Angebot und Nachfrage – Selbstgespräche am Helmholtzplatz

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Der Spielplatz war das, was man landläufig als „überlaufen“ bezeichnet. In der Mitte des Helmholtzplatzes, dort, wo ein breiter Asphaltstreifen die Weiterführung der Schliemannstraße imitiert und den Platz in Ost und West teilt, saßen die, die immer da sitzen – mit der Flasche in der Hand, weswegen sie seit Jahr und Tag „die Trinker“ genannt werden.

schlange Die Grasnarbe (mehr Narbe als Gras) auf der östlichen Seite des Platzes, auf dem das Kindercafé-Häuschen steht, war ebenfalls gut besucht. Zudem wand sich von dort eine Menschenschlange in Richtung des asphaltierten Zentrums. Eine Schlange von einer Länge, die Anlass zu der Vermutung gab, ein Händler verkaufe dort Bio-Bananen aus regionalem Anbau.

Es war dann aber doch bloß die Polizei, die dort Station gemacht hatte. Um Fahrräder zu markieren, auf dass sie im Falle eines Diebstahls (durchaus wahrscheinlich) und des späteren Wiederauffindens (weniger wahrscheinlich) dem rechtmäßigen Eigentümer zugeordnet und zurückgegeben werden können.

Am südlichen Ende des Asphalts das Platzhaus. Ein paar Meter davon entfernt hatten sich dessen Betreiber vom Helmholtzplatz e.V. einen Tisch aufgestellt, an dem sie nun saßen und sich von der Sonne bescheinen ließen. Durch die Lücke zwischen Tisch und Platzhaus wand sich der Fahrrad-Mensch-Lindwurm.

kühne1Auch Pankows Bezirksstadtrat für Bürgerservice Torsten Kühne kam vorbei, nicht nur der Radmarkierung wegen, sondern weil er an einer Veranstaltung teilnehmen wollte, die den seltsamen Namen „Blaue Stunde“ trug.
Vielleicht wegen der blauen Uniformen der Polizei und des Ordnungsamtes, die daran teilnehmen würden; vielleicht auch wegen der Trinker – keine Ahnung.
„Die Themen Ordnung und Sicherheit führen immer wieder zu Konflikten und Beschwerden“, stand da auf der am Heck eines Polizeieinsatzwagens angebrachten Ankündigung.
„Konflikte und Beschwerden“ gab es am Helmholtzplatz immer wieder einmal.

 

Die schon immer da waren, blieben einfach da

Am Beginn der 1990er Jahre war der Helmholtzkiez – so wie Prenzlauer Berg überhaupt – eine Gegend, in der rund ein Viertel der Anwohner auf Sozialhilfe angewiesen war. In jener Zeit etablierte sich auf dem Platz die sogenannte „Trinkerszene“, meist Leute, die in der unmittelbaren Umgebung wohnten Treffpunkt war das alte Trafo-Haus und als das später zum Café umgerbaut wurde in der Mitte des Platzes. Da ging es nicht immer leise zu und auch nicht immer ganz friedlich. blau2

Zur Jahrtausendwende, die „Aufwertung“ des Helmholtzkiezes war mitten im Gange, wurden auf dem damals noch recht verwahrlosten Platz auch noch andere rauschfördernde Mittel nicht nur konsumiert, sondern auch recht offen zum Verkauf angeboten. Er war so eine Art vorweggenommener „Görli“ im Kleinen.
Die Polizei erklärte das Areal rund um den Platz zum „gefährlichen Ort“, es gab Überlegungen, die Grünanlage mannshoch einzäunen und bewachen zu lassen.
Etwa zur selben Zeit gründete sich der Verein Helmholtzplatz e.V., der das einstige Toilettenhäuschen zu einem Platzhaus umbaute – auch zusammen mit der dort etablierten Trinkergemeinde.

 

Unterschiedliche Welten

Die Dealer zogen irgendwann weiter, die Trinker aber blieben. Und es zogen neue Anwohner in die angrenzenden Häuser.
Auch der Platz veränderte sein Gesicht, wurde neu gestaltet – angepasst an die Bedürfnisse der Zugezogenen, von denen mancher nun in einer Wohnung logierte, in der vorher möglicherweise der eine oder die andere von jenen wohnte, die sich nun in Sichtnähe die Kante gaben.

idylle1Das passte nicht zusammen.

Äußerlich nicht, und auch die Interessenlagen waren, nun ja, sagen wir mal: recht unterschiedlich.

Die einen wollten des Nachtens Ruhe und am Tag auf dem Platz die Fortsetzung jener Idylle, die sie sich hinter den hell getünchten Fassaden in ihrer viel Geld und einem oft durchaus bemerkenswert hohen Kredit ihrer Bank erworbenen Eigentumswohnung geschaffen haben.
Die anderen wollten da bleiben, wo sie schon immer waren, auch wenn sich ihre Wohnung – so noch vorhanden – mittlerweile in einem anderen Stadtteil befand. Wollten die trotz aller Wandlungen vertraute Umgebung nicht missen; nicht die altvertrauten Gesichter, die so ähnlich gezeichnet waren wie die eigenen.

trinkerWenn die Sonne, die seltsamerweise auch am Helmholtzplatz noch immer entgeltfrei ihre Strahlen verteilt, hinter den Häusern versank und der Pegel dementsprechend stieg, gelang es nicht immer, die zunehmend undeutlicher werdende Aussprache mit erhöhter Lautstärke zu kompensieren. Das führte zuweilen zu Missverständnissen, die dann zu klären waren. Alles kein Drama – solange in der Flasche, die der fahrigen Hand schon mal entgleiten konnte, wirklich nur noch Luft war.

In den Häusern vernahm man all das nur als störenden Lärm, verursacht von unheimlich wirkenden Gestalten aus einer anderen Welt. Die Scherben, in denen dann die Morgensonne funkelte, wurden als gefährliche Möglichkeit drohender Schnittverletzungen wahrgenommen.

trinke2rSo wurde das eine ums andere mal die Polizei gerufen und schließlich und im Frühjahr 2011 ein Brief an das Bezirksamt geschrieben – unterzeichnet von zehn Familien aus der Lette- und Schliemannstraße, in dem unter anderem „lautes Gegröle“ und „Musizieren bis zum Teil fünf Uhr morgens“, freilaufende Hunde und in die Büsche pinkelnde Trinker beklagt wurde.

Bei einem Zusammentreffen mit den Beschwerdeführern im Platzhaus fand Bezirksbürgermeister Matthias Köhne frei herumlaufende Hunde problematisch und die hygienischen Verhältnisse unhaltbar.
Er verwies dabei auch auf die Vielzahl von gebrauchten, in der Grünanlage verstreuten Babywindeln – von Trinkern eher seltener genutzte Utensilien.

Die Beschwerdebürger forderten ein Alkohol-Trink(er)verbot für den Abend und eine ständige abendliche Präsenz von Ordnungsamt und Sozialarbeitern. Der Ordnungsstadtrat, der damals noch Jens-Holger Kirchner hieß, hielt das auf Grund der prekären Personalsituation in seinem Amt für schlicht nicht umsetzbar.

Irgend jemand kam in der Folge sogar auf die Idee, mit den vermeintlichen oder tatsächlichen Verursachern des Neuanwohnerunbills ins Gespräch zu kommen, um so womöglich die aufgelaufenen Konflikte beilegen zu können. Ob es damals dann auch versucht wurde, entzieht sich des Schreibers Kenntnis.

 

Günstige Kriminalitätsentwicklung – schlechtes „Sicherheitsgefühl“

Gegen Ende des Jahres 2014 – der Bevölkerungsaustausch im Kiez war erfolgreich abgeschlossen und die Aufhebung des „Sanierungsstatuts“ für das Gebiet um den Helmholtzplatz stand bevor – überraschte Jens-Holger Kirchner Bezirksverordnete und Betroffene mit der Ankündigung, den Platzhausbetreiber-Vertrag mit dem Helmholtzplatz e.V. zu kündigen. Kirchner – nunmehr Stadtrat für Stadtentwicklung – hatte, wie er meinte, gute Gründe: Anwohner würden sich mehr denn je über abendlich-nächtlichen Lärm beschweren, die Trinker…, Ordnung und Sicherheit…, es sei da eine ganz neue, aggressive Klientel auf dem Platz – und der Helmholtzplatz-Verein tue nichts… .

verhülltHarte Fakten blieb der Stadtrat allerdings schuldig und berief sich stattdessen auf eine Umfrage der Polizei bei den Anwohnern.
Doch auch die Polizei konnte keine konkreten Fakten für die Verschlechterung der Sicherheitslage nachweisen und verwies stattdessen auf eine Anwohnerumfrage, nach der das Sicherheits g e f ü h l der Anrainer gesunken sei. Tatsächlich musste wenig später sogar festgestellt werden,dass die Kriminalitätsentwicklung am Helmholtzplatz deutlich günstiger verlief, als im Berliner Durchschnitt.

Es gab Proteste gegen Kirchners Schnellschuss. Manche vermuteten gar, dass der Bezirksstadtrat zum Ende der sanierungszeit den Kiez nun „besenrein“ übergeben wollte. Das Platzhaus wurde schwarz verhüllt und die Folie mit einer Frage beschrieben: „Wer hat Angst vorm Helnholtzplatz?“

Beim 2. "Ratschlag" - Foto: Helmholtzplatz e.V.

Beim 2. „Ratschlag“ – Foto: Helmholtzplatz e.V.

Auch die Bezirksverordneten des Stadtentwicklungs-
ausschusses waren mehrheitlich nicht amüsiert.

Die Kündigung des Vereins wurde also ausgesetzt, stattdessen gab es den „Helmholtzratschlag“: Veranstaltungen mit Anwohnern, dem Stadtentwicklungsmonopolisten S.T.E.R.N. , dem Bezirksamt und dem Helmholtzplatzverein, auf denen die weitere Entwicklung auf dem Platzbesprochen werden sollte.

Im Januar 2015 fand der erste, im März 2015 der dritte „Ratschlag“ statt, ein paar Wochen später trafen sich noch Arbeitsgruppen mit den Themen „Nutzungskonflikte“ und „Platzhaus“ – danach schien der Elan abzuebben, denn weitere Treffen sind nirgends vermerkt.

 

Günstige Kriminalitätsentwicklung – schlechtes „Sicherheitsgefühl“

Noch immer sind die Trinker auf dem Platz, noch immer die ruhebedürftigen Anwohner in Ihren Wohnungen, noch immer wird des Abends die Polizei gerufen, wenn jemand obere Ende der Skala seiner Hörempfindlichkeit erreicht sieht oder er es einfach nur unerträglich findet, dass diese Typen da unten… – genau!

blauUm das Reden miteinander zu befördern und auf diese Weise sowohl den Stress, als auch die Polizeieinsätze zu reduzieren, wurde die „Blaue Stunde“ eingeführt. Im März schon einmal annonciert und nun wegen des vollen Platzes auch auf ein volles (Platz-)Haus hoffend, kombinierte man das Gesprächsangebot mit der Fahrradaktion.

Die Ankündigungen waren überall zu lesen: In Zeitungen, im Netz und auch vor dem Platzhaus. Und damit es ja keiner vergisst und auch all die möglicherweise des Lesens unkundigen es ebenfalls mitbekommen, wurde es über den schneidend plärrenden Lautsprecher des Polizeiwagens ausgerufen. Einmal. ZweimaL

Mittlerweile war es 17 Uhr.

Die Schlange der Fahrradmarkierungswilligen wurde nicht kleiner, und der Spielplatz nicht leerer. Im Platzhaus aber fanden sich gerade mal zehn Personen zusammen: Drei von der Polizei, der Bezirksstadtrat, eine Vertreterin des Ordnungsamtes und fünf vom Helmholtzplatzverein. Kein genervter Anwohner, kein abendlicher Notruf-110-Anrufer – nichts.

 

Geräuschverursacher bekamen Zuwachs

Immerhin war für den Außenstehenden die Neuigkeit zu erfahren, dass sich eine neue geräuscherzeugende „Problemgruppe“ auf dem Platz aufgetaucht ist: Jugendliche.
Oh Wunder, möchte man meinen, da hat sich also die erste Neu-Prenzlauer Berger Kleinkind-Generation zu Halbwüchsigen gemausert, die sich nun genauso verhalten wie ihre Altersgenossen anderswo auch: Sich abends auf irgendwelchen Plätzen treffen, quatschen, Musik hören…

Der etwas schräge Vorschlag eines Anwesenden, auf dem Platz eine digitale Geräuschmessstation aufzustellen, an der die Platzbesucher – quasi zur Selbstdisziplinierung – die von ihnen erzeugte Lautstärke in Dezibel ablesen können, wurde glücklicherweise nicht weiter vertieft. Man möchte sich gar nicht vorstellen, wie es klingt, wenn gegen Mitternacht die eine oder andere Gruppe auf die Idee käme, einen Wettbewerb um die höchsten Werte zu veranstalten…

Zwischendurch kam immer mal wieder Torsten, der Trinker (nicht zu verwechseln mit Torsten, dem Stadtrat) ins Platzhaus, konnte sich aber – die Sonne stand schon tief – nicht mehr ganz so differenziert äußern, dass es für jeden verständlich gewesen wäre. Immerhin war herauszuhören, dass er sich vor allem über die anonymen Anrufer bei der Polizei ärgerte und dass er es für unangemessen hält, wenn immer gleich drei oder vier Beamte vor Ort erscheinen – der Kontaktbereichsbeamte würde doch reichen.

 

Neuer Anlauf im Juni

Die Beamten vom Polizeiabschnitt 15 erklärten, dass sie verpflichtet seien, bei jedem Anruf vor Ort zu erscheinen – egal, ob er anonym erfolge, oder aber der Anrufer seinen Namen preisgebe. Und sie stellten auch klar, dass nicht jeder Anruf tatsächlich eine Ursache habe, die die Ordnungshüter zum Eingreifen zwinge, sagte er auch. Man sei bemüht, differenziert zu reagieren.

Stadtrat Torsten Kühne hörte die meiste Zeit schweigend zu und wurde schließlich von vor dem Eingang stehenden Leuten – die partout nicht ins Platzhaus hinein wollten – zum Gespräch nach draußen gebeten.

Einer der Beamten kam gegen Ende der Veranstaltung zu dem Schluss, dass es den sich von Geräuschen gestört fühlenden Anwohnern möglicherweise völlig egal sei, wie man auf dem Platz zusammenleben sollte: Bei Lärm oder das, was man dafür hält, wird die Polizei gerufen – und das war’s dann eben.
Das musste eine – plausible – Vermutung bleiben, denn diejenigen, die die Polizei immer wieder zum Helmholtzplatz beorderten, waren nicht erschienen. So hatte das ganze irgendwie den Charakter eines Selbstgespräches – die andere Seite, die für einen Dialog nötig ist, fehlte.

Obwohl sich die Nachfrage nach deeskalierenden Gesprächen bei jener Seite des Dauerkonfliktes also offenbar in engen Grenzen hält, soll es im Juni ein erneutes Angebot geben: Die nächste „Blaue Stunde“ mit Polizei, Ordnungsamt, Bezirksstadtrat für Bürgerservice und Vertretern des Helmholtzplatz e.V. findet am 9. Juni 2016 um 17 Uhr im Platzhaus statt. Dann allerdings ohne Fahrradnarkierungsaktion.

 
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