Stadtentwicklung braucht Regeln statt Willkür

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Die Mehrheit von SPD und CDU im Abgeordnetenhauses hat in der jüngsten Plenarsitzung das Ausführungsgesetz zum Baugesetz (AGBauGB) geändert. Dieses Berliner Gesetz regelt den Ablauf von Stadtentwicklungsprozessen und das Verhältnis zwischen Bezirken und dem Senat in Fragen des Planungsrechtes. Auf den ersten Blick eine trockene Materie. Doch gerade das ist ein Trugschluss. In Zeiten fehlender Akzeptanz für viele Wohnungsbauprojekte und angesichts mangelnden Vorlaufs in den Behörden sind geordnete Planungs-, Beteiligungs- und Entscheidungsprozesse ein hohes Gut und echtes Ziel für Berlin.
 
Es rächt sich heute, dass in den Zeiten mangelnder Bautätigkeit keine Bereichsentwicklungsplanungen und keine Konzepte für die ganze Stadt erstellt wurden. Auch der Flächennutzungsplan ist inzwischen über 20 Jahre nicht mehr für ganz Berlin betrachtet, überarbeitet und im Parlament abgestimmt worden. Wenn heute Wohnungen, Gewerbe oder Grün- und Freiflächen entwickelt werden sollen, soll es zwar schneller gehen, aber bitte nicht ohne parlamentarische und öffentliche Diskussion. Senat und Koalition setzen in dem aktuellen Änderungsgesetz einseitig auf eine Politik der Zentralisierung und vermeintlichen Beschleunigung einzelner Vorhaben durch Senatseingriffe.

Nachvollziehbare und geordnete Verfahren, die die Akzeptanz notwendiger Planungen erhöhen könnten, interessieren die Koalition dabei nicht. So ist die Eingriffsschwelle für Wohnungsbauvorhaben auf 200 Wohneinheiten von vorher 500 an einem Standort herabgesetzt worden. Aus meiner Sicht muss für eine ausgleichende Debatte über Wohnungsbaustandorte die ganze Stadt betrachtet werden. Dazu zählt zunächst eine Überarbeitung des Flächennutzungsplanes.
Dabei geht es neben der Diskussion von Standorten insbesondere um die höhere Ausnutzung bereits bestehender Baugebiete, etwa nach dem Motto „mehr hoch als breit“. Wenn der Senat als erstes darauf kommt, mit der Elisabethaue in Pankow einen Acker zu bauen, der nicht einmal irgendwie erschlossen ist, dann ist klar, dass etwas schief läuft. SPD und CDU wollen angesichts der kommenden Wahl 2016 möglichst viele erste Spatenstiche organisieren. Und das geht am besten auf der grünen Wiese. Denn es ist zu mühsam, sich über Nachverdichtung in bestehenden Gebieten, Dachgeschossausbauten oder die Umnutzung von Gewerbeflächen den Kopf zu zerbrechen.
 

Bürgerbegehren beachten und nicht abwürgen

Wo Bezirke anders vorgehen, als der Senat will, kann er Gebiete aus Gesamtinteresse Berlins selber beplanen. Solche Gesamtinteressen kann es geben, die grundsätzliche Möglichkeit wird von niemandem bestritten. Komplexität von Vorhaben oder die Bedeutung einzelner Flächen für ganz Berlin können dafür der Grund sein. Für solches Vorgehen gibt es bisher zwei Paragraphen im AGBauGB. Paragraph 7 mit sachlichen Kriterien – den wollen wir beibehalten – und Paragraph 9 ohne sachliche Kriterien, das ist der „Willkürparagraph“. Den wollen wir streichen. Der Senat muss sich schon die Mühe machen, jeweils eine ordentliche Begründung aufzuschreiben. Sonst wird die Akzeptanz von Planungsprozessen, ob für Wohnungsbau- oder anderen Vorhaben, weiter untergraben. Insbesondere betrifft das Vorgänge, wo bezirkliche Bürgerbegehren laufen. So hat Senator Geisel jüngst am Mauerpark und in Neukölln während einer Unterschriftensammlung Bebaungspläne an sich gerissen. Der Senat kann nicht mitten in diese Art von Bürgerbeteiligung hineinschlagen und sie abrupt beenden. Wir wollen, dass der Senat sich bereits im Zuge der Aufstellung von Bebauungsplänen entscheidet, ob dringende Gesamtinteressen Berlins berührt sind. Ist das der Fall, soll er die Planung selbst durchführen, anderenfalls darf er während eines Bürgerbegehrens nicht eingreifen. Die Eingriffsmöglichkeit soll ruhen, bis das Bürgerbegehren abgeschlossen oder sein Nichtzustandekommen festgestellt ist.
 

Abgeordnete wollen mitreden statt abnicken

Und noch etwas muss geändert werden: Bisher werden Bebauungspläne dem Abgeordnetenhaus erst zur Beschlussfassung als Vorlage eingereicht, oft nach jahrelangen Verfahren. Zu allen vorherigen Schritten, etwa der Auswertung der frühzeitigen Bürgerbeteiligung, erhalten die Parlamentarier keinerlei Vorlagen zur Kenntnisnahme. Angesichts der Tatsache, dass der Senat immer mehr Bebauungspläne an sich zieht, ein unhaltbarer Zustand. Wo wir zuständig sind, wollen wir auch informiert werden und die Chance haben, Planungsprozesse zur Kenntnis zu nehmen und Inhalte mitzubestimmen. An diesem Punkt ist das Abgeordnetenhaus sogar wesentlich schlechter gestellt als die Bezirksverordnetenversammlungen. Wenn die Planungen, die im Abgeordnetenhaus landen, wirklich die schwierigen und für ganz Berlin wichtigen sind, dann müssen wir uns damit auch intensiv beschäftigen. Ich möchte diese Verantwortung wahrnehmen, die Koalition bedauerlicherweise nicht.
SPD und CDU haben mit der Ablehnung der Änderungsvorschläge der Opposition eine Chance vertan. Eine Stadt, die sich so positiv entwickeln könnte, wie es für Berlin im Augenblick aussieht, braucht adäquate Planungsprozesse. Michael Müller hat 2014 behauptet, aus Tempelhof gelernt zu haben. Entweder war diese Aussage falsch, oder die Koaliiton hat sie schon wieder vergessen.

 


otto fotoAndreas Otto ist direkt gewählter Abgeordneter für den Wahlkreis Pankow 6 (Prenzlauer Berg). Er ist Bau- und Wohnungspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus

 

 

 

 


Foto(1): A.Savin

 



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