Belforter Karree:
Bezirk nimmt Erhaltungsverordnung zurück

belfDer Bezirk Pankow wird die Erhaltungsverordnung für die Wohnanlage im Karree Kollwitz-/, Belforter/, Straßburger,/ Metzer Straße zurücknehmen. Dazu wird das Bezirksamt auf der nächsten Bezirksverordnetenversammlung am 5. Juni eine entsprechende Vorlage zur Beschlussfassung einbringen. Grund für diesen Rückzieher ist eine befürchtete Niederlage vor dem Landgericht gegen den Grundstückseigen-
tümer Rainer Bahr und daraus möglicherweise resultierende Schadenersatzansprüche des Immobilieneigners.

Rainer Bahr hatte das Wohnensemble 2010 erworben. Er wollte die aus den frühen 1960er Jahre stammenden Gebäude aufstocken und die vorhandenen Wohnungen modernisieren. Darüber hinaus sollte um die bisher freistehenden Häuser eine Blockrandbebauung hochgezogen und unter dem Hof eine Tiefgarage errichtet werden. Für die Einfügung der Blockrandbebauumg sollten zwanzig Wohnungen des Altbestandes abgerissen werden.

Eigentümer Rainer Bahr

Eigentümer Rainer Bahr

Die mehrheitlich im Seniorenalter befindlichen Mieter, die zum Teil schon seit dem Bau der Häuser dort wohnen, lehnten die Bau- und Sanierungsmaßnahmen ab, weil sie Mietsteigerungen befürchteten, die von ihnen nicht mehr zu schultern sind. Nach den öffentliche Protesten schaltete sich die Bezirkspolitik ein.

Bezirksamt und BVV wollten über den bloßen Mieterschutz hinaus eine weitere Verdichtung im Gebiet um den Kollwitzplatz verhindern. Außerdem sollte nach Ansicht der Bezirkspolitik das Ensemble als als baugeschichtliches Beispiel des DDR-Wohnungsbaus der ausgehenden 1950er Jahre erhalten werden. Auf der Grundlage eines entsprechenden Gutachtens wurde dann im Mai 2011 eine Erhaltungsverordnung beschlossen, die es dem Eigentümer untersagte, wesentliche Veränderungen am bestehenden Bauensemble vorzunehmen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hatte der Verordnung zugestimmt.
 

Erhaltungsverordnung stand nicht zur Disposition

Gegen die Erhaltungsverordnung hatte Immobilieneigentümer Rainer Bahr Frühjahr 2012 beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ein Normenkontrollverfahren angestrengt. Darüber hinaus stad in der ersten Aprilhälfte dieses Jahres ein weiteres Verfahren vor dem Landgericht vor seinem Abschluss. Das Gericht ließ hier erkennen, dass es geneigt ist, der Klage des Eigentümers stattzugeben.

Interessanterweise nicht wegen der von Bahr hauptsächlich beklagten Erhaltungsverordnung, sondern wegen eines Formfehlers in dessen Vorfeld.

Das Bezirksamt hatte mit Zustimmung von Rainer Bahr einen Zurückstellungsbescheid erlassen. Das bedeutet, dass der Antrag auf Bauvorbescheid bis auf weiteres nicht behandelt wird. Als Grund wurde eine öffentliche Anhörung benannt, auf der Bahr für seine Pläne werben wollt. Diese Veranstaltung geriet für ihn jedoch zu einem PR-Desaster.

Rund zwei Wochen später gab er Bezirk bekannt, dass er eine Erhaltungsverordnung auf den Weg bringen möchte.

Genau dieser Zeitraum bot nun die Angriffsfläche, die ein Urteil zuungunsten des Bezirks bedeutet hätte. Denn während jener Zeit, so die Meinung des Gerichts, sei der Zurückstellungsbescheid grundlos gewesen.

Beide Parteien stellten daraufhin keine Anträge, sondern vereinbarten einen Vergleich zu schließen.
 

Aus Angst vor Schadenersatzforderungen keine Auseinandersetzung bis zur letzten Instanz

Seit drei Woche tagten nun immer wieder der Pankower Stadtentwicklungsausschuss und der Finanzausschuss, um über die Einzelheiten eines möglichen Vergleichs zu beraten. Offebar gaht bei Bezirksamt die Angst um, Entschädigung in Millionenhöhe an Bahr zahlen zu müssen. Der hatte nämlich verlauten lassen, bis zu 15 Millionen Euro zu fordern zu können. Tatsächlich sind aber bisher keine belastbaren Zahlen zu einem möglichen Schaden vorhanden.

Dennoch will der Bezirk das Risiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung bis zur letzten Instanz nicht eingehen. Am heutigen Donnerstag sind noch einmal sowohl Finanz- als auch der Stadtentwicklungsausschuss zu einer gemeinsamen, nichtöffentlichen Sitzung zusammengetreten, um die Einzelheiten des Vergleichs zu beraten.
Der wird auf alle Fälle – als Gegengabe für Rainer Bahr – die Aufhebung der Erhaltungssatzung beinhalten. Ein entsprechender Tagesordnungspunkt ist für die Bezirksverordnetenversammlung am kommenden Mittwoch bereits festgelegt.

 

Update 31. Mai:: Ursprünglich wurde her dargestellt, dass sich bei dem die Rücknahme der Erhaltungsverordnung auslösenden Rechtsstreit um jenes vor dem Oberverwaltungsgericht handelte. Richtig ist, das es sich um die Auseinandersetzung beim Landgericht handelt. Mittlerweile ist auch die umfängliche Begründung des Bezirksamtes zur vorgesehenen Rücknahme der Erhaltungsverordnung veröffentlicht worden, die hier abrufbar ist.

 

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9 Kommentare zu “Belforter Karree:
Bezirk nimmt Erhaltungsverordnung zurück”

  1. fly

    Mai 31. 2013

    Da weise ich nach langer Abwesenheit doch gerne auf meinen Eintrag vom
    20. Septemberr 2010 hin:

    „Erschüttert bin ich über die Reaktionen einiger Lokalpolitiker, die das Projekt in der BVV durch ihre vorherigen Beschlüsse ja erst möglich gemacht haben. Nun betreiben sie Wahlkampf und werden durch den zweifelhaften Beschluss der BVV zur Veränderungssperre das Projekt höchstens verzögern. Gleichzeitig wird dieser Populismus das ohnehin klamme Land Berlin noch viel Schadensersatz kosten, da die Sperre in einem Normekontrollverfahren juristisch kaum haltbar ist.“

    Das wollte man ja hier nicht wahrhaben und hat lieber weiter munter juristisch
    unhaltbare Behauptungen aufgestellt. Heute klingt der Bericht deutlich defensiver als die journalistischen Sternstunden wie „Der Brief“.

    Hier genügte der Formfehler bei der Erhaltungsverordnung. Wie jedes Gericht prüft übrigens auch das OVG nicht weiter, wenn es einen Fehler findet, der die Angelegenheit kippt. Alles andere ist nicht arbeitsökonomisch. Eine Inhaltliche Prüfung der Erhaltungsverordnung wäre ansonsten auch zu deren Rechtswidrigkeit gelangt. Wenn der Bezirk nicht weitermacht, schätzt er seine Chancen offenbar auch selbst nicht so gut ein. Belastbare Zahlen zum Schadensersatz hin oder her.

    Schön, dass die drei Schmuckstücke des „Bauensembles der Jahre 1959/1960“ und ihr „flachgeneigtes Satteldach mit Ziegeldeckung“ und mit den schönen „glänzende(n) Wandverkleidungen oder Werkstoffimitationen“ hier bald nicht mehr das Straßenbild belasten sondern etwas Altbaustil erhalten, wie die Berliner Zeitung heute schreibt.

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  2. suffi

    Jun 04. 2013

    War ja klar jewesen, immer zu Diensten, die Kapitalkellner aus „der Politik“ und natürlich stets bereit die Herrschaftsinteressen zu wahren, „die unabhängige“ Justiz.

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    • fly

      Jun 05. 2013

      Wenn einem die Rechtsmeinung des Gerichts nicht passt, dann ist die Justiz nicht unabhängig… Mir kommen die Tränen!Jetzt ist der Moment gekommen mal ein wenig staatsbürgerlichen Anstand an den Tag zu legen und die Niederlage und den unterschriebenen Vergleich zu respektieren, wenn er rechtskräftig ist. Nicht wie unsere erfolglosen Lokalpolitiker, ich greife hier mal exemplarisch Severin Höhmann von der SPD heraus, die auf facebook immernoch schwadronieren, der „Luxusneubau“ könne vielleicht doch noch verhindert werden aber wie, das sage man „besser nicht öffentlich“. Ho, ho, ho, da sind wir mal alle gespannt. Nicht allen Politikern scheinen die sechsstelligen (über den Daumen gepeilt) Gerichtskosten auf denen der Bezirk trotz Vergleich wohl sitzenbleibt als Abschreckung zu genügen. Die profilieren sich trotz Aussichtslosigkeit noch als Retter der Altmieter und machen diesen nicht erfüllbare Hoffnungen.

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  3. suffi

    Jun 07. 2013

    Die Justiz ist so „unabhängig“, wie sie unter den Kräften die herrschen eben sein kann.

    Was den „Anstand“ angeht, den Sie einfordern @fly, hoffe ich für Sie verdienen wenigstens gehörig mit, sonst wäre es erbärmlich, hier stumpf dieses „System“ wortreich zu verteidigen.

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    • fly

      Jun 07. 2013

      @ suffi

      Ich kann mich an herrschende Kräfte hier im Land erinnern, unter denen die Justiz deutlich weniger unabhängig war als heute. Was die Unabhängigkeit der Justiz angeht, war es ehrlich gesagt nie besser als jetzt. Aber das führt vielleicht etwas zu weit.
      Wenn sich die BVV nicht so dämlich angestellt hätte, müssten wir diese Frage auch gar nicht diskutieren. Ich glaube übrigens, dass man sich mit dem Vergleich schon das nächste Eigentor geschossen hat. Da kommt wieder Schadenersatz auf Pankow zu (fast schon lustig, wie unfähig die Leute dort anscheinend sind, wenn es für unsere Steuergelder etc. nicht immer so weit reichende Konsequenzen hätte).
      Ob man grundsätzlich in der Belforter bauen kann, ist geklärt. Aber noch lange nicht das „wie“. Die Passagen zur Bebauungstiefe und Grenzabstand des Townhauses z.B. halte ich für fragwürdig. Erst recht, wenn man sich die Pläne mal genauer ansieht. Ob 17 m Bebauungstiefe haltbar sind? Habe ich bei einer Lückenschließung so noch nie gesehen. Zur Belforter Straße entsteht für die Bewohner des Altbaus eine riesige Ecke, da das Townhaus ja die Baufluchtlinie zur Straße des Nachbarprojektes von Bahr einhalten soll. Teilweise werden sich Fenster nur etwa 1m20 von der nächsten Brandwand befinden. Auf der Rückseite soll dann die Baufluchtlinie aber nicht gelten. Eckenbildung für das andere Haus. Bauordnungsrechtlich alles sehr zweifelhaft. Aber Vertragsgegenstand. Wird es nicht eingehalten, drohen Forderungen von Econcept. Was hat der Kirchner da wieder unterschrieben? Wer berät den eigentlich?
      Ich bin sicher, bei der genauen Durchsicht der Pläne (wenn sie komplett vorliegen) ergeben sich noch weitere Punkte. Und das sage ich als jemand, der dafür ist, dass dort gebaut wird.

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  4. suffi

    Jun 08. 2013

    @fly – Klingt doch alles schon viel sachlicher, auch wenn ich ihren Verweis auf den Zustand der Justiz gerade nicht teilen kann (und der Hinweis auf dunklere Zeiten ja immer als Entschuldigung für jede Wurschtigkeit herhalten kann).

    Kirchner ist und bleibt beratungsresitent, man schaue sich im von ihm mitverbrochenen Projektdschungel in Pankow um. Diesem Typen könnte man ohne Weiteres ein Sentasresort oder das BMVg überlassen, der hätte „von nichts Kenntnis“ erhalten, wenn mal nachgefragt wird.

    Zur Bebauung: Interessant ist, doch das Econcept/Bahr, machen kann was er will, dabei sollte doch die Gemeinde, der Bezirk Pankow von Berlin, (zumal im Sanierungsgebiet, welches aber aufgehoben wird) Bebauungspläne oder auch Erhaltungssatzungen aufstellen können, ohne von der Justiz hintenrum auf Investorenlinie „gezwungen“ zu werden.

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    • fly

      Jun 09. 2013

      @ suffi

      Bebauungspläne oder Erhaltungssatzungen kann der Bezirk auch aufstellen. Da kann niemand – auch Econcept nicht – machen was er will. Nur muss der Bezirk sich dabei an die dafür geltenden Rechtsgrundlagen halten. Bei der Angelegenheit hier hat er das nicht getan. Und zwar aus eigener Unfähigkeit bzw. weil es für einige Sachen zu spät (Stichwort: VORHER!) war (ich will jetzt nicht in rechtliche Detailausführungen abschweifen). Vielleicht sogar ganz bewusst? Auch das lag aber an der BVV und an sonst niemandem. Nichts anderes ist jetzt bei den Verfahren herausgekommen.
      Diese Fehler des Bezirks kann man jetzt nicht der Justiz zuschieben auch wenn das einige gerne hätten um von Ihrem politischen Versagen abzulenken. Der Bezirk hat mit dem Vergleich sogar noch verhindert, dass seine Vorgehensweise in den restlichen Verfahren auch noch (richtigerweise) als rechtswidrig beanstandet und qualifiziert worden wäre.

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  5. suffi

    Jun 10. 2013

    Ich glaube es war ein ganz praktisches „ganz bewußt“, also einfach eine gerichtlich unhaltbare Erhaltungsverordnung erlassen (zur Beruhigung der Betroffenen und Öffentlichkeit) nachdem klar war, daß 15 Jahre Sanierung keine entsprechende bau- und planungsrechtliche Absicherung vorgenommen wurde. Nun weicht man der gerichtlichen Schadenersatzdrohung und nicht etwa dem Verwaltungs- und Politikversagen in Pankow, der Investor freut sich wie an so manchem Ort im Bezirk. Alles ganz sicher kein Zufall!

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