Woanders habe ich sie bisher noch nicht gesehen: Etwas dunkler, als normale Schrippen oder „Semmeln“; etwas kräftiger im Geschmack. Und wann immer ich an der Bäckerei in der Kugler-/Ecke Meyerheimstraße vorbeikomme… – ach was, ich komme eben nicht an ihr vorbei! Ich mache Halt, trete in den Eckladen ein: „Fünf Roggenschrippen, bitte!“
„Wer weiß, was die da reintun“, meinte ein skeptischer Freund, der sich kürzlich nur deshalb eine Brille verschreiben ließ, weil er das Kleingedruckte über die Inhaltsstoffe der Konserven, von denen er sich hauptsächlich ernährt, nicht mehr entziffern konnte. Also: Was ist drin in den Roggenschrippen?
Obwohl der 24. Dezember, erinnert in der Backstube nichts an eine Weihnachtsbäckerei. Es ist vier Uhr in der Früh‘ und die Gesellen André Tkotz und Klaus Bratner sind dabei, mit rasender Geschwindigleit zuvor geformte Brotteiglaibe für den Ofen vorzubereiten. Brot, das ist das Hauptprodukt einer jeden Bäckerei und da steht das Mischbrot obenan – trotz all der anderen Sorten, die hierzulande im Angebot sind. Und die Grundsubstanz ist – wie seit altersher – Sauerteig. Sogenannter Dreistufiger Sauerteig, der gut vierundzwanzig Stunden Reifezeit benötigt. Hergestellt wird er aus Mehl und Wasser – und einem Stück Sauerteig. Die darin enthaltenen Milchsäurebakterien vermehren sich im
Wasser-Mehl-Gemisch, produzieren dabei die Säure, die den Geschmack des Brotes bestimmt und Kohlendioxid, das beim Backen in Bläschen nach außen dringen will und das so den Teig „Hochgehen“ und dadutch das Brot so angenehm locker werden lässt.
Derjenige, der das alles zu erklären weiß, ist Bäckermeister Alexander Blank, der Inhaber der Bäckerei. Er widmet sich gerade den Pfannkuchen, die in einer heißen Flüssigkeit schwimmen. „Erdnussfett“, sagt der Meister, „die Pfannkuchen sieden wir in Erdnussfett.“ Das hat einen besonders hohen Siedepunkt, so können die kugeligen Kuchenstücken – außerhalb Berlins „Berliner“ genannt – bei 190 Grad „gebacken“ werden.
„Je höher die Temperatur, desto schneller bildet sich eine Kruste – so nimmt das Gebäck nur wenig Fett auf.“ Kaum sind die Pfannkuchen soweit abgekühlt, dass man sie anfassen kann, spießt Alexander Blank jeweils zwei von ihnen auf Kanülen auf. Dann ein Druck auf einen Hebel – und fertig ist die Marmeladenfüllung. Danach werden sie noch kurz im Zuckerguss gewälzt – fertig.
Gut – was in den Pfannkuchen drin ist, wissen wir jetzt. Wie aber war das mit den Roggenschrippen?
Die sind noch nicht dran. Denn, so Alexander Blank, hier werden noch viele andere Brötchensorten gebacken: Müslibrötchen, Sauerkrautbrötchen, Körnerbrötchen, „Ostschrippen“…
Jetzt müssen erst einmal die Mischbrote aus dem Ofen gezogen werden. Gut vierzig Minuten haben sie im Gasofen verbracht. Nun holt sie Geselle Klaus Bratner mit einem langen Schieber wieder ans Licht.
Seit 1983 ist Bratner in der Bäckerei Blank zugange – anfangs noch bei Alexanders Vater Peter Blank. Damals befand sich die Bäckerei Blank in der Schwedter Straße – nur wenige Schritte von der Mauer entfernt. Zuvor hatte Klaus Bratner bei BAKO, dem Ost-Berliner Backwaren-
kombinat gearbeitet. „Aber da“, erzählt er, „brauchte man eigentlich gar keine Bäcker. Da waren Anlagenfahrer gefragt. Vorne die Zutaten aufs Band – und hinten kam das Brot raus. Oder der Kuchen. Das ging alles automatisch.
Personal brauchte man nur, wenn mal irgendwo etwas klemmte.“
Der 28jährige Geselle André Tkotz kennt die alte DDR- Großbäckerei nicht mehr. Er ist bei Bäckermeister Alexander Blank in die Lehre gegangen – und dann geblieben. Dabei, so erzählt er, war Bäcker nicht unbedingt sein großer Berufswunsch gewesen. Doch die Berufs-
beratung hatte ihn seinerzeit zu Meister Blank geschickt.
Seit zwölf Jahren steht er hier nun Nacht für Nacht in der Backstube. Offenbar lagen die Berufsberater mit ihrer Beratung nicht ganz falsch.
Mit der Frage, was denn nun drin ist in der Roggenschrippe,
komme ich auch bei ihm zum falschen Zeitpunkt. Denn im Moment hat er alle Hände voll damit zu tun, den Teig für die „normalen“ Brötchen anzusetzen.
Bäckermeister Blank hat mittlerweile zwei gehörige Portionen Fleisch auf der Arbeitsplatte zu liegen, die er… – moment mal: Fleisch in einer Bäckerei?
„Prager Schinken“, erklärt Alexander Blank. Es ist eine „Sonderanfertigung“ für einen Kunden. Der hatte das vorgegarte Schinkenfleisch vorbeigebracht, das nun in Brotteig gewickelt und im Ofen gebacken wird.
Sonderanfertigung – kann da jeder kommen?
Ja, sagt Alexander Blank, selbstverständlich. „So eine Bäckerei lebt von ihren Stammkunden. Und da gehört es
dazu, Einzelbestellungen anzunehmen. Das ist eben der Vorteil eines kleinen Handwerksbetriebes: Man ist flexibel.“
Fünf Uhr, Dienstbeginn für Angelika Wettstein. Ihr erster Gang führt sie in die Backstube: Sind alle Bestellungen abgearbeitet? Die ehemalige Verkäuferin einer großen Supermarktkette steht bereits seit zwölf Jahren hinter Bäcker Blanks Ladentheke.
Alle Kunden(sonder)wünsche landen zuerst bei ihr, sie hat den Überblick darüber, wer was zu welchem Termin bestellt hat. Der Prager Schinken? So gut wie fertig. Fünf Kümmel-
stangen aus dunklem Teig in der Form eines Baguettes? Geselle Klaus Bratner wird sie gleich in den Ofen packen – aber erstmal muss die nächste Ladung Mischbrot raus.
Und das Walnussbrot? Auch das ist noch in Arbeit – spätestens wenn der Laden öffnet, ist auch das fertig gebacken.
Susanne Medel ist ebenfalls schon seit fünf Uhr in der Bäckerei. Sie ist Auszubildende im zweiten Lehrjahr. Wenn sie ausgelernt hat, wird sie sich Fachverkäuferin für Backwaren nennen können. Bei Angelika Wettstein hat sie gelernt, dass mehr dazu gehört, als das Verkaufen von Brot und Kuchen.
In einem kleinen Handwerksbetrieb ist man weniger spezialisiert, als in einer großen Verkaufskette.
Ob sie nach dem Ende ihrer Ausbildung im erlernten Beruf bleiben wird, weiß Susanne Medel noch nicht so genau.
Erst einmal will sie die Lehre abschließen – dann wird man weitersehen.
Offenbar ist das Bäckerhandwerk eine Angelegenheit, die nur bei Wenigen eine Liebe auf den ersten Blick auslöst.
Selbst Bäckermeister Alexander Blank wollte ursprünglich nicht in den von seinem Großvater begründeten Familien-
betrieb einsteigen. „Eigentlich sollte meine Schwester die Bäckerei übernehmen. Aber dann wurde ihre Familie immer größer, vier Kinder – da wird es schwierig, auch noch einen solchen Betrieb zu führen.“
Er selbst hatte Schlosser gelernt und in dem Beruf auch bis zur Wende gearbeitet. Im Jahr 1995 legte er schließlich seine Bäckermeisterprüfung ab. „Wenn man sich so
umschaut“, erzählt Blank, „war das mit der Bäckerei eine gute Entscheidung. Wer braucht heute noch Schlosser…?“ Sprachs und entschwand.
Vor der Tür steht sein kleiner Lieferwagen, der nun mit frisch Gebackenem beladen wird. Denn neben der Bäckerei in der Kuglerstraße hat der Betrieb noch zwei Verkaufsfilialen in Friedrichshain. Die Verkäuferinnen dort warten schon.
Aber was ist jetzt mit den Roggenschrippen?
„Die Roggenschrippen sind längst schon im Ofen“, heißt es plötzlich – und dann wird doch noch das Geheimnis jener besonderen Schrippe gelüftet.
Sauerteig.
Der normalen Brötchenmasse wird ein bestimmter Anteil an Sauerteig hinzugegeben.
Der Sauerteig gibt diesen Brötchen dann die etwas dunklere Färbung und den kräftigen Geschmack.
Da hätte man aber auch selbst drauf kommen können – oder…?
Egal!
Nun werden die Roggenschrippen – frisch aus dem Ofen gezogen – von Angelika Wettstein in den Verkaufsraum gebracht. Dort befinden sich mittlerweile auch die anderen Ergebnisse der nächtlichen Bäckereiarbeit.
Ein letzter Blick, ob auch alles an seinem Platz ist.
Dann wird – es ist halb Sieben – der Laden aufgeschlossen. Der erste Kunde stand bereits davor.
Und während im Verkaufsraum der Betrieb nun langsam losgeht, wird es in der Backstube allmählich ruhiger. Ein paar Brötchen werden wohl noch gebacken werden, der neue Sauerteig wird angesetzt, danach das große Reinemachen.
Auch der Berichterstatter wird sich nun – nachdem er in einem Akt hochinvestigativer Recherche das Geheimnis der Roggenschrippe gelöst hat – dezent zurückziehen.
Halt! Stopp!! – War da nicht noch was?
Klar doch:
„Fünf Roggenschrippen, bitte!“
Bäckerei Alexander Blank
Kuglerstr. 100
10439 Berlin
Öffnungszeiten
Montag bis Freitag: 06:30 bis 18:00 Uhr
Sonnabend: 06:30 bis 12:00 Uhr
















Lars Dobberke
Dez. 28. 2010
Ich verstehe den Artikel nicht ganz. Soll das verdeckte Werbung sein?
ODK
Dez. 28. 2010
Lieber Lars Dobberke,
wieso verdeckt…?
Im Ernst: Nehmen Sie es als kleine Liebeserklärung an die Bäckerei bei mir um die Ecke.
Das sind eben die kleinen Freiheiten eines Webportal-Betreibers: Auch mal hemmungslos mitteilen zu können „Det find‘ ick jut!“ Und dabei noch ein paar Menschen aus dem Kiez zu skizzieren. Es war mir einfach mal ein Bedürfnis.
(Und, nein, ich bekomme meine Roggenschrippen auch in Zukunft nicht gratis. )
Mit besten Grüßen nach nebenan
Olaf Kampmann
Torsten Hofer
Dez. 28. 2010
Ich finde den Artikel klasse! Und habe beim Lesen richtig Appetit bekommen.
Sollte ich mal in der Nähe sein, mache ich bei der Bäckerei bestimmt einen Abstecher. Hoffentlich sind die Roggenbrötchen dann noch nicht alle… 😉
walter
Dez. 30. 2011
Ich kenne die Bäckerei, leckere Produkte und für eine Bäckerei zum Glück noch sehr authentisch was man von vielen anderen Backshops nicht behaupten kann. Komme immer wieder gerne.
Paul Krüger
Aug. 22. 2012
Also ich sprech aus erfahrung (bin azubi dort)
das ist alles noch hand gemacht und ich finde das lohnt sich
weil das kaum einer noch macht und dafür 5 cent mehr fürs brötchen zu bezahlen ist eigentlich gerecht
Christian Süß
Nov. 08. 2012
Ihr Mischbrot und Ihre Brötchen, welche ich in Ihrer Filiale am Rathaus Pankow seit unserem Umzug Ende Mai 2012 kaufen, haben uns noch nie enttäusht. Sie schmecken. Das Brot riecht nach Brot und die Brötchen riechen nach Brötchen.
Danke