Wir brauchen eine Transparenzoffensive

von Christine Keil

Berlin hat in den vergangenen Jahren auf dem Feld der direkten Demokratie einen großen Sprung gemacht, wie auch Mehr Demokratie e.V. der Stadt bescheinigt. Wir haben Bürgerentscheide und Bürgerbegehren eingeführt und die Quoren für Volksentscheide erheblich gesenkt. Der erfolgreiche Volksentscheid des Wassertisches ist eine Ermutigung für alle künftigen Initiativen. Dieses Ausweitung direktdemokratischer Instrumente geht wesentlich auf das Konto der LINKEn. Wir waren hier Motor und Drängler. Das hat auch etwas damit zu tun, daß niemand besser weiß als wir, was geschieht, wenn der Link zwischen Volk und Regierung nicht funktioniert, weil wir aus unserer für die DDR- Bevölkerung bitteren Praxis von Demokratiefeindlichkeit und Avantgardebewußtsein der herrschenden Elite, ganz grundsätzlich gelernt haben. Es ist nicht möglich gegen das Volk für das Volk zu regieren. Das gilt auch für die Gegenwart und Zukunft. Das gilt im Großen wie im Kleinen.

Die Erfahrungen mit den Kontroversen um die Oderberger Straße, die Kastanienallee, in Blankenburg und am Gethsemaneplatz um das Für und Wider von shared space, in Weissensee um die Errichtung einer neuen Sporthalle und an vielen anderen, medial deutlich schwächer abgebildeten Konflikten, machen vor allem Eines deutlich:

Es gibt eine neue Schicht, eine neues Milieu innerhalb der Bürger_innenschaft, das seine Stimme nicht mehr an der Wahlurne abgibt, um anschließend von den bequemen Plätzen der Zuschauerdemokratie mit geballten Fäusten in der Tasche auf die da oben zu schimpfen.

Inzwischen wird sich gewehrt, wenn politische Entscheidungen zu nachhaltigen Eingriffen in den eigenen Lebensraum führen und diese Entscheidungen auf Widerspruch stoßen. Darin muss sich nicht zwangläufig eine falsche Entscheidung manifestieren. Mindestens wird aber sehr deutlich, daß solche starken Eingriffe, ob von politischer Verwaltung oder Bürger_innen angestoßen, eine höhere Legitimation benötigen, als wir dies bisher kannten. Und es wird deutlich, das formaldemokratisch schon vorhandene Beteiligungsformen, dringend der gestiegenen „Nachfrage“ nach Transparenz von Entscheidungswegen und inhaltlichen Abwägungen angepasst werden müssen.

Das ist gut, uneingeschränkt, weil es letztlich den sozialen Zusammenhalt stärkt, weil es aufklärerisch wirkt und, wenn auch im Streit, gesellschaftsstiftend ist.

Werkzeugkasten der lokalen Demokratie aufzeigen

Dafür muss die Demokratie durchaus nicht neu erfunden werden. Einwohnerfragestunden, die berlinweit einmaligen Bürgeranträge, die selbstverständlichere Nutzung der überwiegend öffentlichen Ausschusssitzungen der BVV stehen schon langen allen Pankower_innen offen und können als Informationsquellen und Diskussionsplattformen viel intensiver genutzt werden als bisher. Anregungen und Vorschläge zur langfristigen Investitionsplanung wurden bspw. in diesem Jahr zum ersten Mal nennenswert genutzt. Die Ausschüsse haben aufgrund dieser Vorschläge auch Änderungen angeregt. Eine von der Linksfraktion in der BVV geforderte Handreichung Bürgerbeteiligung, die einfach und nachvollziehbar darstellen sollte, welche vielfältigen Möglichkeiten der Einflussnahme auf bezirkliche Politik schon jetzt möglich sind, wurde vom zuständigen CDU-Stadtrat mit der Begründung, etwas Ähnliches werde auf Landesebene vorbereitet, bis jetzt nicht geliefert. Wer aber nicht weiß, was im Werkzeugkasten der lokalen Demokratie möglich ist und welches Werkzeug zu welchem Zweck das Geeignete ist, dem nützen diese Werkzeuge nichts. Deshalb brauchen wir auch hier eine Transparenzoffensive. Denn viele Konflikte wären weit weniger aufwändig und strittig für alle Beteiligten zu bearbeiten, gäbe es hier mehr Souveränität im Umgang mit dem schon vorhandenen Instrumentarium.

Darüber hinaus, und unserer Auffassung nach unterbelichtet, haben wir die Kinder- und Jugendbeteiligung in Pankow konsequent ausgeweitet. Mit einem gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen erarbeiteten Spielleitplan für Weissensee ist Pankow berlinweit Vorreiter. Und bei aller Kritik an den Abläufen um den Umbau der Kastanienallee, wurde hier auf meine Initiative hin zum ersten Mal ein Projekt realisiert, das altersgerecht Kinder an der Stadplanung beteiligt hat. Das wollen wir ausbauen, qualifizieren und verbindlicher gestalten.

Keine Vereinnahmung von Bürgerinitiativen

Dennoch wird es in der nächsten BVV sicher auch einen politischen Wettbewerb um die besten Ideen zur produktiveren und auch konfliktpräventiven zivilgesellschaftlichen Einbindung in bezirkliche Entscheidungsprozesse geben. Daran werden wir uns beteiligen. Ideen wie Bürgerentscheide unterhalb der Bezirksebene werden möglicherweise eine Rolle spielen, aber auch wirksamere Verfahren der frühzeitigen Bekanntmachung und bürgerschaftlichen Begleitung von Bauvorhaben.

Einem werden wir uns aber auch künftig enthalten. Wir werden wie bisher auch nicht versuchen, Bürgerinitiativen zu vereinnahmen, auf unsere politischen Mühlen zu leiten oder Parteiveranstaltungen als Runde Tische labeln.

Wie wir die Haushaltsplanung, die ja Grundlage vieler Dienstleistungen der öffentlichen Hand ist, wie Musikschulen, Bibliotheken, Kulturangebote, soziale Einrichtungen und Kinder und- Jugendfreizeitstätten, transparenter und der politischen Willensbildung der Bürger_innen auch innerhalb der Legislaturperiode zugänglicher machen können, ist dabei bislang völlig ungeklärt. Denn dieses Feld überfordert häufig selbst Bezirksverordnete. Auch wir haben da den Stein der Weisen noch nicht gefunden.

Bei all dem verlieren wir als LINKE aber auch jene nicht aus dem Auge, die nicht das soziale Kapital besitzen, Ihre Interessen und Problemlagen hörbar zu machen. Ihre Interessen dürfen nicht unter den Tisch fallen, auch für sie müssen wir Politik machen, Ihnen sind wir in gleicher Weise verantwortlich, wie jenen, die sich lust- bis frustvoll mit uns zu streiten vermögen. Auch die Auswirkungen kleinräumiger Initiativen auf den Gesamtbezirk werden wir im Blick behalten. Diesen Interessenausgleich und die damit verbundenen Abwägungen müssen die BVV und ihre Fraktionen leisten und dürfen sich dabei vor dem Druck eines vollen BVV-Saales nicht populistisch wegducken oder den Akteuren beifallheischend an den Hals werfen.

Für ein politisches Bezirksamt

Es gibt noch eine weitere Betrachtungsebene, die in diese Erwägungen hinein gehört.
SPD und LINKE hatten in ihrem Koalitionsvertrag eigentlich vereinbart, das Proporzbezirksamt abzuschaffen und stattdessen das politische Bezirksamt einzuführen, mit Regierung und Opposition. Im Laufe der Legislaturperiode ist die SPD jedoch davon abgerückt, als sie anfing nachzurechnen, wie viele Stadtratsposten sie das kosten würde. Dabei ist allen klar, daß die gegenwärtige Konstellation dem Demokratieprinzip der Transparenz und Verantwortungszuschreibung von Entscheidungen eigentlich widerspricht, als sie politische Unterschiede verwischt und für Bürger_innen nicht mehr nachvollziehbar ist, wer wofür steht.

Einschränkend muss der Ehrlichkeit halber aber auch hinzugefügt werden, daß der Sinn eines politischen Bezirksamtes nur dann erfüllt werden kann, wenn es stärkere Haushaltshoheit und Souveränität der Bezirke gibt.

Dies ist unter anderem ein Grund dafür, daß wir uns in Pankow bisher nicht für die Einführung eines Bürgerhaushaltes entscheiden konnten. Wo es gemessen am Gesamtbudget nur einen winzigen Bruchteil zur wirklichen Verfügung durch einen Bürgerhaushalt gibt, bleibt dieses Instrument mehr Feigenblatt und Demokratiesimulation, als das es tatsächlich relevante Steuerungsfunktion hätte.

Eine persönliche Anmerkung sei noch gestattet:

Immer wieder wird in virulenten Auseinandersetzungen deutlich, wie negativ das Bild empörter Bürger_innen von Bezirksverordneten häufig ist. Die einfache Formel jedoch: hier die innovativen und engagierten Bürger_innen, dort die inkompetenten und bürokratieversessenen Bezirksverordneten wird jedenfalls Letzteren nicht gerecht. Sie sind Bürger_innen wie allen anderen, nur mit politischem Mandat, nicht mehr und nicht weniger. Ihre Verordentenentschädigung ist so gering, das sie ausnahmslos alle den gleichen Lebens-und Arbeitsalltag haben wie alle anderen auch. Sie sind keine von den Bürger_innen geschiedenen Politelite. Die meisten haben sich, lange bevor sie Verordnete wurden, über Jahre kommunalpolitisch engagiert und ihre gesamte Freizeit für die Belange anderer aufgewendet. Für diese selbstgewählte Freizeitgestaltung schuldet ihnen niemand Dank. Dennoch kann es nicht schaden, sie als das wahrzunehmen was sie sind: engagierte Bürger_innen, die in freien Wahlen einen besonders legitimierten Status zur Interessenvertretung der Pankower_innen erworben haben, ohne dafür im mindesten vom Alltag der anderen geschieden zu sein. Das manchmal dennoch der Eindruck entsteht, sie entschieden wider die Interessen von Initiativen, hängt vielmehr damit zusammen, daß sie über das aktuelle Initiativinteresse hinaus noch wesentlich mehr Abwägungen in ihre Entscheidungsfindung einbeziehen, als dies die aktuell betroffenen Bürger_innen tun müssen.

Überschrift und Zwischenüberschriften: Prenzlberger Stimme

 

Christine Keil: Bürgermeisterkandidatin für die Partei DIE LINKE

Christine Keil wurde 1953 in Potsdam geboren und wuchs in Kleinmachnow auf. Von 1972 bis 1977 studierte sie in Moskau Maschinenbau, danach arbeitete sie bis 1995 als Diplomingenieurin im VEB Werkzeugmaschinen-
kombinat „7. Oktober“ (ab 1990 NILES Werkzeugmaschinen GmbH). Von 1996 bis 2000 war sie Bezirksstadträtin für Jugend, Familie und Kultur und stellvertretende Bezirksbürgermeisterin in Weißensee, von 2001 bis 2006 Be-
zirksstadträtin für Jugend, Schule und Sport in Pankow, seit 2006 Bezirks-
stadträtin für Jugend, Immobilien und stellvertretende Bezirksbürgermeisterin
Christine Keil hat zwei erwachsene Söhne und zwei Enkelkinder.

 

Weitere Debattenbeiträge zum Thema „Braucht Pankow mehr Demokratie?“:

Matthias Köhne: „Wie kann Bürgerbeteiligung funktionieren?“

Torsten Kühne: „Akzeptanz durch Beteiligung – Wer A will, muss B wagen“

Daniela Billig und Jens-Holger Kirchner: „Braucht Pankow mehr Demokratie?“

Philipp Magalski und Michael Mittelbach: „Mehr Transparenz und Teilhabe auch durch das Internet?“

Michael Efler und Lynn Gogolin: „Bürgerbegehren Kastanienallee – wie steht es um die Mitbestimmung in Berliner Bezirken?“



6 Kommentare zu “Wir brauchen eine Transparenzoffensive”

  1. Verlf

    Apr 05. 2011

    Guter letzter Absatz.

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  2. Bin Berlin

    Apr 05. 2011

    Frau Keil sollte den Begriff der Demokratiefeindlichkeit nicht zwangsläufig in denunziatorische Nähe zu „Avantgarde“ bringen: Leute, die vorangehen und Breschen der Bürgerbeteiligung in den Behördendschungel schlagen kann es nicht genug geben!

    Ob diese Machete aber durch eine Belehrung über das „was im Werkzeugkasten der lokalen Demokratie möglich ist“, ersetzt werden kann, selbst wenn diese von einer ehemaligen Mitarbeiterin einer Werkzeugmaschinen GMBH (Kombinat) geleistet wird,darf bezweifelt werden:
    Gerade in der Auseinandersetzung um die Kastanienallee musste „das neue Milieu innerhalb der Bürger_innenschaft“ in Gestalt der BIN-Berlin-vernetzten Initiativen “Stoppt K21!” und “NUrZu!” erfahren wie wenig die „berlinweit einmaligen Bürgeranträge“ mit denen eine Anwohnerbefragung eingefordert werden sollte, gegen einheitlichen Bezirksverordneten-Beton ausrichten können! schon vergessen? bitte hier nachlesen: http://www.prenzlberger-stimme.de/?p=15675
    Für den trauriger Tiefpunkt dieser Veranstaltung sorgte leider ein Genosse, http://bin-berlin.org/wp/?p=371 hier wird das so beschrieben:
    Auch dem “lin­ken” Be­zirks­ver­ord­ne­ten Wolf­ram Kempe geht es ja darum mit Re­chen­spiel­chen eine ab­stim­mungs­be­rech­tig­te Grup­pe zu kon­sti­tu­ie­ren, die auch das ge­wünsch­te Er­geb­nis lie­fert. Wenn das dann aus dem Pu­bli­kum VIEL ZU VOR­NEHM als “Scheiß” des­avou­iert wird, fällt ihm bloß brä­si­ger, schnö­se­li­ger, al­ler­dings sich selbst ent­lar­ven­der, Hohn ein: ”Das ist der Un­ter­schied. Ich hab ein Man­dat und du nicht!”

    In Ihrer persönlichen Anmerkung beklagt Frau Keil die Kritik an „inkompetenten und bürokratieversessenen Bezirksverordneten“ und dass deren „Verordentenentschädigung so gering sei, dass sie ausnahmslos alle den gleichen Lebens-und Arbeitsalltag haben wie alle anderen auch.“
    Was diese ZeitgenossInnen zuvor für Verdienste hatten kann sicher nicht pauschal gesagt werden – Aber sicher kann gesagt, werden, dass die Engagierten in den Initiativen OHNE einige Hundert Euro Aufwandsentschädigung aufkommen müssen,und mit jedem gedruckten Flugblatt draufzahlen – von den ungezählten Stunden eh­ren­amt­li­cher, un­ent­gelt­li­cher Selbst­aus­beu­tung abgesehen, die von den Inis investiert werden um sich über bürokratische Fußangeln zu informieren, die von solchen Leuten ausgelegt wurden, die dafür auch noch besoldet werden.

    Über einen weiteren Allgemeinplatz wäre es schön von Frau Keil Auskunft zu bekommen: welche Parteiveranstaltungen meinen Sie, die als Runde Tische gelabelt wurden? Die BIN-Initiativen würden schon gerne wissen, wem sie da auf den Leim gegangen sind…

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  3. keks

    Apr 05. 2011

    Dass ich nicht lache! Die Linke feiert sich selbst, angeblich seien sie „Motor und Drängler“ bei der „Ausweitung direktdemokratischer Instrumente“. Vor ein paar Wochen hat die Pankower Linksfraktion die direktdemokratischen Vorschläge von Stoppt K21 und Mehr Demokratie e.V. bezüglich der Kastanienallee so platt niedergeredet, wie kein anderer! Mit Routine und grösstem Vergnügen gegen das Volk regiert! „Bremser und Abwarter“ trifft eher.

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  4. und jetze?

    Apr 05. 2011

    … dit is der unterschied von theorie und praxis … frau keil gehört wahrscheinlich eher zu den theoretikern und herr kempe zu den praktikern der demokratieausübung …
    und der letzte absatz ist wirklich gut … so viel bescheidenheit ist schon eine zier, die wo es wert ist, gleich nochmal genannt zu werden:
    „Das manchmal dennoch der Eindruck entsteht, sie (die BVV-Parlamentarier) entschieden wider die Interessen von Initiativen, hängt vielmehr damit zusammen, daß sie über das aktuelle Initiativinteresse hinaus noch wesentlich mehr Abwägungen in ihre Entscheidungsfindung einbeziehen, als dies die aktuell betroffenen Bürger_innen tun müssen.“

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  5. und jetze?

    Apr 06. 2011

    Nochmal zu diesem berühmten letzten Absatz.
    Liebe Frau Keil, meinen Sie wirklich, dass jeder, der in einer „Initiative“ engagiert ist, damit nur und ausschließlich kurzfristige und egoistisch-solipsistische Interessen verfolgt – und damit das Gemeinwohl herausfordert bis gefährdet. Und sich ganz unkantisch verhält, a priori?

    Und dass deshalb die Ansammlung der Weisen (BVV) glücklicherweise die Geschicke des Landes, respektive Ländles, um soooooo vieles besser verwaltet?

    Mean you that earnest?

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  6. Keil

    Sep 19. 2011

    Ja, das gloob icke, „jetze“. Bürgerbeteiligung ja, aber bitte nicht meckern, wenn die Ergebnisse nicht so sind, wie man sich das vorgestellt hatte. Sie können mir das glooben, ick bin besser vorbereitet als diese ganzen Bürgerinitiativen. Die wollen doch nur ihre Partikularinteressen durchsetzen. ja, wo kämen wir denn dahin? Schließlich habe ich mich in der DDR ooch für die reräsentative Demokratie eingesetzt, war doch richtig, repräsentativ, wa?

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