„Kiezkieken“: Trödel und Raubtiere

''Was übrig bleibt'' - Szenenfoto

In einiger Entfernung ist das Rattern der S-Bahn zu hören, in regelmäßigem Wechsel mit den Motorengeräuschen der orangefarbenen Riesen vom nahe liegenden Betriebshof der Berliner Stadtreinigung. Kraftvoll bahnt sich die mittägliche Novembersonne ihren Weg durch die langsam kahl werdenden Bäume am südlichen Ende der Malmöer Straße und erst beim zweiten Hinsehen fallen tristes Dunkelgrau und bröckelnder Putz an den Hausfassaden auf. Kinderwagen, Latte Macciato und I-Phone scheinen diese Ecke des Prenzlauer Berg übersehen zu haben.

Genau hier wohnt der Filmemacher Peter Benedix seit er vor fünf Jahren nach Berlin kam – die Geschichte und den Drehort täglich vor Augen. Zwischen zwei typischen Berliner Wohnhäusern duckt sich im Schatten zweier großer Bäume ein Flachbau in die Straßenzeile. „Komm & Sieh“ fordert ein blaues Transparent am Zaun zum Eintritt in den Second-Hand-Laden der Berliner Stadtmission auf.

Peter Benedix

Schon bei der Begrüßung wird klar: die Leute hier im Laden und der Filmemacher kennen sich, kennen sich gut – da ist Vertrauen gewachsen. Die Frage, ob es Kaffee gibt, wird bejaht und Momente später sitzt Peter Benedix auf einer betagten Ledergarnitur und erzählt. „Der Film befasst sich mit dem was übrig bleibt, wenn ein Mensch geht. Und so heißt der Film auch Was übrig bleibt, denn das hier sind zum großen Teil Sachen von kürzlich Verstorbenen und stammen aus Wohnungsauflösungen – und diese Sachen finden hier einen zweiten Weg. Wenn man hier was sucht, dann kramt man eigentlich sprichwörtlich in vergangenen Leben.“

Ursprünglich als Bewerbungsfilm für die Filmhochschule gedacht, ist Peter Benedix eines Nachmittags mal mit der Kamera in den Laden gegangen und nach nicht mal einer Stunde stand für ihn fest: „dieser Ort und diese Leute – das lohnt sich einfach.“ Vor allem von der Offenheit der Leute war er überrascht. „Ich kam hier mit meiner Kamera rein und fragte erst mal, ob ich hier filmen darf. Und die Leute sagten gleich: Ja, na klar, mach mal! Da bekommst Du auch schon mal eine halbe Lebensgeschichte erzählt, obwohl Du gar nicht danach gefragt hast.“

''Was übrig bleibt'' - Szenenfoto

Genau wie die Menschen, die hierher kommen, haben auch die Dinge ihre Geschichten. Da steht der scheinbar unverwüstlicher Dia-Projektor aus DDR-Zeiten unter einer Sammlung von Gehstöcken, von denen man nicht weiß, wie lange und wie weit sie ihren damaligen Besitzern ständige Begleiter waren. Fotoalben mit quasi kompletten Familienchroniken sind ebenso für ein paar Euro zu haben.

Hier, weitab von Kollwitz- oder Wins-Kiez, ist vieles anders. „Hier gibt’s keine Kreativlandschaft, hier ist es nicht hip, hier sind die Leute extrem bodenständig. Die Leute hier stellen nichts dar – sie gehen nicht auf die Straße, um etwas darzustellen sondern weil sie einfach mal raus müssen.“ Wenn Peter Benedix ruhig und bedacht über diesen Kiez und seine Bewohner spricht, ist spürbar, wie sehr ihm dieses Stück vom Prenzlauer Berg ans Herz gewachsen ist und wie wenig es ihn woanders hinzieht.

''Was übrig bleibt'' - Szenenfoto

„Ich geh natürlich auch in die Cafes am Helmholtzplatz oder so. Aber ich krieg einen Knall, wenn ich auf diesen Biomarkt am Kollwitzplatz gehe, wo ich für acht Euro da so ein Nudelnest kriege, das irgendwie fünffach bio-zertifiziert ist, und sich alle mit ihren riesigen Kinderwagen durchschieben. Das ist alles irgendwie nicht echt. Aber egal wer sich welchen Luxus auch immer leisten kann, irgendwann landet sowieso alles hier in so einem Laden.“ Doch auch das wird bald vorbei sein, denn für das Grundstück, auf dem der Laden der Stadtmission steht, gibt es Pläne für einen Neubau. Peter Benedix Film wird dann wohl das sein, was übrig bleibt!

Ein paar Ecken weiter verführen zwei Kaffee schwarz, frisch gebrüht und heiß, die Gäste auch Anfang November noch dazu, es sich im Straßencafe gemütlich zu machen. Vom nahen Spielplatz dringen ausgelassenes Kindergeschrei und mahnende Mütterstimmen herüber.
 

Gerald Backhaus: „Ursus Berlinensis“

Über einen Kurzfilm kann man sollte man eigentlich nicht so viel erzählen, sonst ist ja gleich die ganze Geschichte verraten. Deshalb will auch Filmemacher Gerald Backhaus nicht mehr sagen, als auch schon im Programmheft steht.

"Ursus Berlinensis" - Szenenfoto

Also: „Ursus Berlinensis – Die Bären von Berlin“ ist eine Tierdoku und zeigt, wie Raubtiere im Großstadtdschungel leben. Das Publikum darf gespannt sein, denn seit dem gewaltsamen Ableben von Problembär Bruno ist es ja recht ruhig geworden rund um diese Spezies.

Beharrlich verweigert Regisseur Backhaus jede weitere Auskunft zum Inhalt des Films. Nur soviel wird noch verraten – es ist eine Komödie. Vermutlich wird es also keine der üblichen Zoo-Geschichten sein, mit denen ARD und ZDF ihr Nachmittagspublikum langweilen. Aber auch diese Vermutung bleibt unkommentiert und Gerald Backhaus blinzelt verschmitzt in die Nachmittagssonne über dem Helmholtzplatz. Als Journalist war er vor allem als Reporter für Radio und Fernsehen unterwegs, bevor ihn vor einigen Jahren sozusagen das Fiktionale packte. Von Melodram bis Horrorstreifen hat Gerald Backhaus schon mehrere Filme produziert.

Gerald Backhaus

Die Idee zum Film „Ursus Berlinensis“ hatte er schon längere Zeit im Kopf und letztlich gab „kiezkieken“ auch den Ausschlag, das Projekt zu realisieren. Schließlich spielt der Film auch in den drei teilnehmenden Stadtbezirken Prenzlauer Berg, Wedding und Marzahn, wobei letzterer sozusagen noch aktuell in den Drehplan aufgenommen wurde. Den Wedding findet Backhaus zum Beispiel total multi-kulti – davon könnte der Prenzlauer Berg ruhig etwas mehr haben. Und Marzahn hat sein eher negatives Image eigentlich zu Unrecht, wie er meint. In einem der Hochhäuser, von wo aus man einen fantastischen Blick über die Stadt hat, wurde auch gedreht. Seit der gebürtige Thüringer 1997 in den Prenzlauer Berg kam, beeindrucken ihn hier die alten Häuser und Wohnungen mit ihren hohen Decken sowie die breiten Straßen.

Die zahllosen Mütter mit ihren Kinderwagen gehören aber nun mal auch zum Bezirk.
„Wenn deren Kinder größer werden und pubertieren – also was das dann wird? Dann schreit die Stadt wieder nach neuen Clubs – das wird spannend“. Und das nachdem die hiesigen Club wegen Lärmbelästigung gerade von ihren eigenen Eltern per Gericht geschlossen worden sind. Kein weiterer Kommentar – Backhaus grinst.

Etwas ganz neues hatte Gerald Backhaus schon während der Dreharbeiten entdeckt. Noch vor der offiziellen Eröffnung des ersten veganen Supermarkts hat er dort für seinen Film gedreht. Und was nun „Die Bären von Berlin“ in einem Veganer-Shop treiben, gibt am 13.11.2011 im Zeiss Großplanetarium zu sehen.

 


 
Das aktuelle Programm von „kiezkieken“ ist zu finden unter:
http://kiezkieken.de/festival-4/programm

 
Informationen zu den einzelnen Veranstaltungen und Orten gibt es unter:

06.11. ATZE Musiktheater – Wedding
13.11. Zeiss Großplanetarium – Prenzlauer Berg
20.11. ORWOhaus – Marzahn
27.11. WABE – Abschlussveranstaltung
 

 

 

 

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