Wird aus „Stille Straße 10“ „Tschaikowskistraße 14“?

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„Das Bezirksamt wird ersucht, das Vorhaben der „Volkssolidarität“ zur Errichtung einer Einrichtung der Behindertenhilfe in der Tschaikowskistraße 14 bei gleichzeitiger barrierefreier Unterbringung des Seniorentreffs Stille Straße 10 in der Einrichtung zu unterstützen“.
Mit diesen Worten beginnt ein Antrag, den die Fraktionen von SPD und Linke bei der letzten Tagung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) eingebracht hatten. Er soll nun eine dauerhafte Lösung für die Senioren bringen, die mit der Besetzung ihrer Freizeitstätte im Jahr 2012 weltweit für Aufsehen gesorgt hatten.

 

Jahrelanges Provisorium

Als die Bezirkspolitik den Besetzern nachgeben musste und die Stille Straße 10 an die Volkssolidarität als Träger überging, war das erst einmal nur als ein kurzzeitiges Provisorium gedacht. Denn es wurde zugleich eine Modernisierung des Hauses gefordert: Zweiter Rettungsweg, barrierefreier Zugang etc. Das alles sollte in einem überschaubaren Teitrahmen geschehen.
Zwar kostete das längst nicht die vom Bezirksamt geschätzten 2,5 Millionen, aber 800.000 Euro waren dann doch notwendig. Die, so war der Plan, sollten durch eine Zuwendung der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin aufgebracht werden.

Doch die Lottostiftung stiftete nicht.

Die nur bis Ende 2014 befristete Nutzungsvereinbarung wurde für ein Jahr verlängert, zugleich wurden Überlegungen angestellt, wie denn nun mit der unfreundlichen Situation umzugehen sei.
Seitens der Volksolidarität dachte man nun an eine größere Lösung: Ein Neubau für generationsübergreifendes Wohnen mit Tagesförderstätte und Wohnheim. Das würde wirtschaftlich Sinn machen, denn mit den Einnahmen könnte auch die Seniorenbegegnungsstätte mitfinanziert werden.

Wie so ein Haus aussehen könnte, darüber hatten sich die Senioren schon seit einiger Zeit Gedanken gemacht.
 

Einmal London und zurück

Anfang des Jahres nahm Jesko Fezer Kontakt zu den Pankower Damen und Herren auf. Der Hamburger Professor für Experimentelles Design ist einer der Kuratoren des Projekts „Wohnungsfrage“ des Hauses der Kulturen der Welt.
Er machte sie mit Maria Lisogorskaya und Lewis Jones bekannt, einem jungen Archtektenteam aus London. Zusammen sollten sie ein Projekt entwickeln, bei dem sich das Wohnen den jeweiligen Lebenphasen, das Miteinanderleben der unterschiedlichen Generationen den jeweiligen Bedürfnissen anpasst.
Da trafen zwei Welten aufeinander. Auf der einen Seite das junge, hippe Architektenkollektiv von Jenseits des Kanals, auf der anderen Seite die Pankower Rentnerinnen und Rentner. Man besuchte sich in der Stille Straße in Niederschönhausen und der High Street in Stratford, lernte sich kennen, diskutierte, experimentierte… (Ein sehr schöner Bericht darüber ist in der ZEIT zu lesen) Das Ergebnis ist derzeit im Haus der Kulturen der Welt zu sehen.

Und es hatte auch ganz praktische Folgen: Neben dem vielfältigen, von den Senioren selbst organisierten Programm in der Stille Straße, trifft sich dort nun auch ein „Wohntisch Pankow“, an dem jeder mitwirken kann, der ein Interesse am Wohnen der unterschiedlichen Generationen hat.

 

Unterstützung vom einstigen Gegner

Pläne, Träume, Wünsche sind das eine – das andere ist der Boden der Realität, auf dem sie umgesetzt werden können. Beim Bauen ist es neben vielen anderen Dingen ganz simpel das Grundstück, das in ausreichender Größe verfügbar sein muss.
Jenes der Stille Straße 10 war aber für einen Neubau mit all den Einrichtungen, wie sie die Volkssolidarität auf die beine stellen möchte, viel zu klein. Das naheliegendste – der Erwerb zweier Nachbargrundstücke – kam nicht in Betracht. Denn die sind bewohnt und vertreiben mochte die Nachbarn niemand.

Doch ein Stückchen weiter, in der Tschaikowskistraße schien ein brauchbares Areal vorhanden zu sein. Eigentümer ist der Bund, verwaltet wird es von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA). Derzeit ist es von einem Autohändler gepachtet.
Doch im Sommer hieß es plötzlich, eine städtische Wohnungsbaugesellschaft würde den Zuschlag bekommen.

Da bot sich der Pankower SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Mindrup an, bei der BIMA vermittelnd vorzusprechen. Das war insofern bemerkenswert, als dass Mindrup – seinerzeit noch Bezirksverordneter – zu den Hauptverantwortlichen zählte, die die Auflösung der Seniorenfreizeitstätte betrieben hatten.
Sei es, dass der Abgeordnete – der dem Vernehmen nach auch der der Linkspartei nahestehden Volkssolidarität beigetreten sein soll – nun plötzlich Gewissensbisse ob seines damaligen Handelns enpfand, sei es auch nur, dass Mindrup, der als Bundestagsabgeordneter außerhalb seiner Partei kaum wahrgenommen wird, schon mal Sympathiewerbung für eine Wiederwahl betreiben wollte – den Senioren war natürlich jede Unterstützung recht.
 

Projekt wird vorgestellt

Mittlerweile laufen die Verhandlungen ziwschen der BIMA und der „Volkssolidarität“ über einen Verkauf an die Wohlfahrtsorganisation. Einen ersten Vorentwurf für das Haus gibt es ebenfalls: Mehrgenerationenhaus, eine Wohneinrichtung für dreißig behinderte Menschen, ein öffentliches Café – und ein modern eingerichteter Seniorenfreizeittreff mit barrierefreiem Zugang.
Und damit die Bezirksverordneten auch wissen, worüber sie bei dem Eingangs erwähnten Antrag entscheiden, wird der Berliner Geschäftsführer der Volkssolidarität morgen den Pankower Verordneten im Ausschuss für Stadtentwicklung das Konzept vorstellen.

So lange, bis der Neubau steht, werden die Seniorinnen und Senioren jedoch in der geschichtsträchtigen Villa in der Stille Straße 10 bleiben können.

 

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