Gleich nebenan, in der Wichertstraße 48, wurden kürzlich Bäume gefällt. Die standen dort, wo sich bis zu einem Fliegerangriff im Jahr 1944 das Vorderhaus befand. Seitdem hatten die Leute im – ehemaligen – Hinterhaus Luft, Licht, Sonne und ein bisschen Grün vor den Fenstern.
Die Bäume mussten fallen, weil der Eigentümer der Immobilie den Gründerzeitzustand wiederherstellen und ein neues Vorderhaus errichten möchte. Und obwohl den Mietern, die dann hinter dem Neubau wohnen, wegen der kommenden Verdunklung ihrer Wohnungen eine erhebliche Einbuße an Wohn- und damit Lebensqualität zuteil wird, hat der Eigentümer versprochen, ihre Miete nicht zu erhöhen. Vorerst jedenfalls.
Zwei Häuser weiter, Ecke Dunckerstraße, wird aufwendig ein Dachgeschoss ausgebaut. In der Grell- /Ecke Gubitzstraße klotzt die GEWOBAG gerade ein Eckhaus hin.
Wohnungen allein reichen nicht
Es wird gebaut in Prenzlauer Berg, immernoch. Wo sich eine – meist grünbewachsene Lücke – findet, rollen alsbald die Betonmischer an. Auch die Bewegung „Dachböden zu Luxuswohnungen“ ist ungebrochen. Was da überall entsteht, sind zumeist große Wohnungen, in die Familien einziehen. Familien bedeuten Kinder. Kinder brauchen Kitas. Und Spielplätze.
Doch auch das kleinste Kind wird einmal größer… – die Grundschulen in Prenzlauer Berg platzen bereits jetzt bereits aus allen Nähten.
Und irgendwo wollen sich Kids auch treffen, wenn sie der Kita oder der Grundschule entwachsen sind. Jugendzentren kann man hier mit der Lupe suchen.
Wer im Verein Fußball, Handball oder Hockey spielen will… – immer öfter heben die Vereinsverantwortlichen die Hände: Sorry, alles belegt.
Kitas, Spielplatz, Schulen, Sport- und Bolzplätze, Skaterbahnen, Fußballplätze… – das alles braucht Fläche. Viel Fläche. Und die ist in Prenzlauer Berg nirgends mehr vorhanden.
Moment mal… – nirgends?
Mitten im Zentrum des Stadtteils Prenzlauer Berg – und daher von allen Seiten gut erreichbar – befindet sich neben dem Wohngebiet Ernst-Thälmann-Park seit Jahr und Tag eine Brache, die der Bahn früher einmal als Güterbahnhof diente.
Kein Interesse an der Entwicklung sozialer Infrastruktur
Bereits im Jahr 2011 beschloss die Bezirksverordnetenversammlung von Pankow auf Initiative der Bündnisgrünen unter der Überschrift „Fläche des ehemaligen Güterbahnhofs Greifswalder Straße für den Bezirk sichern“
„Das Bezirksamt wird ersucht,
über die eingeleiteten Prüfungen auf einen potentiellen Bedarf der Fachvermögen Schule und Sport bzw. Umwelt und Natur für die ehemalige Bahnfläche am Güterbahnhof Greifswalder Straße zu berichten.
Der neuen BVV zu Beginn der VII. Wahlperiode über das Prüfergebnis zu berichten und dabei darzustellen, ob und ggf. welche Kosten für den Bezirk durch den Erwerb entstehen könnten.“
Mit anderen Worten: Braucht der Bezirk die Fläche für die Errichtung von sozialer Infrastruktur – und wenn ja, wieviel wird es kosten?
Der danach neu ins Amt gekommene – bündnisgrüne – Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner teilte den den Bezirksverordneten daraufhin mit:
Mit Schreiben vom 01.12.2011 teilt das Schul- und Sportamt mit, dass ein Fachbedarf für eine 4-zügige Gemeinschaftsschule und für eine allgemeine Sportfläche, u.a. für Fußball und Hockey mit Funktionsgebäude, besteht. Insgesamt ist der Flächenbedarf größer als die gesamte Fläche des ehem. Güterbahnhofs Greifswalder Straße, die von Bahnbetriebszwecken freigestellt wurde. Das Jugendamt regt an, auch Flächen für eine Skateranlage zu nutzen, da sie unmittelbar an der lärmintensiven Bahnstrecke einen günstigen Standort hätte.“
Schon damals war der Bedarf an Fläche also erheblicher, als das vorhandene Areal groß war. Doch die Schlussfolgerungen, die Kirchner daraus zog, lassen einem noch heute die Haare zu Berge stehen:
„Da es sich hier planungsrechtlich zum Teil um nicht überbaubare Flächen im unbeplanten Innenbereich handelt und die hier nachgefragten Flächen im Eigentum der Deutschen Bahn (DB Netz AG) sind, wäre ein Bebauungsplanverfahren zur Sicherung und Durchsetzung der Planung für die Ansiedlung sozialer Infrastruktur geboten. Das Bebauungsplanverfahren würde Sach- und Personalkosten verursachen. Die Kosten für den Grunderwerb können nur durch eine Wertermittlung beziffert werden und sind für eine Veröffentlichung nicht geeignet.
Das Bezirksamt bittet, das Ersuchen als erledigt zu betrachten.“
Investoroptimiert statt bürgerorientiert
Mehr noch: Statt sich darum zu kümmern, die für die dringend erforderlich soziale Infrastruktur nötigen Fläche zu sichern und zu beplanen, sah der Stadtrat seelenruhig zu, wie der in Prenzlauer Berg nicht ganz unbekannte Immobilienhändler Christian Gérôme Teilstück für Teilstück des ehemaligen Bahngeländes aufkaufte.
Um so größer war dann aber der Eifer seitens des Pankower Stadtentwicklungsamtes, dem nunmehrigen Eigentümer zu Diensten zu sein und dessen immer bombastischer werdendes, flächenfressendes Luxuswohnungsprojekt der BVV und den Anwohnern schmackhaft zu machen.
Das ging schließlich soweit, dass der eigentlich eine Wohnbebauung befürwortende SPD-Verordnete Roland Schröder erbost von „investoroptimierter Planung“ sprach.
Wenn nun Stadtentwicklungsamtsleiter Klaus Risken noch ein Dreivierteljahr später vor dem Pankower Stadtentwicklungsausschuss kundtat, dass seine Behörde an den mehrheitlich abgelehnten Plänen nichts verändert habe, wird deutlich, wo die Prioritäten des Bezirksamtes auch heute noch zu liegen scheinen.
Umkehr ist dringend geboten
Die Kita-Krise in Prenzlauer Berg ist hausgemacht.
Der eklatante Mangel an Kindertagesstätten, Schul- und Sportplätzen ist entstanden, weil das Bezirksamt dem Gewinnstreben eines Einzelnen den Vorrang vor den Interessen der Allgemeinheit eingeräumt hat.
Der kleinlaute Einwand, dass doch bei den Gérôme-Plänen auch eine Erweiterung der Schule am Planetarium sowie eine Kita vorgesehen seien, ist reine Augenwischerei. Denn diese Erweiterungen dürften höchstens den durch den geplanten Luxuswohnungsbau zusätzlich entstandenen Bedarf abdecken und werden keinen Deut zur Entlastung der Situation in Prenzlauer Berg beitragen.
Der gerade veröffentlichte Kita-Bedarfsatlas macht es deutlich: Es ist höchste Zeit, allerhöchste Zeit, dass die Bezirkspolitik endlich Konsequenzen aus dieser eklatanten Fehlentwicklung zieht. Fünf verschenkte Jahre, in denen das Gelände nicht nur hätte beplant, sondern auch schon mit den ersten Kitas, Spiel- und Sportplätzen bebaut werden können, sind mehr als genug.
Die bisherigen Befürworter der Gérôme-Bebauung bei SPD und Grünen sollten daher über so viel Einsicht verfügen, dass sie angesichts der einmal mehr dokumentierten Misere den Holzweg verlassen, auf den sie sich vor fünf Jahren begeben hatten. Die Bezirksverordnetenversammlung könnte dann mit ihrer Hilfe das Bezirksamt verpflichten, das ehemalige Bahngelände unverzüglich entsprechend der unabweisbaren Bedürfnisse der Einwohner von Prenzlauer Berg zu überplanen und das Land Berlin zu bitten, dem jetzigen Eigentümer ein Kaufangebot zu unterbreiten.
Das Wohl der Kinder hat Vorrang
Die rechtlichen Möglichkeiten sind dafür gegeben und dass der politische Wille und das Geld beim neuen Senat dafür vorhanden sind, dürfte nahe liegen. Was bisher fehlt, ist eine Umkehr von Teilen der Pankower Bezirkspolitik in Sachen Güterbahnhof Greifswalder Straße.
Das Wohl der Kinder, die ein verbrieftes Recht auf eine Kita-Betreuung, aber auch auf Lernen in nicht überfüllten Schulen, auf Sport und Spiel haben, ist höher zu bewerten, als die nächste Million eines Immobilienhändlers.
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