Dass der bereits sechs Mal durchgefallene AfD-Stadtrats-Kandidat Nicolas Seifert auch beim siebten Mal scheitern würde, war klar. Wie er allerdings scheiterte…
Als Seifert an das Mikrofon trat, um erneut für sich zu werben, machte er erst einmal eine Kehrtwende um 180 Grad. Nachdem er den körperlichen Übergriff auf einen Reporter der ZDF-„Heute Show“ in einem Brief an die Bezirksverordneten noch rechtfertigte, gab er nun den Zerknirschten: „Ich habe mich falsch verhalten. Aus heutiger Sicht bedaure ich den Vorfall. Es wird nicht wieder vorkommen.“
Es half nichts.
Nicht nur, dass die Bezirksverordneten ihm die späte Reue nicht abnahmen – das 45-seitige Pamphlet, mit dem Seifert bei der Bezirksverordnetenversammlung für sich noch einmal werben wollte, wurde selbst zu einem Angriffspunkt gegen den Kandidaten.
Allen zusammen stieß erst einmal unangenehm auf, dass das Schreiben nicht etwa an die Bezirksverordneten, sondern an den AfD-Frationsvorsitzenden Stephan Wirtensohn gerichtet war. Der Sinn erschloss sich für niemand.
Auch dass große Teile des Papiers, mit dem Seifert seine Kompetenz für das Amt eines Bezirksstadtrates nachweisen wollte, von den Webseiten des Bezirksamtes abkopiert war, erregte Unwillen.
„Ahnungslos“, „künstlich-affektiert“,“arrogant“
Seine Fraktion, so Matthias Zarbock von den Linken hernach, halte Seifert nach wie vor für ahnungslos.
Als problematisch bezeichnete Zarbock die Diplomarbeit Seiferts, auf die der Kandidat in seinem Brief verwiesen hatte.
Dort stellte Seifert die These auf, dass Wahlen nur noch „machtzuweisende Approbationsrituale mit Alibifunktion“ seien und die Demokratie „schleichend durch eine Mediokratie der öffentlichkeitswirksam agierenden Informations- und Kommunikationskanalkontrolleure (Journalisten, Redakteure, Medienunternehmen, etc.) ersetzt“ werde.
In seinem Brief deutete Seifert an, dass er sich selbst für ein Opfer dieser „Mediokratie“ hält.
Darauf Bezug nehmend, befand der Linke-Fraktionschef, Seifert übe sich in einer Verschwörungskunde.
Auch die bündnisgrüne Fraktionsvorsitzende Daniela Billig erwähnte Seiferts Schreiben und nannte es „künstlich-affektiert“. Es bewege sich auf dem Niveau eines Schülerpraktikanten. Befremdet zeigte sie sich über Seiferts Ansinnen, Ordnungsamts-Mitarbeiter undercover in Zivil durch den Bezirk streifen zu lassen.
Roland Schröder (SPD) warf dem AfD-Kandidaten vor, dass er seinen beruflichen Lebenslauf nicht nicht vollständig angegebenen habe. Da seien Lücken vorhanden; auch sei nicht klar, ob es sich immer um bezahlte Tätigkeiten gehandelt habe.
Als „arrogant“ bezeichnete Schröder Seiferts Darstellung, dass Mitarbeiter einer Bezirksverwaltung leichter zu leiten seien, als jene eines Unternehmens.
Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende zeigte sich empört über die aus den Bezirksseiten abkopierten Darstellungen in Seiferts Schreiben, mit denen er seine Kompetenz für das Amt eines Stadtrates belegen wollte. Schröders Fazit: „Sie können sich so oft bewerben wie Sie wollen. Sie werden hier nicht gebraucht.“
Weinerliche Selbstdemontage
Damit hätte es nun sein Bewenden haben und der insgesamt siebte Wahlgang seinen Lauf nehmen können. Doch Nicolas Seifert trat nochmal ans Rednerpult.
Leise und fast weinerlich beklagte er, dass niemand mit, aber alle über ihn geredet hätten.
Und überhaupt: „Par excellence haben wir hier heute einen Schauprozess gesehen.“ Denn es sei über ihn nur Mist ausgekippt, über seine „Lebensleistung“ hingegen nicht gesprochen worden.
Auch sein „großes, gutes Herz“ fand Seifert ungenügend gewürdigt – und erwähnte die bereits in seinem Pamphlet erzählte Geschichte, wie er als Kind junge Igel vor dem erfrieren rettete, indem er sie bei sich zu Hause aufnahm.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt sahen sich die Anwesenden herausgefordert, sich zwischen Fremdschämen und Schenkelklopfen zu entscheiden.
So ging dann in der allgemeinen Unruhe Seiferts symbolisches Fußaufstampfen ob der Kritik an seiner Copy&Paste-Bewerbung fast unter: Er, so Seifert, könne soviel aus dem Internet abkopieren, wie er wolle – schließlich ist so ein Schreiben an die Bezirksverordneten ja keine Doktorarbeit.
Achter Durchfall ungewiss
Mit nur sieben Ja und 43 Neinstimmen bei zwei Enthaltungen fuhr Nicolas Seifert schließlich das bisher schlechteste Ergebniss seiner auf sieben Wahlgänge angewachsenen Kandidatenkarriere ein. Ob es noch zu einem achten Wahlgang mit ihm kommt, scheint erst einmal ungewiss.
Denn bei der sich im Vorfeld noch kämpferisch gebenden AfD war nach Seiferts Absturz von einer zuvor ins Auge gefassten Klage gegen die Nichtwahl ihres Kandidaten nichts mehr zu hören.
Man werde über das weitere Vorgehen erst einmal beraten, erklärte AfD-Fraktionsvorsitzender Stephan Wirtensohn gegenüber der Prenzlberger Stimme. Zu seiner Meinung ob des Auftretens seines Kandidaten befragt, blieb er wortkarg: „Das möchte ich nicht kommentieren.
Weitere Artikel zum Thema:
AfD Pankow: Das fraktionsgewordene Nichts
AfD-Kandidat Nicolas Seifert verzichtet auf achten Durchfall
Pankower AfD-Kandidat Nicolas Seifert: Durchfall Nummer Sieben
AfD Pankow: Siebte Niederlage in Sicht – Fraktion probt die Flucht nach vorn
AfD-Stadtratskandidat Nicolas Seifert: Durchfall Nummer Sechs
BVV Pankow: AfD-Fraktion mit Dauerdurchfall
Nicolas Seifert von der AfD: Schlagkräftig im ZDF – schmalbrüstig im Netz
Neuer Bezirksbürgermeister – unvollständiges Bezirksamt – arbeitsloser Ex-Stadtrat
Regeln gelten für alle – nur nicht für die AfD?
AfD-Stadtrats-Kandidat: Lieber Urlaub als Befragung durch die Bezirksverordneten
Unbekannter AfD-Stadtrat will sich erst Minuten vor der BVV-Tagung zu erkennen geben
Benji Schneider via Facebook
Jan. 26. 2017
TOP!
Sophie Emma Lucie Meyer via Facebook
Jan. 26. 2017
Der erste Artikel zum gestrigen Abend, der mit meinem Erleben übereinstimmt.
Hugo
Jan. 26. 2017
Bleibt nur noch eine Frage offen: Haben wir es hier mit einem Verschwörungstheoretiker oder einem „Reichsbürger“ zu tun?
Sanja Markovic
Jan. 27. 2017
Naja, das nennt man Stressinterview. Sowas kann man üben. Darin gebe ich als Personalerin regelmäßig Trainings. So ein Stressinterview besteht nicht jeder, vor allem vor wenig freundlich gesinnten Abgeordneten, Kameras, Antifa und Journalisten der L-Presse..
Der Vorwurf vom Rettschlag setzt zu spät an. Die Selbsterniedrigung beginnt mit dem dritten Antreten. Einmal durchfallen kann jedem passieren und beim zweiten sollte die Message verstanden werden.
Simone Dietrich
Jan. 27. 2017
oooohhh, Retschlag Vorsicht!!!!!!
9 Minuten Klatschen für Merkel auf dem Parteitag in Karlsruhe, 11 Minuten Klatschen auf dem Parteitag in Essen 2016, das nenne ich Selbsterniedrigung. Genaugenommen haben sich die CDU-Delegierten selbst zu Zombies erklärt.
Kevin Schaub
Jan. 28. 2017
Denise
https://www.youtube.com/watch?v=sWn3S_Jw9dQ