Wer dieser Tage rund um den Kollwitzplatz lustwandelt, wird unter den vielen Plakaten, auf denen Menschen und Parteien den Vorbeilaufenden “Wählt mich!” zurufen, einige Tafeln in einer ihnen unbekannten Sprache entdecken. Oder aber Heimatgefühle bekommen – je nach dem.
Der erneut kandidierende Pankower Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich (Die Linke) hat dort rund zwanzig Wahlwerbeträger in schwäbischer Mundart aufhängen lassen. „Schaffe, schaffe, Sozialwohnunge baue!“ kann man da lesen, „Mir denked au an die kloine Leud!“ oder “Liebe Nazis, bitte einfach mal das DAS MAULtäschle halten!”
Liebich bezieht sich mit dieser ganz speziellen Werbeaktion auf einen schon Jahre zurückliegenden öffentlich ausgetragenen Streit.
Erst die Sachsen, dann die Schwaben
Früher – also ganz früher, als es Berlin noch zweimal gab – lief im östlichen Teil der Stadt so ein Spruch um: „Heißt das ‚Sachsenhausen bei Berlin‘ oder ‚Sachsenhausen in Berlin‘?“ Die Auflösung lautete: „Sachsen hausen in Berlin.“
Das Wortspiel war eine Reaktion auf den Zuzug vor allem aus den südlichen Bezirken in die DDR-Hauptstadt. Wobei „Sachsen“ nicht wörtlich zu nehmen war: Jeder, der irgendwie südlich von Königs Wusterhausen beheimatet war, galt dem gemeinen Ostberlinern als Sachse.
Die Unbeliebtheit der Sachsen (beziehungsweise jene, die man dafür hielt), rührte aus dem Umstand, dass nicht wenige von ihnen zur Funktionärsschicht gezählt wurden, die nun in der DDR-Hauptstadt im Gegensatz zu den „Ureinwohnern“ bevorzugt mit Wohnungen versorgt wurden und auch sonst zahlreiche Privilegien genossen.
Wenn es auch einen wahren Kern hatte – in dieser Pauschalisierung war das natürlich Quatsch.
Heute haben die Schwaben den Sachsen den Rang abgelaufen. Sie stehen sprichwörtlich für die „Zugezogenen“ aus aller (deutscher) Herren Länder. Und Prenzlauer Berg – jener Stadtteil, in dem binnen eines Jahrzehnts achtzig Prozent der Bevölkerung „ausgetauscht“ wurde und der deshalb als Symbol für Gentrifizierung steht – gilt als der schwäbische Vorposten in Berlin.
Ob diese kühne Annahme tatsächlich zutrifft, weiß kein Mensch.
Mit Thierse brach der Damm
Doch irgendwie schaukelte sich die Sache hoch und fand einen ersten Höhepunkt, als der damalige Bundestagsvizepräsident und Prenzlauer Berger Ureinwohner Wolfgang Thierse (SPD) Ende 2012 in einem Interview mit der Berliner Morgenpost grantelte,
„Ich ärgere mich, wenn ich beim Bäcker erfahre, dass es keine Schrippen gibt, sondern Wecken. Da sage ich: In Berlin sagt man Schrippen, daran könnten sich selbst Schwaben gewöhnen. Genau das gleiche mit Pflaumendatschi. Was soll das? In Berlin heißt es Pflaumenkuchen. Da werde ich wirklich zum Verteidiger des berlinerischen Deutsch.
Ich wünsche mir, dass die Schwaben begreifen, dass sie jetzt in Berlin sind. Und nicht mehr in ihrer Kleinstadt mit Kehrwoche. Sie kommen hierher, weil alles so bunt und so abenteuerlich und so quirlig ist, aber wenn sie eine gewisse Zeit da waren, dann wollen sie es wieder so haben wie zu Hause. Das passt nicht zusammen.“
Eigentlich war das bloß eine Nebenbemerkung in einem länegeren Gespräch, in dem es um Thierses Abschied aus der Bundespartei ging. Doch das Echo war enorm.
Wenn auch die meisten Reaktionen auch immer eine gewisse Ironie in sich trugen, so gab es auch immer wieder bösartige Aktionen, bis hin zu solch unsäglichen Graffiti, wie jener an die nationalsozilistischen Parole „Kauft nicht bei Juden“ entlehnten Aufforderung „Kauft nicht bei Schwaben“.
Eigentlich kein Thema mehr
Antworten blieben nicht aus. Eine Gruppe, die sich „Free Schwabylon“ nannte, überschüttete das Käthe-Kollwitz-Denkmal auf dem Kollwitzplatz mit tiefgerorenen Spätzle, und forderte einen autonomen schwäbischen Bezirk ein mit dem „Kollwitzplatz als Zentrum der Berliner Schwaben.“
Andere überklebten in einer Nacht Prenzlauer Berger Straßenschilder mit schwäbisch klingenden Bezeichnungen – so wurde zum Beispiel aus der Wörther Straße das Wörther Gässle.
Seinen Abschluss fand die große Schwaben-Aufregung schließlich mit der „Prenzlschwäbin“, einer über Youtube verbreiteten Comedyserie der Schauspielerin Bärbel Stolz, die – selbst eine in Prenzlauer Berg wohnunde Schwäbin – ihre hier lebenden Landsleute deftig karikierte.
Danach war das Thema durch.
Dass Stefan Liebich die Sache nun wieder aufnimmt, hat ihm nicht nur freundliche Stimmen eingebracht. So ist zuweilen von „Anschleimerei“ zu lesen und von peinlicher Anbiederei.
Liebich, der sich schon damals gegen Thierses flapsigen Ausfall gewandt hatte, sieht das natürlich anders. „Getarnt als Gentrifizierungskritik“, lässt er verlauten, „war der Kulturkampf jedoch nicht selten kaum verhohlene Fremdenfeindlichkeit. Das Problem sind nicht die Schwaben in Berlin. Es geht um Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der Verteilung.“
Er selbst ist 1983 als 13jähriger mit seiner Familie nach Berlin gezogen und somit auch kein Urberliner – so wie viele andere in dieser Stadt. Nach dem „Schwabenstreit“ hätten ernsthaft schon Leute aus Baden-Württemberg gefragt, ob es denn als Auswärtiger überhaupt noch ratsam sei, nach Berlin zu ziehen. Aber ja, meint Liebich „Ganz egal, sagt ob es sich um Touristen aus Tel Aviv, eine Studentin aus Stuttgart oder einen Flüchtling aus Eritrea handelt -hier soll jeder willkommen sein.“
Und hatte wohl deshalb nicht nur in Prenzlauer Berg, sondern auch in Stuttgart zwanzig seiner „Schwaben-Plakate“ anbringen lassen. Als freundliche Einladung.
Inclusive Kretschmann-Parodie
Natürlich geht es bei der Mini-Kampagne auch um Wählerstimmen.
Unter den 2Klischee-Schwaben“ von Prenzlauer Berg, erzählte Stefan Liebich vor zwei Wochen der taz-Redakteurin Anja Maier, gebe es jede Menge „progressive Wähler“, die sich wünschten, dass Merkel als Bundeskanzlerin abtritt. Für die seien – angesichts von Scharz-Grün oder einer Wiederauflage der Großen Koalition – SPD und Grüne kaum noch wählbar.
Um die auch wirklich zu erreichen, produzierte Liebich ein Video, das als eine Art Insider-Gag gelten kann. Darin wurde der 2016er Wahl-TV-Spot des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Bündnis 90/ Die Grünen) nachempfunden, den hier außerhalb der schwäbischen Gemeinde wohl kaum einer kennt.
Darin wird der Bundestagsabgeordnete in seiner Wohnung bei der Zubereitung von Spätzle, dem schäbischen Nationalgericht, gezeigt, währenddessen aus dem Off Sätze wie „De Bundesregierung muss dafür sorge, dass de Miete net ins Unermesseliche steige“ und „Wir müsse entschlosse gege Kinderarmut vorgange, Chancegleichheit muss es für alle unsre Jüngschte gebe“ zu hören sind.
Eingesprochen hat das allerdings nicht Liebich selbst, sondern der Ko-Bundesvorsitzende der Linkspartei Bernd Riexinger, der als gebürtiger Leonberger ein Urschwabe ist.
Für jene, die dieser Fremdsprache nicht mächtig sind hat Liebich noch eine hochdeutsch Version produziert.
Was allerdings fehlt, ist eine Übersetzung ins Berlinsche.
Andererseit: Für die paar Verbiebenen würde sich der Aufwand vielleicht auch gar nicht lohnen…
Hier gehts zu Stefan Liebichs Seite „Wo links isch“ mit den Videos auf Deutsch und Schwäbisch
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Die PARTEI Pankow
Sep. 04. 2017
Hajo! Die sehr gute Pankower Direktkandidatin Maria von Bolla ist Ihre einzige Option für Schwaben. Sowie Bärbel Stolz (Prenzlschwäbon), welche sich auf dem LandesListenplatz 2 befindet. Nice try, Liebig. Die PARTEI ist da schon wieder weiter.
Sachdienliche Hinweise finden Sie hier: https://die-partei.net/pankow/btw17
Tonio Kröger via Facebook
Sep. 04. 2017
Na toll – Schon wieder Wahlkampf … !!!
von ODK
Sep. 04. 2017
Ich habe den nicht ausgerufen. Wirklich nicht. Aber zur Beruhigung: Nach dem 24 September ist dann erstmal (voraussichtlich) für vier Hare Ruhe. 2021 kommts dann allerdings im Doppelpack!
Die PARTEI Pankow via Facebook
Sep. 05. 2017
Keine Sorge, wenn Sie Die PARTEI wählen, müssen Sie so schnell nicht wieder wählen und haben so alle 4 Jahre Sonntags frei. Wählen wie früher!
Fritz Bocks
Sep. 05. 2017
Mal davon abgesehen, „Prenzlberg“ sagt auch kein Ur-Prenzlauerberger.
von ODK
Sep. 05. 2017
Mit Verlaub: Ich bin Urprenzlberger. In der vierten Generation! Meine Urgroßmutter Emilie Maaß ist Mitte der 1890er Jahre – aus Hinterpommern kommend – in das Quergebäude der damals frisch erbauten Dunckerstraße 16 gezogen. Mehr Ur-Prenzlberger geht nicht.