„Es gibt nicht mal Personal, um Personal einzustellen“

 

Der rot-rot-grüne Senat ist seit fünf Tagen im Amt. In vielen Bereichen haben sich in den vergangenen Jahren Berge von Problemen anghäuft, die nun abgetragen werden müssen. Einen der großen Brocken hat die neu ins Amt gekommene Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales Elke Breitenbach (Die LINKE) zu schultern, in deren Ressort unter anderem auch die Unterbringung und Integration der in Berlin lebenden Flüchtlinge fällt

 

Frau Breitenbach, Sie sind jetzt seit knapp einer Woche Senatorin, was haben Sie bei Ihrem Amtsantritt vorgefunden?

Vorgefunden habe ich ein große Büro, in dem zwar schon Möbel stehen, aber noch keine Technik. Eine Sekretärin ist auch schon da, ebenso meine Staatssekretäre.

Vorgefunden hatten Sie aber wohl auch Probleme, die Ihnen ihr Amtsvorgänger Mario Czaja hinterlassen hat? Ich denke da an die Hiobsbotschaften, die in den vergangenen Tagen öffentlich wurden – zum Beispiel dass es Fehler in der Ausschreibung für das Betreiben der neu errichteten Flüchtlingsunterkünfte gegeben hat. Man hatte offenbar vergessen, die Ausschreibung EU-weit durchzuführen.


Ja, die Ausschreibungen wurden zurückgezogen und müssen jetzt möglichst schnell neu erstellt werden.

Wie muss man sich eine solche EU-weite Ausschreibung vorstellen?


Seit April müssen die Ausschreibungen rund um die Uhr im Internet barrierefrei eingestellt sein, so dass jede und jeder, der es möchte, sich diese Ausschreibung ansehen kann. Ist das nicht der Fall, kann gegen diese Ausschreibung geklagt werden. Und es wird fast immer geklagt.

Woher rührt diese Klagebereitschaft?


Mit der Unterbringung von Geflüchteten, das haben jetzt ganz viele gelernt, kann man sehr viel Geld machen. Und es hat sich auch herumgesprochen, dass es da wenig Kontrolle gab.

Sie spielen auf die schwarzen Schafe an, über die in der Vergangenheit immer wieder berichtet wurde.


Das möchte ich endlich ändern. Ich möchte, dass da kontrolliert wird, dass da Mindeststandards eingehalten werden, dass es Verträge gibt und dass man Verträge auch kündigen kann. Aber auf eine europaweite Ausschreibung darf sich auch jeder bewerben. Da muss man auch alle Bewerber gleich behandeln und muss dann irgendwann auswählen. Das macht es, dass dieser Prozess so lange dauert.

In der Vergangenheit machten ja immer wieder Nachrichten von Notunterkünften die Runde, die nicht den geforderten Mindeststandards entsprachen, obwohl seitens des Senats dafür die entsprechenden Gelder zur Verfügung gestellt wurden.
Wird es durch Ihre Senatsverwaltung eine rückwirkende Überprüfung geben, ob Mittel, die eigentlich zur Einhaltung jener Minimalstandards vorgesehen waren, in die Privatschatulle des einen oder anderen Betreibers geflossen sind?


Bei den Notunterkünften ist das ausgesprochen schwierig, denn da gibt es nicht wirklich verbindliche Standards. In der Regel haben die Betreiber da auch keine Verträge – ein Zustand, den wir aus der Opposition heraus seit vielen Jahren kritisiert hatten. Und dann war man auch nicht in der Lage, alles zu kontrollieren. Ja, das möchten wir ändern. Das hatten wir auch in den Koalitionsverhandlungen so besprochen.
Das heißt: Wir brauchen Mindeststandards, wir brauchen ein transparentes Vergabeverfahren. Wir brauchen ausreichend Kontrollen und da müssen wir auch die Unterstützerinnenkreiseund die geflüchteten Menschen mit einbeziehen. Die müssen auch eine Mitsprache haben und daran beteiligt werden. Und wir brauchen Verträge, die all dies festschreiben – und die man auch kündigen kann

Wie soll eine solche Beteiligung der Flüchtlinge aussehen? Wird es in jeder Unterkunft einen gewählten Bewohnerbeirat mit einem direkten Draht in die Senatsverwaltung oder in das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten geben?


Das muss man sich noch genauer ansehen. Es gab da ein Vorbild aus Sachsen – man glaubt es kaum! - den sogenannten „Heim-TÜV“. Dort wurden gemeinsam mit den gesellschaftlichen Akteuren Mindeststandards entwickelt, die auch regelmäßig gemeinsam kontrolliert worden sind. Da wird sicher nicht aus jeder Unterkunft jeder anrufen können, sondern es wird einen Beirat geben. In diesem Beirat müssen auch geflüchtete Menschen selbst vertreten sein, genauso wie Flüchtlingsorganisationen oder Unterstützerinnen und Unterstützer.

Konkret liegt da aber noch kein Plan in der Schublade?


Das müssen wir jetzt angehen. Da wird der Senat mit dabei sein, da wird die bezirkliche Ebene vertreten sein, die ja bis jetzt auch immer außen vor steht – und eben die anderen bereits genannten.

Die derzeit im Bau befindlichen Flüchtlingsunterkünfte werden demnächst bezugsfertig sein, andererseits gibt es wegen des neu in Gang zu setzenden Ausschreibungsverfahren keine Betreiber für diese Unterkünfte. Bleiben die nun bis zum Abschluss des Verfahrens leer?


Wir suchen im Moment nach einer Interimslösung, um die Menschen so schnell wie möglich aus den Turnhallen herauszubekommen. Ich sage „Interimslösung“, denn ohne europaweite Ausschreibung wird es auf Dauer nicht gehen.

Wie soll die Aussehen?


Da werden wir am Dienstag im Senat drüber sprechen – und erst danach werde ich dazu etwas sagen.

Die andere Seite des Problems ist ja die Verwaltung: Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), dass aus dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) hervorgegangen ist.


Was das Lageso und das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten betrifft, kann man sagen „Aus Raider wird jetzt Twix – sonst ändert sich nix“. Denn die Probleme sind nach wie vor noch da. Sie sind nur nicht mehr so sichtbar, weil es nun unterschiedliche Stellen gibt.

Da gab es einen Brandbrief von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des LAF, der auf unhaltbare Zustände und unterirdische Arbeitsbedingungen jener neu geschaffenen Behörde hinwies. Haben Sie sich in der kurzen Zeit, in der sie im Amt sind, schon einmal näher mit den Beschwerden befasst?



Den Brief hatte ich erhalten, als ich noch nicht Senatorin war. Deshalb hatte ich auch nicht sofort reagiert. Ich habe aber bereits Kontakt mit Mitgliedern des neuen Personalrats aufgenommen – die sind ja auch erst vor einer Woche gewählt worden. Der Personalrat ist neu im Amt, ich bin neu im Amt – selbstverständlich werde ich auch schnellstmöglich mit den Personalvertretern in Kontakt treten.

Angeprangert wurde unter anderem eine schlechte Organisation des Amtes, fehlende klare Arbeitsanweisungen, zu wenig Räume, eine mangelhafte Ausstattung…


Ich weiß, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Amtes recht haben. Noch immer sind 170 offene Stellen nicht besetzt. Das heißt, die Beschäftigen, die jetzt da sind, müssen versuchen, die Arbeit für die, die noch nicht eingestellt sind, mitzumachen. Da wundert es einen dann auch nicht, wenn da vieles nicht funktioniert.
Die Menschen dort – und das war auch schon im Lageso so – geben ihr Bestes. Sie machen unglaublich viele Überstunden, sie schuften und schuften und schuften. Ich trage nun auch eine Verantwortung für diese Beschäftigten; dafür, dass sie vernünftige Arbeitsbedingungen erhalten und dass die freien Stellen auch endlich besetzt werden.
Dafür brauche ich aber auch die Unterstützung aus anderen Senatsverwaltungen, denn im Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten gibt es, glaub ich, nicht einmal ausreichend Personal, um neues Personal einzustellen. Da beginnt man dann, sich im Kreis zu drehen.
Deshalb sind da jetzt auch andere gefordert. Ich glaube auch, der neue Senat hat das als unser gemeinsames Problem angesehen, das wir auch gemeinsam lösen müssen. Auch bei den Vergabeverfahren für die neu errichteten Flüchtlingsunterkünfte benötigt das LAF diese Unterstützung.

Bei allen Problemen, die zu bewältigen sind, bewegt die Öffentlichkeit aber vor allem die Frage: Wann wird der letzte Umzug von Flüchtlingen in eine menschenwürdige Behausung vonstatten gehen, wann wird die letzte Sporthalle freigezogen? Haben Sie da bereits einen festen Termin im Auge?

Da bin ich ganz vorsichtig. Ich meine, wir kennen mittlerweile schon so viele Termine, an denen die Turnhallen freigezogen sein sollten...
Ich kann nur versprechen, dass wir am Dienstag auf der ersten Senatssitzung nach der Konstituierung des neuen Senats über dieses Thema reden werden, und ich kann Ihnen versichern, dass es Vorschläge gibt, wie man das relativ schnell machen kann.
Wenn das beschlossen ist, dann muss ich sehen, wann werden welche Unterkünfte fertig und wieviel Plätze stehen insgesamt zur Verfügung. Es gibt vermutlich nicht den Tag X, bei dem man sagt, da werden jetzt alle Turnhallen freigezogen. Sondern so, wie die Tempohomes und die modularen Unterkünfte nun fertiggestellt werden, werden wir sukzessive beginnen, die Hallen freizuziehen. Und dann müsste es eigentlich relativ schnell gehen.

 



4 Kommentare zu “„Es gibt nicht mal Personal, um Personal einzustellen“”

  1. Jan L.

    Dez 14. 2016

    Es ist mir gleich welcher Partei die Dame angehört. Aber sie hat verdammt nochmal recht. Hoffentlich redet sie nicht nur …

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  2. Es wird von rot-rot-grün an vielen Stellen erwartet, dass sie „schnellstens“ die Suppe auslöffeln, die der Vorgängersenat hinterlassen hat. Und: es ist anzunehmen, dass der neue Senat von allen Seiten scharf beobachtet wird.

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  3. Sven

    Dez 15. 2016

    Wenn es derzeit noch keine Betreiber für einige Unterkünfte gibt, wäre doch eigentlich mal recht interessant einen Versuch der demokratischen Selbstverwaltung zu starten. Dann würde nämlich kein Unternehmen mehr Gewinne mit dem Betreiben einer solchen Unterkunft machen können.

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    • Das halte ich für außerordentlich schwierig, wie sollen Menschen, die nicht deutsch sprechen, sich durch den Ämterdschungel wühlen, für Essen sorgen, für medizinische Hilfe, für die sogenannte „Beschulung“ ihrer Kids..ich glaube nicht, dass das funktionieren kann. Vielleicht, wenn ausreichend Helfer zur Verfügung stünden, aber gerade am Anfang gibt es doch jede Menge Klärungsbedarf

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