„Dafür Sorge tragen, dass Politik sich stellt“ (I)

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Rund vier Wochen ist der neugewählte Pankower Bezirksbürgermeister Sören Benn (Die LINKE) nun im mittlerweile im Amt. Die Prenzlberger Stimme sprach mit ihm über die Probleme, die es künftig im Bezirk zu bewältigen gilt, über die AfD, und darüber, wie das neue Bezirksamt künftig mit Bürgerinitiativen umzugehen gedenkt. Und die Frage, was er möglicherweise anders machen will, als sein Vorgänger Mattihias Köhne, wird auch geklärt

 

titel6aHerr Benn, im Bund ist Rot-Rot-Grün bisher nur eine vage Option. In Berlin wird eine solche Regierungskoalition mit der SPD an der Spitze am 8. Dezember ihren Dienst antreten. In Pankow aber gibt es eine rot-grün-rote Mehrheit mit einem linken Bürgermeister.
Die Revolution hat hier also gesiegt.
Doch nun sind Sie schon seit vier Wochen im Amt und noch immer sind die Warmmieten nicht auf 1,10 Euro begrenzt und für die in Pankow verkehrenden Busse und Bahnen muss man immer noch Fahrgeld zahlen. Was ist schiefgelaufen?


(lacht): Naja, wir hatten ja nicht versprochen, dass wir den demokratischen Sozialismus in einem Bezirk errichten. Bekanntermaßen waren ja schon andere der Meinung, dass solche isolierten Lösungen besonders tragfähig sind... - insofern ist jetzt auch nichts eingetreten, von dem wir auch nicht behauptet hätten, dass es eintreten würde.

titel5aEigentlich ist das Attribut „rot-grün-rot“ für die Pankower Zählgemeinschaft nicht korrekt – denn die SPD hat ja den Kooperationsvertrag nicht unterschrieben, weil die Kreisdelegiertenkonferenz der Pankower Sozialdemokraten ihre Zustimmung zu dem Papier verweigerte. Hat das für die Arbeit des Bezirksamtes irgendwelche Konsequenzen?


Die Vereinbarung ist ja geschrieben. Sie wurde von allen dreien – Linke, Grüne und SPD – geschrieben und spiegelt die Position aller der Parteien wider. Dass die SPD dem noch nicht beigetreten ist, hat ja bekanntermaßen etwas mit den Vorwürfen gegen den Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung zu tun. Das ist eine innerparteiliche Geschichte der SPD, die muss die SPD nun klären. Meine Hoffnung ist, dass die SPD in den nächsten Wochen und Monaten innerparteilich soweit zu einer Klärung kommt, dass man im Bezirksamt dann auch verbindlich miteinander arbeiten kann.

titel4cDas Bezirksamt ist immer noch nicht vollständig besetzt, da der Kandidat der AfD nicht die notwendige Mehrheit der Bezirksverordneten auf sich vereinen konnte. Welche Auswirkungen hat das Fehlen eines Stadtrates für die Arbeit des Bezirksamtes?


Das hat zur Folge, dass die Leitung für zwei Ämter – das Ordnungsamt und das Umwelt- und Naturschutzamt - fehlt. Die müssen jetzt erstmal von anderen Stadträten kommissarisch mitverwaltet werden. Das kann man eine Weile machen, ist aber überhaupt nicht sinnvoll. Es hat ja einen Grund, warum im Bezirksverwaltungsgesetz steht, dass ein Bezirksamt aus fünf Stadträten besteht. Die Mehrbelastung verbessert sicher nicht die Qualität der Arbeit. Ein misslicher Umstand also, der hoffentlich kein Dauerzustand wird.

titel4aIhr Amtsvorgänger Matthias Köhne war zehn Jahre im Amt und wurde nie so ganz den Ruf eines Buchhalters los, der eher verwaltet, als gestaltet. Was werden Sie anders machen als er?


Er befand sich ja auch in einer anderen Situation. Herr Köhne und das Bezirksamt waren viele Jahre damit beschäftigt, den Konsolidierungskurs in Berlin abzufangen, mit zu gestalten, mit zu verantworten. Mittlerweile sind wir Berlin in einer anderen, in einer Wachstumssituation. Wir treten unsere Ämter in dieser Legislaturperiode unter neuen Vorzeichen an. Insofern gehe ich davon aus – und so sind ja auch die Signale auf Landesebene – dass nicht mehr sparen, sondern investieren das neue Ausrufezeichen der Berliner Landespolitik ist. Sowohl was die sächliche Infrastruktur angeht - also Straßen, Schulen Verkehr - als auch die Personalausstattung des öffentlichen Dienstes. Da wird es sich also darum drehen, was ich im Wahlkampf als „intelligent investieren“ versucht hatte zu beschreiben.

titel7Als bekannt wurde, dass auf der Elisabethaue temporäre Flüchtlingsunterkünfte errichtet werden, hatten Anwohner und auch der dortige Bürgerverein darum gebeten, dass der Bezirk eine Informationsveranstaltung organisiert. Bürgermeister Köhne lehnte das – wie schon in anderen Fällen zuvor – ab und beschränkte sich auf schriftliche Mitteilungen sowie die Einbindung sogenannter Multiplikatoren.
Kürzlich hatte der Bürgerverein Französisch-Buchholz nun eine solche Veranstaltung in Eigenregie durchgeführt, an der Sie als Gast teilnahmen. Wird man das jetzt öfter erleben, dass der neue Bezirksbürgermeister bei als heikel angesehenen Angelegenheiten die Zurückhaltung seines Vorgängers aufgibt?


Ich habe immer ein Problem damit, das auf eine Person zu reduzieren. Das Bezirksamt hatte damals als Kollektivorgan entschieden, solche größeren Bürgerveranstaltungen nicht zu machen, sondern die Dinge vor allem über Multiplikatoren zu bearbeiten, weil es bestimmte Befürchtungen und Erfahrungen gab.
Ich habe da eine etwas andere Position. Vielleicht deshalb, weil mir solche Dinge noch nicht passiert sind.
Alles das, was das alte Bezirksamt da gemacht hat, war richtig.
Ich hätte es aber für hilfreich gehalten, wenn man in bestimmten Situationen auch mal eine Anwohnerversammlung macht. Dieser Meinung bin ich auch heute noch und werde versuchen, das auch umzusetzen, Um dafür Sorge zu tragen, dass Politik sich stellt, auch wenn sie noch nicht alle Antworten hat. Da wird es also künftig einen offeneren Umgang geben.

titel4aDie AfD hatte bei den Bezirkswahlen in Pankow über 13 Prozent der Wählerstimmen bekommen. Welche Ursachen hat Ihrer Meinung nach der doch erstaunliche Erfolg dieser Partei?



Die sind, wie man so schön sagt, mehrdimensional. Wir haben da den Bundestrend, der ganz stark durchgeschlagen hat auf die Landes- und Kommunalebene. Nachdem Frau Merkel die Grenzen geöffnet hatte und die ersten Geflüchteten hier ankamen, nutzten nach der ersten Euphorie und Hilfsbereitschaft andere politische Kräfte – namentlich die AfD – die Gelegenheit, Sorgen und Ängste, die es in der Bevölkerung auch gibt, zu verstärken und auf ihre Mühlen zu lenken. Das hat sich natürlich auch die Berliner Wahlen ausgewirkt. Ein anderer Aspekt mag sein, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland nach wie vor auseinander geht, dass es zunehmend Armutsrentner gibt...

titel5aMoment mal, im Norden Pankows, wo die Einfamilienhausdichte am größten ist und also nicht gerade die Ärmsten des Bezirks wohnen, hatte ein AfD-Kandidat, der nicht ein einziges Mal irgendwo aufgetreten ist und von dem man nicht mal wusste, wie er aussieht, alle anderen überflügelt und das Direktmandat des Wahlkreises gewonnen. Die Gleichung „Armut wählt rechts“ dürfte da wohl nicht aufgehen.


Wenn man sich anschaut, aus welchen sozialen Schichten die Wählerinnen und Wähler der AfD kommen, dann gibt es zwei Gruppen: Da gibt es eine arrivierte Gruppe, die nach menschlichem Ermessen eigentlich nichts auszustehen hat. Leute, die ein Häuschen haben, ein Auto, einen guten Job und so weiter, bei denen es aber möglicherweise Ängste gibt, dass man von seinem Wohlstand etwas abgeben müsste. Also Verlustängste auf der einen Seite und auf der anderen Seite Protest von Menschen, die faktisch bereits von der Teilhabe an der Gesellschaft abgehängt sind.
Ich gehöre aber nicht zu denen, sagen, weil die Schere zwischen Arm und Reich größer geworden ist oder weil Teile der Bevölkerung ihren Wohlstand bedroht sehen, wählen sie deshalb automatisch die AfD. Menschen existieren ja immer als ganzheitliche Personen, da sind unterschiedliche Gefühle, Einschätzungen, Weltwahrnehmungen vorhanden, die dann irgendwie in einem Wahlverhalten kumulieren.
Und sicher spielt die auch die Wahrnehmung eine Rolle, die von den Medien immer mal wieder mitbedient wird: Dass die Angehörigen der „politische Kaste“ alles nur Arschlöcher sind, die sich nur selbst bedienen und keine Ahnung haben - und dem gegenüber ein reines, unschuldiges Volk steht, das ständig über den Löffel balbiert wird.

titel4cGut, das sind jetzt die allgemeinen Erklärungsversuche. Aber wie sieht es in konkret Pankow aus? Wir hatten ja im Bezirk höchst unterschiedliche Ergebnisse gehabt – lokal und geographisch recht gut darstellbar.




Ja. Wir haben in Blankenfelde starke Ergebnisse für die AfD, in Karow, in Buch und in Teilen von Weißensee...

titel3bAlso im Norden von Pankow…

Die regionale Verteilung in Pankow... - ich finde, das ist immer so ein bisschen Küchenpsychologie, darüber zu reden, warum sind die Menschen im Norden des Bezirks irgendwie anders sein könnten, als im südlichen Teil.

titel4aSie haben nicht den Eindruck, dass das Wahlverhalten auch mit ganz konkreten politischen Entscheidungen zu tun hatte, von denen die Einwohner im Norden Pankows speziell betroffen waren?



Natürlich kann es sein, dass da wegen der geplanten Bebauung der Elisabethaue etwas passiert ist. Natürlich kann es auch sein, dass mit der Errichtung der Flüchtlingsunterkünfte in Buch, mit der Wahrnehmung, dass im Norden und Osten des Bezirks massiver gebaut werde, eine gewisse Protesthaltung aufgekommen ist. So dass da Menschen sagen, okay, ihr habt uns unserer Meinung nach irgendwie ignoriert, und deswegen hauen wir jetzt mal auf den Tisch und wählen die AfD. Das kann so sein - aber wie gesagt, das weiß ich nicht.

 
Zum zweiten Teil des Interviews mit Bezirksbürgermeister Sören Benn:

„Es muss uns gelingen, die Verwaltung transparenter zu machen“

 

 



Kommentar zu “„Dafür Sorge tragen, dass Politik sich stellt“ (I)”

  1. Sanja Markovic

    Dez. 15. 2016

    Zitat: „Dass die Angehörigen der „politische Kaste“ alles nur Arschlöcher sind, die sich nur selbst bedienen und keine Ahnung haben“ – Man muss Herrn Benn für diese Selbsterkenntnis ja fast in den höchsten Tönen loben. Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung.

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