Akzeptanz durch Beteiligung –
Wer A will, muss B wagen
von Torsten Kühne
Heutzutage wird in der veröffentlichten Meinung gerne über das Ende der repräsentativen Demokratie schwadroniert. DIE Politiker seien abgehoben von der gesellschaftlichen Realität. DIE Parteien agierten als verlängerter Arm von Lobbyisten. Wahlen mit sinkender Beteiligung vermittelten nur noch eine Scheinlegitimität. Eine Allianz aus Experten, Kommentatoren und Bürgerinitiativen schickt sich an, den Parteien ihren Platz im demokratischen Gefüge streitig zu machen. Ist unsere repräsentative Demokratie am Ende?
Wer über den Schutz von Minderheitenrechten oder die Umsetzung von Reformen nachdenkt, bekommt Zweifel in Bezug auf die Überlegenheit der sogenannten Basisdemokratie. Die Erfolge gut vernetzter Interessengruppen bei Referenden entsprechen nicht immer dem Mehrheitswillen. Die Beteiligung an Bürgerentscheiden liegt selten über der Wahlbeteiligung bei Landtags- oder Europawahlen. Die aufreibende Arbeit der Informationsbeschaffung und Meinungsbildung übernehmen oft nicht demokratisch legitimierte Vertreter in den Interessenverbänden oder Medien. Können wir mittelfristig auf die Parteien verzichten?
Interessanterweise sind alle Anti-Parteien-Neugründungen der letzten Jahrzehnte gescheitert. Auch die Partei Bündnis90/Die Grünen ist jenseits der antielitären Rhetorik und Protestfolklore mittlerweile eine ganz normale Partei geworden – inklusive ihrer Affären. Bisher hat es auch keine Bürgerinitiative geschafft, über ihr Gründungsthema hinaus dauerhaft gesellschaftliche Mehrheiten zu erringen. Brauchen wir vielleicht doch Parteien als Triebfedern unserer Demokratie?
Parteien sind wichtiges Bindeglied zwischen Politik und Bürgern
Parteien decken wortimmanent immer nur einen Teil des Ganzen ab. In einer freiheitlich-pluralistischen Gesellschaft gibt es bei allen relevanten Themen unterschiedliche Meinungen. Den einheitlichen Bürgerwillen gibt es nicht. Die Zukunft unserer Gesellschaft entscheidet sich im Wettstreit der Ideen. Die Komplexität unserer modernen Gesellschaft erfordert eine vielfältige Parteienlandschaft. Parteien bilden das wichtige Bindeglied zwischen Politik und Bürgern. Sie müssen sich auch selbstbewusst von Bürgerinitiativen und Interessenverbänden abgrenzen. Letztere können es sich erlauben, monothematisch für Maximalforderungen einzutreten. Die Parteien müssen immer den Zusammenhalt einer Gemeinschaft mitdenken.
Die größte Herausforderung heute besteht in der gestörten Kommunikation zwischen Politik und Bürgern. Die Entscheidungen der Politik werden nicht ausreichend erläutert. Die Stimmungen der Bürger greifen die Parteien nur unzureichend auf. Der direkte Dialog jenseits der professionellen Berichterstatter und Kommentatoren kommt zu kurz. Die gestörte Kommunikation ist im Übrigen auch Ausdruck für ein Versagen der etablierten Medien. Die Grundzüge unserer deutschen Demokratie stammen aus dem 19. Jahrhundert. Erdacht und entwickelt im Deutschland der Dampfmaschinen und Telegrafen muss unser politisches System mit den Herausforderungen in Zeiten von Internet und Gentechnologie zurechtkommen. Noch nie in der Menschheitsgeschichte war der Zugang zu Informationen so leicht.
Wir brauchen eine konsequente Umsetzung des Prinzips der größtmöglichen Eigenverantwortung. Wenn es nicht notwendig ist, dass eine übergeordnete Ebene ein Problem löst, dann ist es notwendig, dass die untergeordnete Ebene das Problem löst. Die meisten Alltagsprobleme der Bürgerinnen und Bürger können vor Ort gelöst werden. Und genau hier ist es auch sinnvoll, über eine bessere Beteiligung der Bürger auch mehr Akzeptanz für Entscheidungen zu erreichen. Die politischen Repräsentanten müssen sich den modernen Formen der Kommunikation und Meinungsbildung stärker öffnen.
Meinung der Bürgerinnen und Bürger stärker berücksichtigen
Pankow kann dabei eine Vorreiterrolle übernehmen. Die Debatten um die Vollendung des Mauerparks, den Umbau der Kastanienallee sowie die Proteste gegen steigende Abgaben oder zunehmenden Verkehrslärm beweisen den Wunsch nach mehr Beteiligung. An erster Stelle steht der umfassende und verständliche Zugang zu Informationen. Wieso findet sich auf der Internetseite des Bezirks keine verständliche Darstellung des Bezirkshaushalts? Warum werden die Entscheidungen des Bezirksparlaments nicht besser im Internet erläutert? Zweitens muss die Meinung der Bürgerinnen und Bürger stärker im politischen Verfahren berücksichtigt werden. Wieso befragt das Bezirksamt nicht automatisch im Vorfeld von größeren Baumaßnahmen die Anwohner? Warum gibt es keine Internetplattform vor den Haushaltsberatungen zur Erarbeitung von bezirklichen Prioritäten? Schließlich muss die Pankower Bürgergesellschaft bei wichtigen Beschlüssen stärker mitentscheiden. Bei der langfristigen Investitionsplanung müssen die Pankowerinnen und Pankowern über die Schwerpunkte selbst entscheiden können. Bei bezirklichen Beschlüssen müssen die Bürgerinnen und Bürger innerhalb eines überschaubaren Zeitraums einen mehrheitsfähigen Gegenvorschlag präsentieren können.
Mehr Bürgerbeteiligung hat quer durch Europa die Akzeptanz von kommunalen Entscheidungen erhöht. Und manchmal hilft die Bürgerbeteiligung auch, unnötige Ausgaben zu vermeiden. Die Erfahrungen von Rheinstetten über Freiburg bis nach Bergheim mit einem Bürgerhaushalt sind ermutigend. Der Steuerzahler hinterfragt im Zweifelsfall die Ausgaben im Hinblick auf den eigenen Geldbeutel kritischer als der Politiker auf der Suche nach neuen Wählerinnen und Wählern. Eine funktionierende Bürgergesellschaft braucht aktive Bürger und engagierte Politiker. Eine stärkere Bürgerbeteiligung macht es auch den gewählten Repräsentanten einfacher, die einmal getroffenen Entscheidungen umzusetzen. Die repräsentative Demokratie wird dadurch langfristig gestärkt.
Ich habe keine Angst vor mehr Beteiligung der Bürgerinnen und Bürgern.
Ich freue mich über das Engagement jedes Einzelnen für unser Gemeinwesen.
P.S.
Übrigens rede ich nicht nur über mehr Bürgerbeteiligung. Auf der Internetseite www.richtig-für-pankow.de lade ich gemeinsam mit der CDU Pankow die Pankowerinnen und Pankower ein, Probleme und Lösungen für ein bürgernahes und praxisorientiertes Wahlprogramm zu benennen.
(Zwischenüberschriften: Prenzlberger Stimme)
Weitere Debattenbeiträge zum Thema „Braucht Pankow mehr Demokratie?“:
Matthias Köhne: „Wie kann Bürgerbeteiligung funktionieren?“
Daniela Billig und Jens-Holger Kirchner: „Braucht Pankow mehr Demokratie?“
Philipp Magalski und Michael Mittelbach: „Mehr Transparenz und Teilhabe auch durch das Internet?“
Christine Keil: „Wir brauchen eine Transparenzoffensive“
Michael Efler und Lynn Gogolin: „Bürgerbegehren Kastanienallee – wie steht es um die Mitbestimmung in Berliner Bezirken?“
Philipp Wittulsky
März 24. 2011
Guten Tag Herr Kühne,
das klingt sehr löblich was sie da schreiben. Wie erklären sie mir das sie gegen die Bürgerbefragung der Kastanienallee gestimmt haben? 100% der Wahlberechtigten Politiker der BVV waren dagegen. Obwohl die Bürgerintiative Wähler der CDU, SPD, Grüne und FDP beinhaltet, gab es nicht ein Gewählten Volksvertreter der diese Wähler vertreten hat.
Ich habe keine Angst vor weniger Beteiligung der Politikerinnen und Politiker.
Ich freue mich über das Engagement jedes Einzelnen für unser Gemeinwesen.
mfg
Christian Ruß
März 24. 2011
Hallo Herr Kühne,
ich finde es beeindruckend zu sehen, was die CDU Prenzlauer Allee in den letzten Jahren geleistet hat. Durch die vielen Aktionen ihres Ortsverbandes. Sie zeigen uns, das Politik nicht darin besteht, viel zu quatschen, sondern zu handeln!
Die Verknüpfung zwischen den unterschiedlichen Parteien und den Bürgern ist Heutzutage sehr wichtig. Dies passiert meist durch das Internet oder den sozialen Netzwerken. Wie ich sehen kann besitzt die CDU Pankow und ihr Ortsverband eine sehr gute Internetpräsenz und ist stark in den sozialen Netzwerken vertreten. Dies ist hervorzuheben. Die meisten anderen Parteien in Pankow besitzen keine starke Internetpräsenz. Diese Parteien können sich an ihrer Arbeit ein Beispiel nehmen, wie Informationsaustausch heutzutage auszusehen hat.
Zu den meisten aktuellen Themen in Pankow kann ich keine Stellung nehmen. Ich finde aber, dass sich der Bezirksbürgermeister Herr Köhne in der Angelegenheit „Kastanienallee“ ausgeruht hat. Er hätte sich mehr einsetzen können. Einmal mehr wurde nur gequatscht und die Stimme des Volkes vernachlässigt und überhört!
Ich wünschen ihnen viel Glück und Erfolg für den anstehenden Wahlkampf.
beste Grüße
Carsten Fedderke
März 24. 2011
Dann müsste man aber auch konsequenterweise ein Grundrecht auf freien Zugang zum Internet befürworten, damit nicht diese neueren Beteiligungsformen des Bürgers durch hoheitliches Handeln eingeschränkt werden können (siehe in Diktaturen). Ein solches Grundrecht könnte seine Schranken dann wie andere Grundrechte auch in den allgemeinen Gesetzen finden. Umsetzbar wäre dies unter Umständen im Rahmen einer dahingehenden Konkretisierung des Art. 5 GG.
Einer der Vordenker dieser Idee ist Bill Clinton.
Martin Waßmann via facebook
März 25. 2011
Möglicherweise würden gar nicht so viele Leute über Bürgerbeteiligungen diskutieren, wenn die Volksvertreter einfach etwas volksnahere Entscheidungen fällen würden und man nicht erst groß erklären müsste, dass wirklich NIEMAND eine andere Kastanienallee oder einen anderen Mauerpark haben möchte.
pschultz
März 25. 2011
„Antiparteien“ sind möglicherweise deshalb gescheitert, weil sie eben auch nur Parteien sind. Aber Stopp – sind die Grünen aus CDU-Sicht nicht auch eine Antipartei (CDU-Propaganda: „Die Dagegen-Partei“)? Und dennoch erfolgreich? Oder doch bloß eine „normale“ Partei, wie es Herr Kühne hier darstellt? Eine CDU – zwei „Wahrheiten“..
ariane
März 25. 2011
Dass die CDU ihr „Programm“ von den Wählern schreiben lassen will, hat wohl weniger was mit Bürgerbeteiligung zu tun, als vielmehr mit dem Hinerherlaufen hinter dem Mainstream. Die eigene Ideenlosigkeit als demkoratische Mitwirkung zu verkaufen, zeugt nicht von großer politischer Kunst.
Torsten Kühne
März 28. 2011
Liebe Leserinnen und Leser der Prenzlberger Stimme,
für die Kommentare und Hinweise möchte ich mich schon einmal herzlich bedanken. Wahlkampf macht aus meiner Sicht nur Sinn, wenn man auch ernsthaft an einer Debatte um die besten Argumente interessiert ist. Insofern nehme ich die Anmerkungen ernst.
Gerne möchte ich auf die einzelnen Kommentare eingehen.
@Herrn Wittulsky:
Ich muss Sie korrigieren. Die Mitglieder der CDU-Fraktion in der Pankower BVV – der ich übrigens nicht angehöre – haben den Antrag zur Bürgerbefragung nicht abgelehnt. Sie haben sich enthalten. Aus zwei Gründen. Erstens, weil die Grüne-Fraktion den Antrag der Bürger eins zu eins eingebracht hat, um dann „ihren“ Antrag abzulehnen. Ein unwürdiges Schauspiel, das die CDU nicht mitmachen wollte. Zweitens, weil eine Bürgerbefragung nur im Zusammenhang mit einem Baustopp Sinn macht. Ggf. müssen dann auch die Planungen neu begonnen werden. Das hätte aber zur Folge, dass die Sanierung der Kastanienallee nicht mehr aus Geldern der Sanierungsgebiete (Gebiet läuft 2011 aus!) finanziert werden kann. Die Anwohner müssten die neuen Planungen dann nach Straßenausbaubeitragsgesetz selbst zahlen. Wollen dies die Anwohner wirklich? Diese Frage muss erst geklärt werden
Die Anwohnerbefragung selbst befürworten wir ausdrücklich. Wir haben uns bereits 2008 für die Bürgerbeteiligung ausgesprochen und das Bezirksamt ausfordert, entsprechend zu handeln. Leider entpuppte sich das durchgeführte Verfahren unter einem grünen Stadtrat als Farce.
@Herrn Ruß
Es freut mich, dass die Arbeit der CDU Prenzlauer Allee auf positive Resonanz stößt. Bürgerschaftliches Engagement liegt uns am Herzen. Unser Motto: Reden ist Silber, Handeln ist Gold.
@Herrn Fedderke
Ich bin mir sicher, dass wir spätestens in 20, 30 Jahren ein Grundrecht auf einen Internetzugang haben werden. Der Internetzugang im 21. Jahrhundert ist vergleichbar mit dem Kampf um die Meinungs- und Pressefreiheit im 17. und 18. Jahrhundert. Das Internet ist die zeitgenössische Agora einer modernen Bürgergesellschaft.
@Herrn Waßmann
Es kann nicht die Rede davon sein, dass NIEMAND die Vollendung des Mauerparks oder den Umbau der Kastanienallee möchte. Dann hätten wir das Problem nicht. Auf Bürgerversammlungen kann man regelmäßig erleben, dass es hoch her geht. Die Frage ist, was die Mehrheit möchte und wer darüber entscheiden soll. Ich glaube, dass am Ende die Anwohner und Anlieger entscheiden müssen, die 365 Tage im Jahr mit dem Ergebnis leben müssen.
@pschultz
Ich sehe nicht den Widerspruch. Die Grünen sind eine „normale“ Partei, deren Programm vorwiegend aus Dagegen-Positionen besteht. Gegen Pumpspeicherkraftwerke, gegen Stromtrassen, gegen Umgehungsstraßen, gegen Bahnhöfe, gegen Schnellbahntrassen, etc.
Ich möchte an dieser Stelle die Pankower Grünen ausdrücklich ausnehmen. Sie sind für den Umbau der Kastanienallee – gegen den Wunsch der Anwohner und Gewerbetreibenden. Diesmal wäre aber „Dagegen“ vielleicht ausnahmsweise besser gewesen!
@ariane:
Hierzu fällt mir ein Artikel aus der TAZ von neulich ein:
„Über Exkanzler Helmut Kohl gibt es einen alten Witz: Weil er die schlechte Berichterstattung leid war, wollte er mal was ganz Tolles machen und wünschte sich, über Wasser gehen zu können. Was schrieb die Presse? „Kohl kann nicht schwimmen.“ Wenn man wollte, könnte man den jüngsten Vorstoß der Berliner CDU ähnlich negativ bewerten: Die Union hat für ihr Wahlprogramm selbst keine Ideen mehr – sie muss die Bürger fragen. Tatsächlich aber muss man zugeben: Die Konservativen sind hier die innovativste aller etablierten Parteien.“
Wenn die TAZ lobende Worte über uns findet, dann können wir nicht alles falsch gemacht haben, oder?