Als der Bus mit dem Senator, den Vorständen der sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und einer Handvoll Journalisten in der Gubitzstraße ankam, waren auch die Trommler wieder da.
Die hatten schon vor einem Jahr die Grundsteinlegung des an der Ecke Grellstraße entstehenden Neubaus der GEWOBAG rhytmisch begleitet. Diesmal tanzte dazu noch eine junge Dame mit einem Flatterband am Stiel, flankiert von einem rote Bälle werfenden Jongleur.
Oh, ihr unergründlichen Symbole…
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt hatte den „Tag der Neubauten“ ausgerufen, samt einer Besichti-
gungstour für Journalisten quer durch Berlin. Jede Wohnungsbaugesellschaft präsentierte eine Baustelle.
Anfangs war auch noch der Regierende Bürgermeister Michael Müller mit im Bus (und auf der jeweiligen Bühne), um – es ist Wahlkampf – zu zeigen: schaut, mit mir geht es voran.
Es ist der selbe Müller, der als langjähriger Partei- und Fraktionsvorsitzender der Dauerregierungspartei SPD einen Großteil der Verantwortung dafür trägt, dass die städtischen Wohnungsbaugesellschaften über ein Jahrzehnt lang überhaupt nichts gebaut hatten.
Nun aber volle Pulle: 54.000 neue Wohnungen sollen die kommunalen Wohnungsunternehmen in den kommenden zehn Jahren errichten – zur Zeit passiert das vor allem auf rund einhundert Klein- oder Kleinstbaustellen der Stadt.
Später sollen Großsiedlungen wie in der Elisabethaue das lang Versäumte kompensieren.
Was bei Präsentation auffällt: Die Mieten liegen meist jenseits von zehn Euro – lediglich ein Drittel der Wohnungen ist auf 6,50 Euro Kaltmiete begrenzt.
Dabei führt auch Senator Geisel stets das Wort von den „bezahlbaren Wohnungen“ im Mund – und man merkt, dass das ein ziemlich dehnbarer Begriff ist. Bezahlbar ist schließlich alles – es fragt sich nur, für wen.
So bekennt Andreas Geisel dann auch freimütig, dass sozialer Wohnungsbau für ihn nicht an vorderster Stelle steht. Die Begründung: Sonst würde man irgendwann nur noch Sozialwohnungen und hochpreisige Wohnungen haben – und dazwischen nichts.
Das Defizit bei Sozialwohnungen wächst
Offenbar ist dem Senator der dramatische Schwund an Wohnungen im Geringverdiener-Segment entgangen. Während Berlin vor zehn Jahren noch über einen Bestand von 200.000 Sozialwohnungen verfügte, sind es jetzt nur noch rund 120.000. Und das Defizit wächst weiter.
Allein 5.000 Wohnungen fallen in diesem Jahr vorzeitig aus der Sozialbindung heraus, weil eine Berliner Sonderregelung es Eigentümern möglich macht, vorzeitig aus der Bindung auszusteigen. Zugleich werden 2016 Jahr aber nur 2.000 sozialgebundene Wohnungen neu gebaut, ab 2017 sollen es dann jährlich 3.000 sein.
Zu den Möglichkeiten des vorzeitigen Ausstiegs aus der Sozialbindung kommt das reguläre Auslaufen der Förderung.
Denn die Sozialbindung der von privaten Investoren gebauten Wohnungen ist immer zeitlich begrenzt. Läuft die Förderzeit ab, ist der „Mietpreisgestaltung“ nach oben praktisch keine Grenze mehr gesetzt.
Dennoch begibt sich der Berliner Senat mit seiner derzeitigen Wohnungsbauförderungspolitik wieder in dieselbe Falle.
In der Elisabethaue soll die Hälfte der Flächen an private Investoren vergeben werden, die wiederum nur 25 Prozent der Wohnungen zu den berühmten 6,50 Euro Einstiegsmiete anbieten sollen. Läuft die Förderzeit irgendwann aus, ist auch bei diesen Wohnungen für die „Mietpreisgestaltung“ keine Grenze mehr gesetzt. Was dann bleibt, um die daraus entstehende soziale Verdrängung abzumildern, sind staatliche Beihilfen in Form von Mietzuschüssen.
Rund 15 Milliarden Euro zahlt die öffentliche Hand derzeit im Jahr via Wohngeld und anderen Leistungen, um hohe Mieten für mittlere und untere Einkommensschichten abzufedern – eine riesige Subvention vor allem für private Vermieter. Würde die Summe zur Förderung des gemeinnützigen, nicht auf Gewinnstreben basierenden Wohnungsbaus eingesetzt, wäre das eine das eine nachhaltige und langfristige „Mietpreisbremse“.
Genossenschaften spielen in der Berliner Wohnungspolitik kaum eine Rolle
Doch die Wohngemeinnützigkeit wurde 1990 abgeschafft, die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, sind seitdem der Körperschafts-, Gewerbe- und Vermögensteuerpflicht unterworfen. Das Geld, das als Abgaben gezahlt werden muss, fehlt den Genossenschaften für den Erwerb von Flächen und den Bau neuer Wohnungen.
Das ist zwar Bundesrecht, das das Land Berlin nicht außer Kraft setzen kann, doch für die geplanten Großprojekte böte sich zum Beispiel an, Genossenschaften beim Erwerb von Grundstücken preislich zu privilegieren. Der genossenschaftliche Wohnungsbau spielte aber bei der Landespolitik bisher praktisch keine Rolle.
Zumindest für die Elisabethaue scheint sich im Hause Geisel nun ein vorsichtiges Umdenken anzubahnen. Während kürzlich Geisels Staatssekretär Engelbert Lütke Daltrup sich dort Genossenschaften als Bauherren unter „ferner liefen“ vorstellen konnte, zeigte sich der Senator auf der Neubau-Tour aufgeschlossener. Man sammle, so Geisel, auf der „Schöneberger Linse“ Erfahrungen. Dort wurde eine 4.000 Quadratmeter große Fläche in vier verschieden große Parzellen unterteilt, die an unterschiedliche Bauherren (Baugruppen, Wohnungsbaugenossenschaften, soziale Träger) im Rahmen von vier parallel laufenden Konzeptverfahren vergeben werden. Ähnliches, so Geisel, könne er sich in einem größeren Rahmen auch für die Elisabethaue vorstellen.
Wie groß der Anteil an gemeinnützigen Wohnungen werden könnte, ließ er allerdings ebenso offen, wie die Frage nach der privilegierten Grundstücksvergabe an Genossenschaften.
„Tag der Neubauten“ – versus Tag der Sanierungsbauten
Nachdem GEWOBAG-Vorstand Snezana Michaelis den Senator in der Gubitzstraße durch den Rohbau führte und Andreas Geisel zum wiederholten Male stolz darauf hinwies, dass trotz der 10-Euro-plus-X-Mieten der Neubau-Mietzins bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften immer noch unter den vergleichbaren Angeboten der privater Investoren liege, hätte der Bus nun einen kurzen Abstecher in die Knaackstraße machen können.
Die ist nur fünf Fahrminuten vom Vorzeige-Robau in der Gubitzsstraße entfernt.
Dort hatte die Mieter der zur GEWOBAG gehörenden Häuser 60 bis 68 so etwas wie einen Tag der Sanierungsbauten veranstaltet und GEWOBAG-Vorstandsfrau Snezana Michaelis hätte dem Senator zeigen können, wie seine Haltung, Sozialwohnungen hätten keine Priorität genießen von ihrer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft in die Realität übersetzt wird.
Die Häuser der Knaackstraße 60 – 68, erbaut in den 1950er Jahren, sind so fast die letzten in der Gegend, in denen die Miete bei noch erträglichen fünf bis sechs Euro plus ein paar Cent liegt.
Was eigentlich schon viel erscheint – denn an der Ausstattung der Wohnung wurde seit der Errichtung der Häuser kaum etwas verändert.
So kann man hier noch Kachelöfen finden – auch vorsintflutliche Badeöfen sind noch in Betrieb. Der Mietpreis hat also weniger mit der Ausstattungsqualität der Wohnungen zu tun, als mit dem Ort, in dem sie sich befinden: Mitten in Prenzlauer Berg.
Anfang des Jahres erhielten die Mieter der 85 Wohnungen von der GEWOBAG ein Schreiben mit einer Modernisierungsankündigung und der dazugehörigen Mieterhöhung bis zu 80 Prozent mehr Miete wurden darin avisiert. Wird dies umgesetzt wäre, ein weiteres knappes Hundert an Wohnungen mit Sozialmietniveau verschwunden.
Irgendwas läuft schief in der aktuellen Berliner Wohnungspolitik
Hier die Forderungen der Mieter der Häuser Knaackstraße 60 – 68




Kathrin Berger via Facebook
Juli 01. 2016
.. während die Anwohner lieber Ruhe gehabt hätten 😉 –
Annemarie Hanke via Facebook
Juli 01. 2016
Ich denke jetzt erst recht soziale Wohnungen !!!
Gisela Maeder
Juli 02. 2016
Sozial-Demokraten? Wohl eher nicht, wenn man deren Aussagen näher beleuchtet.
Eher Volksverdummung
Na, mal sehen, ob nach der Wahl der Bürgermeister noch Müller und der Bausenator noch Geisel heißt?