Unfreiwillige Nachtschwärmer

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„Ick jeh spaziern hier!“, ruft die wohl über siebzigjährige Frau in ihr Mobiltelefon, „wat soll ick sonst ooch machen?“ Die alte Dame, die Freitag Abend gegen 22 Uhr an der Polizeiabsperrung an der Ecke Berliner Straße/ Esplanade steht, ist eine von mehreren Tausend Pankowern, die wegen eines Bombenfundes ihre Wohnung verlassen mussten. Neben ihr eine noch etwas ältere Dame mit einem Rollator.

bombe1Stehen, warten.

Die Restaurants und Cafés entlang der „Sicherheitszone“ machen das Geschäft des Jahres. Die Nacht ist warm, die Plätze draußen sind allesamt besetzt.

Zwei Notunterkünfte wurden den von der Evakuierung betroffenen Anwohnern mitgeteilt: Eine in Weißensee, die andere an der Fröbelstraße – im Tagungssaal der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) nahe der Prenzlauer Alle. Ziemlich weit weg und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nur umständlich zu erreichen. Ein Transport, so erzählen Wartende, wurde ihnen nicht angeboten.

bombe3Kurz nach Zehn twittert die Polizei, die Notunterkunft Weißensee ist voll, man möge die Fröbelstraße aufsuchen.
Auf dem Weg dorthin , an der Schivelbeinerstraße/Ecke Schönhauser Alle plötzlich noch eine Polizeisperre. Was denn, noch ’ne Bombe?
Nein, bloß eine Demonstrationeine Nachts um 22.30 Uhr. Über 100 Menschen auf Fahrrädern demonstrieren gegen… ja, was eigentlich?
Keine Ahnung.
Möglicherweise gegen Fliegerbomben in Prenzlauer Berger Baugründen.

Gegen 22.30 Uhr ist der BVV-Saal auf dem Gelände des Bezirksamtes an der Prenzlauer Allee nur mäßig besucht. Kaum mehr als dreißig, vor allem ältere Menschen sitzen hier und warten darauf. Die meisten, so erzählt eine Mitarbeiterin des Sozialamtes, die die Notunterkunft betreut, sind wohl von Freunden oder Nachbarn mit dem Auto gebracht worden.

bombe4An der Absperrung zur „Sicherheitszone“ in der Berliner Straße ist die Lage auch kurz nach 23.00 Uhr noch unverändert. Gegen 23.30 Uhr kommt ein Shuttlebus der Feuerwehr an der Berliner Straße vorbei, hält an der Ecke Esplanade, die Dame mit dem Rollator steigt ein. Es geht in die Fröbelstraße.
Ein Stück weiter auf der anderen Straßenseite sitzen etliche , mit Bier oder Cola in der Hand, auf der Fensterbank eines Schaufensters. „Das ist das erste Mal seit Jahren“, sagt einer leicht sarkastisch, “ dass man hier so viel Polizisten auf einen Fleck sieht.“

bombe5Fast fünf Stunden warten er und die anderen nun schon darauf, wieder zurückzukönnen. „Da wirste unfreiwillich zum Nachtschwärmer jemacht, obwohl ick doch ’n ausjesprochener Morjenmensch bin!“

Am U-Bahnhof Vinetastraße, an der Ecke Mühlenstraße, haben es sich etliche Anwohner in Liegestühlen bequem gemacht. Manche sitzen schon seit sechs oder sieben Uhr hier. Die Stimmung: heiter bis gelassen.
Zehn vor Eins. Die Polizei gibt über Twitter bekannt, dass die seit dem Nachmittag laufende Evakuierung nun beendet sei und in Kürze die Entschärfung der Bombe beginnt.

bombe6Gegen 1.00 Uhr wird nun auch die Berliner Straße zur Sicherheitszone erklärt: Der U- und Straßenbahnverkehr wird eingestellt und die „Nachtschwärmer“ werden gebeten, ihre bis dahin eingenommenen Plätze zu räumen. Die Sperrung beginnt nun in Höhe der Trelleborger Straße.

Kurz vor Zwei Uhr dann die erlösende Mitteilung der Polizei: Arbeit erledigt, Bombe entschärft. Die unfreiwilligen Nachtschwärmer dürfen wieder nach Hause.
 
Foto oben: Polizei Berlin

 



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