Bürgerbegehren Kastanienallee – wie steht es um die Mitbestimmung in Berliner Bezirken?

von Michael Efler und Lynn Gogolin

Die Hauptstadt ist Nachzügler: Als letztes Bundesland hat Berlin vor sechs Jahren Bürgerbegehren und Bürgerentscheide eingeführt. Seitdem ist viel passiert. 31 Bürgerbegehren gab es, neun Bürgerentscheide. Einwohner schließen sich zu Initiativen zusammen, entwickeln Ideen, organisieren Widerstand, sammeln Unterschriften und erreichen im Idealfall einen Bürgerentscheid. Oft geht es um Baumaßnahmen. So auch beim Bürgerbegehren der Initiative „Stoppt K21“ gegen den Umbau der Kastanienallee.

Dieses Begehren ist das neueste in Berlin und die Nummer 6 im Bezirk Pankow. Der Initiator ist altbekannt, Matthias Aberle. Er war es, der 2006 das allererste Bürgerbegehren in Pankow startete – gegen den Umbau des Wasserturmplatzes. Damals kamen nicht genügend Unterschriften zusammen. Trotzdem gibt es jetzt eine Neuauflage, das Instrument Bürgerbegehren wird noch einmal in die Hand genommen. Die Initiative wird voraussichtlich innerhalb der nächsten drei Wochen mit der Unterschriftensammlung für das Bürgerbegehren beginnen.

Sie hatte zunächst selbst eine Bürgerbefragung über den Umbau der Kastanienallee vorgeschlagen. Die Bezirksverordnetenversammlung von Pankow lehnte das aber ab. Dabei hätte eine Befragung einige Vorteile gehabt. In Berlin haben es Bürgerbegehren wegen der Größe der Bezirke nämlich nicht ganz leicht. Beispiel Pankow: Hier leben rund 370.000 Menschen auf einer Fläche von 10.000 Hektar. Interessieren sich alle 370.000 für den Umbau der Kastanienallee? Unwahrscheinlich. Das wäre beim Bürgerentscheid auch kein Problem, wenn da nicht das Quorum wäre. Denn in Berlin gilt: Stimmen nicht mindestens 10 Prozent der Wahlberechtigten im Bezirk zu, dann ist der Bürgerentscheid ungültig – das 10-Prozent-Zustimmungs-Quorum. Käme es zu einem Bürgerentscheid über den Umbau der Kastanienallee müssten also rund 37.000 Pankower Ja sagen, damit die Abstimmung gilt. Für die Initiative bedeutet das einen enormen Mobilisierungs-Aufwand. Sie muss alles in Bewegung setzen, um genug Menschen an die Urne zu bekommen.

Der Vorteil einer Befragung liegt darin, dass man nicht den gesamten Bezirk einbeziehen muss, sondern den Radius kleiner ziehen und vor allem die direkt vom Umbau der Kastanienallee betroffenen fragen kann. Darüber hinaus könnten weitere Betroffene, zum Beispiel Gewerbetreibende oder Radfahrer, die aber nicht Anwohner sind, durch Bürgerversammlungen oder über das Internet einbezogen werden. Wenn das Bezirksamt erklärt hätte, sich an das Ergebnis der Befragung zu halten, wäre das für die Kastanienallee eine elegante Lösung gewesen. Aber die Befragung wurde abgelehnt. Umso wichtiger ist es nun in den Augen der Initiatoren, gut für das Bürgerbegehren zu mobilisieren und möglichst viele Unterschriften zu sammeln.

Wie sind Bürgerentscheide zu Baumaßnahmen in Berlin bisher ausgegangen? Bis vor kurzem galt für Bürgerentscheide noch ein 15-prozentiges Beteiligungs-Quorum. Nahmen weniger als 15 Prozent der Wahlberechtigten eines Bezirkes an der Abstimmung teil, war sie ungültig. Das kam nicht selten vor. Zuletzt beim Bürgerentscheid zum Erhalt der Ku’Damm-Bühnen am 16. Januar. Die Mehrheit stimmte für den Erhalt, das Quorum wurde aber knapp verfehlt. Die Abstimmung war damit ungültig. Das Gleiche passierte 2008 in Mitte, als eine Mehrheit gegen Parkautomaten stimmte, sich wegen des Quorums aber auch nicht durchsetzen konnte. Und im selben Jahr erlebte eine Initiative gegen die Bebauung der Halbinsel im Groß Glienicker See die selbe Geschichte: Quorum verfehlt, ungültige Abstimmung, obwohl fast 87 Prozent gegen die Bebauung votiert hatten.

Diese Liste könnte man weiter führen. Interessanter ist aber die Frage, wie man Abhilfe schaffen kann. Der Verein Mehr Demokratie gibt hier eine klare Antwort: Das Quorum muss weg. Wie bei Wahlen soll auch bei Bürgerentscheiden die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheiden. Das würde dann auch für einen Bürgerentscheid über die Kastanienallee gelten. Und wenn es nicht ganz Pankow interessiert, was mit der „Casting-Allee“ passiert – wen interessierts? Ohne Quorum würde es vollkommen ausreichen, wenn sich nur diejenigen an der Abstimmung beteiligen, die es wirklich betrifft und die ein vitales Interesse daran haben, ob es nun Parkbuchten und Fahrradweg gibt, oder doch nur eine Sanierung des Gehsteigs und Zone 30.

Solange für Bürgerentscheide ein Quorum gilt und damit die Abstimmung über lokale Themen, die nicht für den gesamten Bezirk relevant sind, unnötig erschwert ist, muss zumindest die Möglichkeit der Bürgerbefragung gesetzlich geregelt werden. Denn das ist leider noch nicht der Fall. So wurden bisherige Befragungen jedes Mal anders organisiert. Mal wurden Fragebögen zugeschickt, mal wurde zu einer Bürgerversammlung mit Abstimmung vor Ort geladen. Um ein faires und verlässliches Verfahren zu gewährleisten, wären einheitliche Rahmenbedingungen im Bezirksverwaltungsgesetz von Vorteil.

Aber auch bei Bürgerentscheiden ist das Quorum nicht die einzige Falle. Ein Großteil der bisherigen neun Bürgerentscheide war rechtlich nicht vollständig verbindlich. Das muss sich ändern. Wenn Bürger den beschwerlichen Weg über ein Begehren bis hin zum Entscheid bestreiten, dann eine Mehrheit der Abstimmenden dafür ist, dann auch noch das fragwürdige Quorum überwunden wird und dann zu guter letzt der Entscheid nicht einmal rechtlich verbindlich ist, dann kann das nur zu Frust führen. Und welchen Sinn hat es, die demokratisch engagierten Menschen dieser Stadt zu frustrieren? Gerade sie müssen in ihrem Engagement gestärkt werden.

Mehr Demokratie unterstützt auch Bemühungen, über die Möglichkeiten der politischen Teilhabe in Pankow zu informieren, zum Beispiel durch eine „Handreichung Bürgerbeteiligung“. Und last but not least wenden wir uns vehement gegen Pläne, am Bürgerantrag zu rütteln, von denen zuletzt im Flurfunk die Rede war. Ohne die Möglichkeit des Bürgerantrags hätten die Bürgerinitiativen ihre Anträge für Bürgerbefragungen zur Kastanienallee gar nicht in die Bezirksverordnetenversammlung einbringen können. Mitbestimmungsrechte stärken, nicht beschneiden!
 

Michael Efler, Lynn Gogolin - Mehr Demokratie e.V.

Michael Efler ist Vorstandsmitglied, Lynn Gogolin Sprecherin von Mehr Demokratie e.V. Der Verein wurde 1988 gegründet. Er ist eine bundesweit tätige Organisation, die sich für direkte Demokratie, Bürgerbeteiligung sowie die Verbesserung des Wahlrechts auf allen politischen Ebenen Deutschlands und in der Europäischen Union einsetzt.


 

 

Weitere Debattenbeiträge zum Thema „Braucht Pankow mehr Demokratie?“:

Matthias Köhne: „Wie kann Bürgerbeteiligung funktionieren?“

Torsten Kühne: „Akzeptanz durch Beteiligung – Wer A will, muss B wagen“

Daniela Billig und Jens-Holger Kirchner: „Braucht Pankow mehr Demokratie?“

Philipp Magalski und Michael Mittelbach: „Mehr Transparenz und Teilhabe auch durch das Internet?“

Christine Keil: „Wir brauchen eine Transparenzoffensive“



Kommentar zu “Bürgerbegehren Kastanienallee – wie steht es um die Mitbestimmung in Berliner Bezirken?”

  1. Dirk

    Jun 07. 2011

    Quorum abschaffen?
    Man könnte es wohl auch so formulieren: Je weniger sich beteiligen, desto besser aus Sicht von Herrn Efler und Frau Gogolin.
    Ich halte das für falsch, wie ich auch die überschießenden Hoffnungen von sog. Volksabstimmungen für unbegründet haltet.
    Bei den sog. Volksabstimmungen entscheidet nicht „das“ Volk. Die Wahlbeteiligung ist niedriger als bei repräsentativen Wahlen, also sind deutlich weniger beteiligt. Und es sind nicht nur deutliche weniger beteiligt, sondern es sind auch deutlich weniger Personen mit geringem Einkommen und geringerer Bildung beteiligt. Repräsentative Wahlen geben besser den Bevölkerungsschnitt wieder. Sogenannte Volksabstimmungen die Meinung der besser Gebildeten und besser Verdienenden.
    Und übrigens apropos „direkte“ Demokratie: Wer formuliert denn die Fragen, die zu Abstimmung gestellt werden soll und wer bringt sie zur Abstimmung? Ach so. So direkt beteiligt werden die BürgerInnen dann doch nicht bei der direkten Demokratie. Man muß sich ja nur die Hamburger Abstimmung zur Schulreform anschauen und wer diese initiiert hat. Die Hamburger BürgerInnen waren es nicht.
    Ansonsten siehe auch: http://www.wzb.eu/sites/default/files/10-131.pdf

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