzen sei.
 

Abegordnete, S-Bahn und BVG wollen Bezirksamt mit ins (Toiletten)Boot holen

Ähnlich erging es einem Antrag der CDU-Fraktion, in dem das Bezirksamt gebeten wurde, sogenannte wasserlose „Eco-Toiletten“ an bestimmten Orten aufzustellen. Der wurde von der Bezirksverordneten im Februar ebenfalls einstimmig beschlossen und ebenfalls im August mit ähnlicher Bedenkenvielfalt auf Halde gelegt.

Dass der Bezirksstadtrat die Vorgänge nun wieder aus dem Archiv holen muss, erscheint mehr als wahrscheinlich. Denn sowohl die beim Runden Tisch vertretenen Abgeordneten von Bundestag und Abgeordnetenhaus, als auch die Vertreter von S-Bahn und BVG, wollen mit dem Bezirksamt dringend darüber sprechen, wie man am Garbatyplatz schnell und mit einfachen Mitteln eine kostenfrei nutzbare Toilette installieren kann.

Polizei-Vertreter Hanno Becker ist übrigens von der Wirkung einer solchen Toilette überzeugt: In einem Einsatzgebiet in Reinickendorf stand man vor einiger Zeit vor einem ähnlichen Kot- und Urinproblem. Das Aufstellen einer Toilette hatte das Problem umgehend gelöst.

 


 

Weitere Artikel zum Thema:

 

Problemzone Bahnhof Pankow/Garbatyplatz. Versuch einer Lösung

 



2 Kommentare zu “„Für eine menschenwürdige Situation sorgen“”

  1. Manchmal ein wenig nervig was da so abgeht, aber sonst geht es. ?

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  2. A.

    Okt 02. 2019

    EU-Bürger haben übrigens nur dann ein Aufenthaltsrecht, wenn sie eine gültige Krankenversicherung haben.

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