Fahrradfahren auf der Schönhauser Allee ist ja auch so ein Ding für sich. Von den rund 6,5 Kilometer Radweg sind dort knapp fünf Kilometer „abgeordnet“. Das heißt: nicht benutzungspflichtig. Weil sie den Sicherheitsanforderungen nicht entsprechen. Zu schmal, zu unübersichtlich.
Dennoch meiden die meisten Radler die von Autos dominierte Fahrbahn und zuckeln über das mitgenommen wirkende Radwegpflaster.
Vor allem auf dem Mittelteil der Schönhauser Allee – so zwischen Wisbyer und Danziger Straße – bekommt der Begriff „Stoßzeiten“ für den Radwegbenutzer gleich noch einmal eine ganz andere Bedeutungsdimension.
Was nicht zuletzt daran liegt, dass zum Beispiel das auf der Ostseite der Allee verwendete Pflaster – eine Art von Terrazzoplatten, die sonst nur zur Befestigung von Gehwegen verlegt werden – dem Dauerstress von oben (Radler ohne Ende, aber auch aufparkende Autos) und unten (vor allem expandierende Wurzeln von Straßenbäumen, die viel zu dicht in viel zu kleinen Baumscheiben an den Radwegen stehen) schlicht nicht mehr gewachsen sind.
Und so kommen neben den Nutzern der Radwege auch die Experten von Senat und Bezirksverwaltung zu dem Schluss:
Um die Verkehrssicherheit für Radfahrer im Straßenzug Schönhauser Allee aufrecht zu erhalten, ist es notwendig, die bestehenden baulich angelegten Radwege zu sanieren.
So geäußert auf der jüngsten Sitzung des Pankower BVV-Ausschusses für Verkehr und öffentliche Ordnung.
Auch die Kosten wurden schon mal überschlagen: Insgesamt 445.455 Euro müssten für eine Neuasphaltierung der insgesamt 7.424,25 Quadratmeter Schönhauser-Allee-Radwege aufgewendet werden.
„Rückholbare Lösungen“
Allerdings: Sie würden dadurch keinen Millimeter breiter oder für Autofahrer einsehbarer werden – und Senatsgelder zur Radwegerneuerung gibt es erst ab einer Spurbreite von 1,60 Meter. Die Radwege in der Schönhauser sind jedoch im Höchstfall nur 1,50 Meter breit. An einigen Stellen nicht einmal das.
Stattdessen wollen Senat und Bezirk nun experimentieren. „Rückholbare Lösungen“ nannte das Burkhard Horn, Leiter der Abteilung Verkehr in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt in der besagten Ausschusssitzung.Die Ausgangslage ist klar: Drei Arten von Fortbewegung (oder Stillstand) sind dem Straßenverkehr im Allgemeinen eigen: Fußgänger, Radfahrer und Autos. Gerade im zentralen Teil der Schönhauser Allee leiden alle drei Gruppen unter zum Teil akuten Plantzmangel. Den größten Raum pro Person nehmen die Kraftfahrzeuge ein. Dieses Missverhältnis soll nun etwas korrigiert werden – wie, das will man in verschiedenen Versuchen ausprobieren.
Rechter Fahrstreifen als Wiese oder Gartenlokal
Beim Experiment Nummer Eins würden auf der östlichen Allee-Seite zwischen Stargarder und Wichertstraße die Parkplätze am Straßenrand ersatzlos gestrichen. Nach Ansicht des Bezirksverordneten Roland Schröder(SPD), der auch dem Stadtentwicklungsausschuss der Bezirksverordnetenversammlung vorsitzt, wäre das ohne gravierende Nachteile für die PKW-Besitzer umsetzbar, da in den angrenzenden Nebenstraßen auf Grund der Parkraumbewirtschaftung ausreichend Stellplätze vorhanden seien.
Der so gewonnene Raum, so Senatsvertreter Burkhard Horn, könnte dann eine temporäre Begrünung oder eine gastronomische Nutzung erfahren.Umgesetzt werden soll dieser Versuch möglicherweise schon in diesem Jahr.
Allerdings werden sich die Radfahrer herzlich bedanken, wenn sie bei ihrem Ritt in der Nähe des S-Bahnhofs auf dem viel zu schmalen Radstreifen nicht nur auf Vorderfrau und Hintermann, auf zuweilen auf dem Radweg verträumt lustwandelnde Fußgänger, immer mal wieder entgegen kommende Geisterfahrerinnen (fast ausschließlich Frauen nutzen Radwege in der falschen Richtung – warum eigentlich?), sondern dann auch noch auf mit Bierhumpen, Kartoffelsalat und veganem Sushi beladenes Servierpersonal achten müssen, das ständig auf dem Weg vom im Haus befindlichen Lokal zur auf der einstigen Fahrspur aufgebauten „Gartenterrasse“ den Radweg kreuzt.
Fahrspur als Radweg
Die zweite Variante würde sicher mehr Sinn machen: Sperrung der rechten Straßenspur für den Autoverkehr und deren Umwidmung zum Radweg. Laut Senats-Abteilungsleiter Burkhard Horn würde der Wegfall der rechten Autospur keine größeren Auswirkungen auf die Flüssigkeit des Autoverkehrs haben. Was einleuchtet, denn diese Spur ist zum großen Teil sowieso nur vom sogenannten „ruhenden Verkehr“ belegt.
Mit der Realisierung dieser Idee könnte durch den Wegfall der jetzigen Radspur auch der Gehweg verbreitert und den Straßenbäumen die ihrem Gedeihen angemessenen Baumscheiben ermöglichen.Was bei beiden Varianten irritiert, ist die Zaghaftigkeit: Warum soll das alles nur auf der östlichen, nach Norden führenden Seite der Schönhauser Allee umgesetzt werden? Stadteinwärts dürfte der Verkehr – frei nach dem Herbert-Wehner-Spruch „Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen“ – auch nicht größer sein, als in Richtung Pankow: Wer raus fährt aus der Stadt, muss auch irgendwann wieder reinkommen – und umgekehrt.
Und das für die Minivariante Zwei zuvor auch erst noch eine „Machbarkeitsstudie“ in Auftrag gegeben werden soll, zeugt von einem geradezu überbordendem Kleinmut.
Dieses Zagen und Zaudern lässt dann die dritte Variante wohl auch in weite Ferne rücken: Die Sperrung des gesamten nach Norden führenden Fahrstreifens – wieder nur zwischen der Stargarder Straße und Wichertstraße. Der gesamte Autoverkehr würden dann stadtein- und auswärts über westliche Fahrbahn der Schönhauser Allee geführt werden: Eine Spur rein, eine Spur raus.
Radwege bleiben erstmal, wie sie sind
Erfunden wurden diese Gedankenspiele übrigens schon im vergangenen Sommer bei einem von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt initiierten „Workshop“ mit dem Kopenhagener Stadtplanungsbüro Gehl Architects. Immerhin ließ Senatsvertreter Horn erkennen, dass er die Kopenhagener erneut nach Berlin verpflichten möchte – auch um die möglichen Verkehrsvarianten in der Schönhauser Allee zu vertiefen.
Die Bezirksverordneten des Pankower Verkehrsausschusses waren jedenfalls von den Schönhauser-Allee-Perspektiven fraktionsübergreifend begeistert. Und der Vorsitzende des Pankower Stadtentwicklungsausschusses Roland Schröder frohlockte: „Auch Hauptverkehrsstraßen kann man beruhigen.“
Gesprochen wurde übrigens auch noch über den gegenwärtigen Zustand der Fahrradwege in der Allee. Auch hier war die Meinung der Bezirksverordneten einhellig: Auf Grund der großartigen Perspektiven, denen die Schönhauser Allee nun entgegen sieht, lohnt eine großflächige Sanierung nicht mehr. Nur da, wo die Piste völlig zu zerbröseln droht, sollten ein paar Notreparaturen vorgenommen werden.
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Der Kirchner-Berg kreißte und gebar…. drei Parklets
Timme
Apr 07. 2016
‚[…]Geisterfahrerinnen (fast ausschließlich Frauen nutzen Radwege in der falschen Richtung[…]“
Habt ihr hierfür irgendwelche haltbare Studien zur Hand oder soll nur dem üblichen Sexismus gefrönt werden?
von ODK
Apr 07. 2016
Nö. Das ist mein tägliches Erleben.
Thomas Strobel via Facebook
Apr 07. 2016
(fast ausschließlich Frauen nutzen Radwege in der falschen Richtung – warum eigentlich?) – interessante These, aber wie kommt man eigentlich darauf?
Le Mans via Facebook
Apr 07. 2016
indem du dich mal ne halbe Stunde vor meine Haustür setzt.
Prenzlberger Stimme via Facebook
Apr 07. 2016
Indem man einen beliebigen Radweg – zum Beispiel in der Schönhauser Allee, wo das Ausweichen besonders heikel ist – entlang fährt… . Warum das so ist, weiß ich auch nicht. Ich erlebs eben nur immer wieder.
Thomas Strobel via Facebook
Apr 07. 2016
Sollte man das wirklich so schreiben? Auch wenn man vielleicht den Eindruck hat, dass es überwiegend Frauen sind, hätte ich das so nicht getippt. 😉
Ich meide den Radweg der Schönhauser, alleine bei dem Wetter der letzten Tage, wäre ich dort nur sehr langsam Vorwärts gekommen.
Prenzlberger Stimme via Facebook
Apr 07. 2016
Warum sollte man das nicht so schreiben? Selbst erlebt, jeden Tag neu. Eines der unerklärlichen Rätsel dieser Welt…
Johnny
Apr 09. 2016
Vielleicht weil es – selbst wenn die These begründet wäre – rein gar nichts mit der Thematik des Artikels zu tun hat, ob die Geisterfahrer nun vorwiegend Frauen oder Männer sind.