Plötzlich ging alles ganz schnell. Während am Montagnachmittag die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales noch mitteilte, dass für die Herrichtung der Sporthalle Gounod-/Smetanastraße zu einer funktionierenden Notunterkunft wohl noch eine Woche benötigt werde, war am späten Abend schon alles anders.
Die Halle war gesäubert (die verstopften Toiletten hatte bereits der Hausmeister wieder in Gang gebracht), Bettwäsche war herangeschafft worden, die Unterkunft bekam einen Wachschutz, der seinen Namen verdient und auch ein Zaun, der die Notunterkunft vom Schulgelände abgrenzt, war alsbald aufgestellt.
Das ganz Normale also, das eigentlich ohne größere Anstrengungen organisiert werden konnte – und so kamen auch die freiwilligen Helfer wieder zurück, denen im Vergleich zum vorherigen Zustand die Lage fast schon paradiesisch vorkommen musste und die wie gewohnt mit anpackten: Beim Beziehen der Betten, der Aufnahme der erneut zur Halle gebrachten Flüchtlinge, der Essenausgabe…
Der Grund für den erstaunlichen Wandel: Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) hatte sich nun doch vom bisherigen Betreiber mit dem ausgeprägten Schlafbedürfnis getrennt und einen anderen eingesetzt. Der hatte es dann tatsächlich geschafft, sich ans Telefon zu setzen und die entsprechenden Dienstleister zu ordern.
Mithin alle scheinen Probleme beseitigt.
Tatsächlich?
Verwirrung in der Senatsverwaltung: Wer ist der Vertragspartner?
Die Schwierigkeiten fangen schon damit an, dass die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales offensichtlich nicht so recht weiß, welchem Unternehmen sie das Betreiben der Notunterkunft nun übertragen hat.
Während es einerseits hieß, der Betreiber sei derselbe, wie bei der Unterkunft am Karower Bedeweg – hier wurde bei der Eröffnung die SocialSupportBerlin gemeinnützige UG (haftungsbeschränkt) genannt – verbreitete die Senatsverwaltung am Mittwochabend auf Twitter: „neuer Betreiber Ioan Schmidt Company Services UG“.
@PrenzlStimme Nun doch neuer Betreiber. Ioan Schmidt Company Services UG. Sorry für die späte Antwort!
— SenGesSoz (@SenGesSoz) 9. Dezember 2015
@PrenzlStimme Das war die Information, die wir vorhin erhalten haben. Wir prüfen das nochmal nach und melden uns dann.
— SenGesSoz (@SenGesSoz) 9. Dezember 2015
Ein Blick in das Handelsregister offenbart zwar, dass beide Gesellschaften einem Ioan Schmidt gehören und auch von ihm geführt werden – aber es sind eben zwei unterschiedliche Firmen: Die eine hat den Status der Gemeinnützigkeit, die andere ist gewinnorientiert. Doch auch nach einer Rückfrage am Freitag war es der Senatsverwaltung noch immer nicht möglich klarzustellen, welches von beiden Unternehmen denn nun mit dem Betreiben der Notunterkunft in der Sporthalle Gounod-/ Smetanastraße beauftragt wurde.
Mit 350 Euro zwei Notunterkünfte am Laufen halten?
Die „SocialSupportBerlin gemeinnützige UG“ wurde am 17. November 2015 ins Handelsregister eingetragen – nur wenige Tage vor der Übernahme der Karower Sporthalle. Als Grundkapital sind laut Registerauszug gerade einmal 350 Euro vorhanden. Salopp formuliert: Zum schlappen halben Tausender hatte es wohl schon nicht mehr gereicht.
Das ist insofern bemerkenswert, weil zum Führen einer Flüchtlingsunterkunft es neben anderer Voraussetzungen auch eines gewissen finanziellen Polsters bedarf. Für vieles ist erst einmal in Vorleistung zu gehen: Für den Wachdienst, das Reinigungsunternehmen, den Caterer ebenso wie für Ausstattungsgegenstände, zum Beispiel Waschmaschinen, Kühlschränke oder auch nur schnödes Toilettenpapier
Das gilt auch für das Personal. Bei einer Unterkunft für 150 Menschen bewilligt das LaGeSo rund sechs Vollzeitstellen, die nach Tarif zu bezahlen sind.
Eine Menge Holz also. Woher aber kommt der monatlich sicher sechsstellige Betrag, mit dem das alles erstmal beglichen werden muss? Ist er überhaupt vorhanden?
Bis das LAGeSo die erste Tranche überwiesen hat, können Monate vergehen. Das Landesamt kommt mit den Abrechnungen schon seit langem nicht mehr hinterher. Derzeit steht es mit 25 Millionen Euro bei etlichen Betreibern in der Kreide.
Dass eine Bank einer frisch gegründeten Unternehmensgesellschaft mit 350 Euro Kapitaleinlage einen Kredit einräumt, der wesentlich über Null Euro liegt, ist eher nicht anzunehmen.
Werden vielleicht Gewinne aus anderen unternehmerischen Tätigkeiten von Ioan Schmidt eingesetzt?
Mal pleite…
Aus Ioan Schmidts „porta negra classico Limited“ wohl eher nicht.
Denn diese Firma wurde 2010 von Amts wegen gelöscht. Das passiert meist dann, wenn ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vom Gericht mangels Masse abgelehnt wird. Die letzte öffentlich verfügbare Bilanz der mit einem Kapital von ganzen drei britischen Pfund (damaliger Gegenwert 4,50 Euro) ausgestatteten Gesellschaft, aus der den Betrachter ein Minus in fünfstelliger Höhe angrinst, weist auf eine Totalpleite hin.
Dass er sich durch den herben Verlust von viereinhalb Euro Haftungskapital nicht entmutigen ließ und umgehend ein neues Unternehmen – die „I-medical company services Unternehmensberatung UG (haftungsbeschränkt)“ – gründete, spricht für den Unternehmer Schmidt. Auch dass er sich nach dem offensichtlichen Misserfolg nun berufen fühlte, andere zu beraten, sollte positiv gesehen werden – schließlich sind auch Verlusterfahrungen es wert, weitergetragen zu werden.
Der im Handelsregisterauszug beschriebene Unternehmenszweck erinnert ein wenig an einen Gemischtwarenladen. Im Angebot waren von „prozessorientierte(r) Beratung von Unternehmen und Dienstleistern im Gesundheitsmarkt, wie z.B. Arztpraxen, Apotheken etc., sowie die betriebswirtschaftliche und prozessorientierte Beratung von Privatpersonen und Dienstleistern anderer Gewerberichtungen“ bis hin zur „Vermittlung von erlaubnisfreien Finanzprodukten und die Übernahme der Geschäftsführung von fremden Gesellschaften“. Später kam noch die „Erbringung von Postdienstleistungen im Brief-, Kurier-, Express- und Paketbereich“ hinzu. Was ein bisschen klingt wie: „Übernehme jeden Job“.
Betrachtet man sich diese Gesellschaft näher, fallen vor allem zwei Dinge auf: Eine erstaunliche Wanderlust und eine nicht minder verblüffende Ruhe.
… mal Leerlauf
Die Wanderlust dokumentiert sich in den häufigen Verlagerungen des Firmensitzes. Beginnend 2010 in Bonn, ging die Reise nach Frankfurt am Main, dann weiter nach Rheine (NRW) und wieder zurück nach Frankfurt. Im Februar 2014 erfolgte der Umzug nach Berlin und die Umbenenung in „Ioan Schmidt Company Services UG (haftungsbeschränkt)“.
Ruhe strahlt dagegen die Webseite der Unternehmung aus. Keine Referenzen, keine aktuellen oder ehemaligen Projekte – nichts.
Sich selbst stellt Ioan Schmidt da als „leitender Auditor für Qualität (ISO 9001)“ vor (gemeint ist wohl „Qualitätsmanagement“).
„Seine Beratungstätigkeit“ heißt es dort, „bezieht sich nahezu auf alle Branchen, insbesondere durch seine vorhergehende berufliche Tätigkeiten in den Bereichen der Security, Aviation und des Gesunheitswesens weist er hierin besondere Kenntnise auf. “ (Rechtschreibung wie im Original).
Ob mit „Aviation“ der Cocktail gemeint ist oder doch bloß die Fliegerei („Das Flugwesen, Genossen Bauern, es entwickelt sich…“), lässt der Text offen. Dafür macht zugegebenermaßen das Attribut „leitend“ gerade bei einem Ein-Mann-Unternehmen sehr viel her… .
Noch aussagekräftiger ist der Bereich, in dem die Philosophie des Unternehmens dargelegt wird.
Und der Facebookauftritt der Firma: Eine Insel der Stille im laut tosenden Meer des zuckerbergschen Seitenimperiums.
Da überrascht es dann nur noch mäßig, wenn man mit Blick in die veröffentlichten Bilanzen feststellt, dass seit der Firmengründung im Jahr 2010 bis zum 31. Dezember 2012 keine wie auch immer geartete Geschäftstätigkeit stattgefunden hatte. Die Bilanz für das Jahr 2013 – obwohl sie laut GmbH-Gesetz spätestens am 1.Januar dieses Jahres beim Bundesanzeiger hätte hinterlegt werden müssen – liegt dort, so die Auskunft der Servicestelle, nicht vor. Die Vermutung, dass sie ebenso ausgeglichen wirkt, wie die vorangegangenen, ist naheliegend.
Offenbar fehlende Voraussetzungen
Da stellt sich dann nicht nur die Frage nach dem finanziellen Hintergrund, sondern auch jene nach der fachlichen Eignung.
„Die Betreiber müssen über umfangreiche Erfahrungen in der Arbeit mit Asylbewerbern und Flüchtlingen sowie insbesondere deren Unterbringung, Betreuung und Versorgung oder zumindest über umfangreiche Erfahrungen in einem vergleichbaren sozialen Bereich verfügen“, heißt es in der aktuellen Leistungsbeschreibung des Landesamtes für Gesundheit und Soziales über die Voraussetzungen, die ein Betreiber einer Unterkunft mitbringen muss.
Ob der Unternehmensinhaber Ioan Schmidt über etwas in dieser Richtung verfügt, bleibt im Dunkeln. Weder in der frugalen Selbstdarstellung auf seiner Firmenseite, noch anderswo ist von einem Hinweis auf solche Erfahrung etwas zu finden.
Immerhin sind auf Schmidts persönlichem Facebook-Account neben tiefsinnigen politischen Kommentaren
oder der Hoffnung, dreizehnfuffzich Eintritt für die Teilnahme an einer Singleparty zu sparen
auch einige flüchtlingsspezifische Post wie jenes
zu finden. Aber ob dies tatsächlich mit „umfangreichen Erfahrungen“ gleichzusetzen ist, erscheint eher zweifelhaft.
Offenbar fehlt dem zweifachen Unterkunftsbetreiber sogar die Fähigkeit, eigenständig eine Stellenanzeige zu formulieren. Denn warum sonst hätte er die Annonce, die ein Köpenicker Betreiber im Oktober 2015 auf ebay einstellte, eins zu eins abkupfern müssen?
Links das Köpenicker Original, rechts das Copy-Paste-Duplikat von Ioan Schmidt (zum Vergrößern anklicken) |
Unklare Qualifikation
Das wirft die Frage auf, über welche berufliche Qualifikationen Ioan Schmidt überhaupt verfügt, die die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales dazu veranlasst haben könnte, ihm die Verantwortung für zwei Notunterkünfte mit mehreren Hundert Menschen darin zu übertragen.
Im Facebookaccount von Schmidt ist mit Datum vom 2. Dezember 2010 der Eintrag
zu lesen. Das Kürzel „qm-b“ steht wohl für „Qualitätsmanagement-Beauftragten“. Immerhin etwas, möchte man meinen.
Moment mal – Beauftragter?
Auf Schmidts Firmenhomepage steht doch aber:
„Die personelle Basis besteht aus dem Geschäftsführer Herrn Ioan Schmidt, der hierfür die Qualifizierung als Qualitätsmanagement-Auditor TÜV in 2010 an der TÜV-Süd Akademie erlangt hat. „
Der Unterschied ist nicht unerheblich: Die Qualifikation eines Beauftragten stellt lediglich die Vorstufe zu jener eines Auditor dar.
Und ganz nebenbei: Nach Auskunft des TÜV Süd fanden am 2. Dezember 2010 überhaupt keine Prüfungen statt. Nirgends. Denn der 2.12. 2010 war ein Donnerstag und geprüft wird beim TÜV Süd stets am Ende eines fünftägigen Lehrganges – am Freitag.
Aber vielleicht ist er ja irgendwann später zum „Auditor“ aufgestiegen, an einem Freitag und ohne viel Aufhebens davon zu machen.
Unbeantwortete Fragen
Von anderen Qualifikationen ist nirgends etwas zu finden, wohl aber von diesem oder jenem Studium.
„Unsere Firmenkompetenz wird durch das Wirtschaftsrechts-Studium abgerundet, das uns ermöglicht, Wissen und Forschung im Bereich des Rechtes und der Wirtschaft ebenfalls anbieten und anwenden zu können.“
Das ist nett formuliert, denn studieren kann man manches – entscheidend sind aber die Abschlüsse. Darüber ist nirgends etwas zu lesen.
Über berufspraktische Erfahrungen – sieht man mal von der von Amts wegen gelöschten Unternehmung und jener Gesellschaft ab, die ihr Dasein ohne erkennbare Aktivitäten zu fristen scheint – war ebenfalls nichts zu vernehmen.
So drängt sich der Verdacht auf, dass mittlerweile buchstäblich jeder, der irgendwie noch 350 Euro zusammenkratzen kann, vom LAGeSo als befähigt angesehen wird, die Verantwortung für die Sicherheit und das Wohlergehen von mehreren hundert Menschen übertragen zu bekommen, die auf Grund ihrer Situation eigentlich eines besonderen Schutzes und einer besonderen Fürsorge bedürften.
Mehrfache Versuche der Prenzlberger Stimme, von Ioan Schmidt selbst mehr über seine Befähigungen zu erfahren, schlugen leider fehl.
Auch entsprechende Anfragen an die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales harren seit Mittwoch Abend ihrer Beantwortung. Aber möglicherweise hat man dort ja noch immer nicht herausgefunden, welchem Unternehmen man denn nun tatsächlich das Betreiben der beiden Flüchtlingsunterkünfte in Karow und Weißensee übertragen hat.
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