Pankows Bürgermeister Benn: Gezielter Lockdown statt „Schüsse mit Steinschleudern“

 

Die COVID-19-Infektionszahlen steigen immer schneller. Die Sieben-Tage-Inzidenz – das ist die Neuerkrankungszahl pro 100.000 Einwohner – liegt mittlerweile bei 89,2. An der Spitze der Neuinfektionsrate befindet sich nach wie vor der Bezirk Neukölln mit nunmehr 188,5 erkannten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner, doch auch Pankow mit Inzidenzzahl von 54,2 längst sowohl den Berliner (30), als auch den bundesweit festgelegten Wert von 50 längst gerissen.

Das Reagieren der Berliner Politik erinnert an ein Stochern im Nebel. Zwar werden allerorts alle möglichen Ursachen – junge Party- und alte Kneipengänger, maskenlose U-Bahn-Fahrgäste – für das schnelle Steigen der Infektionszahlen behauptet, doch valide Zahlen über die Hauptansteckungsorte und -gelegenheiten liegen offenbar nicht vor.
Das war wohl auch der Grund dafür, dass das Berliner Verwaltungsgericht die vom Senat erlassene Sperrstunde für unverhältnismäßig erklärt hat. Und während die Berliner Schulverwaltung ein regelmäiges Lüften der geschlossenen Räume in Kitas und Schulen für ausreichend hält, denkt man im Senat andererseits über eine Maskenpflicht auf öffentlichen Straßen und Plätzen nach. Zwar gibt es offenbar auch keine Hinweise dafür, dass sich das Virus im Freien bei frischem Herbstwind besonders heftig verbreitet – aber egal, Hauptsache man tut überhaupt irgend etwas.
 

„Waldbrand mit multiplen Glutnestern“

Was offenbar noch nicht in Köpfe der Entscheidungsträger gedrungen ist: Die nun anrollende Welle unterscheidet sich in ihrer Ausbreitung von der ersten diametral.
Bereits Anfang August schrieb der Berliner Virologe Christian Drosten in der „Zeit“:

„Während das Virus mit der ersten Welle in die Bevölkerung eingedrungen ist, wird es sich mit der zweiten Welle aus der Bevölkerung heraus verbreiten. Denn in der Zwischenzeit hat es sich immer gleichmäßiger verteilt, über die sozialen Schichten und die Alterskohorten hinweg. Und nach der Urlaubssaison werden wir beobachten, dass sich die Neuansteckungen auch in geografischer Hinsicht gleichmäßiger verteilen werden als bisher.
Das alles hat Konsequenzen für die Verfolgung: Waren bisher die meisten Infektionsketten nachvollziehbar, können neue Fälle bald überall gleichzeitig auftreten, in allen Landkreisen, in allen Altersgruppen. Dann sind die personell schlecht ausgestatteten Gesundheitsämter endgültig damit überfordert, die Quarantäne jeder einzelnen Kontaktperson zu regeln.“

Das ist nun offensichtlich eingetreten. Vor fünf Tagen erklärte der Neuköllner Amtsarzt Nicolai Savaskan im Tagesspiegel, dass sich mittlerweile 70 Prozent der Infektionen nicht mehr zurückverfolgen ließen.

„Stellen Sie sich einen Waldbrand vor: Wir haben nicht mehr einen Brandherd, sondern multiple Glutnester – nicht Dutzende, sondern Hunderte. Die Analyse der Fälle zeigt keine regelhafte Verteilung mehr, keine Cluster. Bei 70 Prozent der Fälle finden wir nicht mehr den Infektionsherd. Was wir jetzt schon in Neukölln erleben, sind nur die Vorboten von dem, was wir wahrscheinlich in allen Metropolen des Landes erleben werden. Neukölln ist der Sensor für das ganze Land.“

 

Lockdown als Instrument, nicht als Katastrophe

Offenbar gibt es also gar nicht mehr d e n oder d i e speziellen Infektionsherde. Wie also mit der neuen Situation umgehen?
Pankows Bezirksbürgermeister Sören Benn /Die Linke) hat da einen bemerkenswerten Vorschlag. Auf Twitter schrieb er, dass ein deutschlandweiter, zwei Wochen andauernder „geordneter & gezielter lockdown im November“ mehr helfen und weniger schaden würde, „als diese Schüsse mit immer mehr Steinschleudern in den dichter werdenden lnfektionsnebel.“
 


 
Und er warnte: Solange ein (kurzer und geplanter) Lockdown nicht als Instrument, sondern als Katastrophe und Drohkulisse gesehen werde, käme man um einen langen ungeplanten langen wohl kaum vorbei.
 

 

Mit dieser Meinung steht Benn nicht allen. Der Berliner Bürgermeister und Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) antwortete, er hätte einen solche Überlegung schon vor einigen Wochen in der Senatsrunde unterbreitet, doch schien die Zeit dafür noch nicht reif zu sein. Der Tweet des Senators war jedoch kurze Zeit später nicht mehr auffindbar.

Wie dem auch sei: Auf seiner heutigen Sitzung will der Senat über sein weiteres Vorgehen gegen die Corona-Pandemie beraten. Im März war es Senator Lederer, der seine zaudernden Senatskollegen dazu brachte, unverzüglich die Stadt herunterzusfahren, um eine schnelle Ausbreitung des Corona-Virus zu verhindern. Auf die heutigen Beschlüsse des Senats darf man gespannt sein.

 



12 Kommentare zu “Pankows Bürgermeister Benn: Gezielter Lockdown statt „Schüsse mit Steinschleudern“”

  1. ich finde die meisten „Politiker“ hätten einen richtigen Beruf lernen sollen…

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  2. Edgar Lehmann

    Okt 20. 2020

    Machen die Engländer schon und jetzt verkauft er das als seine Idee

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  3. Nicht mein BGM!!!

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  4. „15.42 Uhr: Berlin führt Maskenpflicht für belebte Straßen und Märkte ein
    Zur Eindämmung der Corona-Pandemie sollen die Menschen in Berlin verstärkt eine Maske tragen. Der Senat beschloss am Dienstag eine Maskenpflicht für Bereiche, in denen ein Mindestabstand von 1,5 Meter nicht einzuhalten sei. Das kündigte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) bei der Senatspressekonferenz an. Das betrifft Wochenmärkte, Flohmärkte, Weihnachtsmärkte, besonders belebte Einkaufsstraßen, Shoppingmalls und Warteschlangen. Konkret sind folgende Straßen betroffen: Tauentzien, Wilmersdorfer Straße, Kurfürstendamm, Altstadt Spandau, Schloßstraße, Bergmannstraße, Friedrichstraße, Karl-Marx-Straße, Bölschestraße und Alte Schönhauser Straße.
    Zunächst hatten sich die Senatsmitglieder lediglich auf eine dringende Empfehlung verständigt: Jede Person sei „angehalten“, dort Mund-Nasen-Schutz zu tragen, wo ein Mindestabstand von 1,5 Meter nicht einzuhalten sei. Im Verlauf der Sitzung sei hier jedoch noch einmal nachjustiert worden, hieß es.
    „Wir haben gemerkt, dass es auf den Märkten immer sehr voll ist“, sagte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) im Anschluss Deshalb habe man die MAskenpflicht ausgeweitet, auch auf die belebten Straßen. Zudem gelte die Empfehlung, immer dort, wo es eng werde, eine Maske zu tragen.
    Auch die Regeln für private Feiern werden weiter verschärft. Draußen dürfen sich statt 50 nur noch 25 Menschen treffen, in privaten Bereichen gelte jetzt die allgemeine Regel eigener Haushalt plus fünf Personen oder zwei Haushalte, so Kalayci weiter.
    Zur Sperrstunde sagte Müller, dass diese bis auf die vier klagenden Wirte weiter gelte. Man wolle sie jetzt absichern durch eine Verordnung und eine gesetzliche Grundlage.
    „Ich möchte einen Lockdown verhindern“, sagte Müller zum Vorschlag des Pankower Bürgermeisters für einen temporären Lockdown.“ (BZ)

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  5. Ich halte das für zumindest diskutabel. Gezielte Maßnahmen für bestimmte Zeiträume, gestaffelt, abgestimmt-nennen wir sie halt „lokalen Lockdown“- können ja durchaus sinntiftender sein, als das wirre Gebaren, was sich in den auch heute beschlossenen (noch) nicht vom AGH abgesegneten Vorschriften wiederspiegelt.

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  6. Es ist Grippezeit

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