Bürokratischer Verordnungswust verhindert Obdachlosenhilfe


 

Auf dem landeseigenen Grundstück Greifswalder Straße 80D könnte eine Traglufthalle für die Kältehilfe zur Versorgung von Obdachlosen aufgestellt werden. Könnte. Doch das Bezirksamt gab sich große Mühe, die Gründe zusammenzutragen, warum das auf gar keinen Fall möglich ist.

 
Es ist gerade einmal zwei Wochen her, da organisierte der Verein Mob e.V., der in der Storkower Straße eine Notunterkunft für Obdachlose mit 31 Plätzen betreibt, ein „Sleep out“: Es wurde eingeladen, auszuprobieren wie es ist, auf der Straße zu übernachten. Der Anlass: Es gibt zu wenig Notunterkünfte für die auf 10.000 geschätzten Obdachlosen in Berlin.
Mob e.V. -Chefin Mara Fischer erzählte bei dieser Gelegenheit, dass sie gerade im Winter immer wieder Menschen zurück auf die Straße schicken muss, weil in ihrer Unterkunft alle Plätze belegt sind.
 

Auch die Kältehilfe erreicht nicht jeden

Im Winter, wenn das Übernachten auf der Straße wegen der Kälte tödlich enden kann, werden vom Berliner Senat zusätzliche Schlafplätze organisiert. „Kältehilfe“ wird das genannt und läuft über den Zeitraum vom 1. November bis 31 März. Im vergangenen Winter wurden in diesem Rahmen 760 Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt.
Weil diese Plätze in der Saison 2016/17 nicht zu 100 Prozent ausgelastet waren, könnte man meinen, dass der Bedarf damit gedeckt wäre.
Ein Trugschluss.
Die Bahnhofsmission am Zoo war fast permanent überbelegt und die BVG, die zu dieser Zeit nachts einige U-Bahnhöfen geöffnet ließ, sah sich mit der Anzahl der in den Untergrundbahnhöfen übernachtenden Obdachlosen überfordert. Was gebraucht wird, sind also Unterkunftsmöglichkeiten in zentraler, mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichender Lage.
 

Grundstücke in zentraler Lage gesucht

Auf 1.000 Plätze will der Senat das Angebot in diesem Winter erhöhen. Um das zu erreichen, sollen – so Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Die Linke) in einem Gespräch mit der Berliner Morgenpost, leergezogene Flüchtlingsunterkünfte genutzt und Traglufthallen errichtet werden.

Traglufthalle „Halle Luja“
Foto: obs/mk-group Holding GmbH/Mathias Hamann

Eine solche temporäre Unterkunft, „Halle Luja“ genannt, wird seit 2013 von der Berliner Stadtmission mit Unterstützung des Hamburger Energiedienstleisters Care-Energy betrieben und bietet Platz für 100 Menschen.

Was gebraucht wird, sind möglichst landeseigene Flächen, auf denen solche temporären Unterkünfte aufgestellt werden können.

Eine möglicher, günstig gelegener innerstädtischer Bereich wäre die Brachfläche am S-Bahnhof Greifswalder Straße, die – hinter dem Stinnes-Verwaltungsgebäude gelegen – unter der Adresse Greifswalder Straße 80D registriert ist.
Das Grundstück wurde vor gut zwei Jahren schon einmal als möglicher Standort für ein Flüchtlings-„Tempohome“ in Erwägung gezogen. Abstand genommen wurde davon, weil der damalige Senat auf Masse setzte und weingstens 500 Menschen je Containerdorf unterbringen wollte – dafür reichte der Platz an der Greifswalder Straße nicht aus.

 

Anregung erfolgte bereits vor über einem Jahr

Bereits im Juni dieses 2016 stellte die Fraktion von Bündnis 90/ Die Grünen in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV) den Antrag, das Bezirksamt möge beim Senat darauf hinwirken, dass die
landeseigene Fläche für die Errichtung einer Traglufthalle als Notübernachtung für Obdachlose im Rahmen der
Kältehilfe im Winter 2016/17 zur Verfügung gestellt wird.

Das Bezirksamt wandte sich mit einer entsprechenden Anfrage an den damaligen Staatssekretär für Soziales Dirk Gerstle (CDU), verbunden mit der Bitte, im Falle eines Bedrafs mit der beim Senat angesiedelten Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) Kontakt aufzunehmen. Gerstle schrieb zurück, dass sehr wohl Bedarf besteht – aber der Bezirk möge sich doch bitte selbst an die BIM wenden. Das Bezirksamt kam auch diesem Ansinnen nach – doch die Sache verlief im Sande.

Im Juni dieses Jahres stellte die bündnisgrüne BVV-Fraktion erneut einen Antrag, in dem die Aufstellung einer Traglufthalle für die Winterhilfe angeregt wurde.

Die Antwort fiel diesmal recht umfangreich aus.

In der von Bezirksbürgermeister Sören Benn und Sozialstadträtin Rona Tietje unterzeichneten „Vorlage zu Kenntnisnahme“ an die Bezirksverordneten teilte das Bezirksamt mit, dass auf dem Grundstück möglicherweise eine Skateanlage entstehen könnte. Sollten die Ergebnisse der schalltechnischen Untersuchungen dem widersprechen, wäre auch der Bau eines Bolzplatzes möglich. In beiden Fällen wäre mit einem Baubeginn nicht vor dem Frühjahr 2018 zu rechnen.

Was eigentlich nicht gegen den Aufbau der Halle spricht, denn im Frühjahr läuft die Kältehilfe ja aus.

 

Wahnwitzig erscheinenden bürokratischen Verhinderungsserpentinen

Dann aber folgen allerlei baurechtliche Darstellungen. Etwa, dass eine Traglufthalle ein Gebäude ist und Gebäude nur an einer „befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche“ errichtet werden dürfen.
Tatsächlich gibt es einen befahrbaren Weg, auf dem auch die im Hinterland befindlichen Gewerbebetriebe beliefert werden. Aber möglicherweise befindet sich der Weg ja in Privatbesitz.

Damit man sich die zuweilen wahnwitzig erscheinenden bürokratischen Verhinderungsserpentinen und Zuständigkeitsverhedderungen auch bildlich vorstellen kann und jeder den Eindruck gewinnen muss, dass mit einer rechtssicheren Aufstellung einer Traglufthalle sowieso erst fünf Jahre nach der Eröffnung des Berliner Großflughafens BER zu rechnen ist, fährt das Bezirksamt fort:

„Die Aufgaben der Bauaufsichtsbehörde für Fliegende Bauten nach § 76 der Bauordnung für Berlin werden der TÜV Rheinland Industrie Service GmbH Regionalbereich Berlin zur eigenverantwortlichen und unabhängigen Wahrnehmung übertragen. (…)
Dies bedeutet, dass die Bauaufsichtsbehörde des BA Pankow für die Erteilung der notwendigen Aufstellgenehmigung einer Traglufthalle i. S. eines Fliegenden Baus nicht zuständig ist. Zuständig ist der TÜV Rheinland Industrie Service GmbH. Die Genehmigung wird in ein Prüfbuch eingetragen, dem eine Ausfertigung der mit einem Genehmigungsvermerk zu versehenden Bauvorlagen beizufügen ist.
Gem. FlBauÜV ist im Einzelfall zu prüfen, dass, wenn Fliegende Bauten länger als drei Monate an einem Ort aufgestellt werden, die Erteilung einer Baugenehmigung notwendig wird.
Bei einer Aufstellung von mehr als sechs Monaten ist regelmäßig von einer baulichen Anlage auszugehen, die einer Baugenehmigung nach § 64 BauO Bln bedarf. Es ist also bei einer längeren Aufstelldauer der Traglufthalle über sechs Monate hinaus dann wiederum eine Baugenehmigung bei der Bauaufsichtsbehörde im BA Pankow zu beantragen (BG-Verfahren Sonderbau).
Auf derartige bauliche Anlagen können sinngemäß die technischen Regeln für Fliegende Bauten angewendet werden. Sofern eine Ausführungsgenehmigung vorhanden ist, kann diese der Baugenehmigung zugrunde gelegt werden.

Für den Fall, dass sich jemand erfolgreich durch diesen Wust gefressen haben sollte – alle Mühe wäre vergebens, denn:

„Vom Grundsatz her handelt es sich bei dem Grundstück Greifswalder Straße 80 D um überbaubare Grundstücksfläche. Zulässig wäre eine gewerbliche Nutzung, die das südlich gelegene Wohnen nicht stört. Eine Wohnnutzung ist nicht zulässig.“

Stattdessen schlagen die Unterzeichner die „Prüfung von Standorten“ vor,

die auch in der Diskussion für die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften stehen, für diese nicht geeignet sind und sich planungsrechtlich im Innenbereich befinden. In diesem Zusammenhang kämen die Standorte Busonistraße 133, Busonistraße 141 und Roländer Straße 42 in Karow in Betracht.

Mit anderen Worten: Am Stadtrand, schwer erreichbar und damit voll am Bedarf vorbei.

 

Von der Flüchtlingsunterbringung lernen

Bei dem „Sleep out“ von Mob e.V. vor deren Unterkunft in der Storkower Straße wurden auch zwei Politiker gesichtet, die sich die Tortur des Auf-der-Straße-Schlafens für eine Nacht antaten: Der Berliner Staatssekretär für Arbeit und Soziales, Alexander Fischer (Linke) oder der SPD-Abgeordnete Tino Schopf, der schon seit längerem die Arbeit von Mob e.V. unterstützt. Vom Pankower Bezirksamt hingegen war niemand dabei.

Vielleicht sollte man in den kommenden Tagen ein Sonder-Sleep-out veranstalten – exklusiv für die Pankower Bezirksverwaltung. Möglicherweise könnte der Kontakt mit dem harten und kalten Boden der Tatsachen ja helfen, eine schnelle und bedarfsgerechte Lösung zu finden.
Was bei den festen Bauten für die Flüchtlingsunterbringung möglich ist – vereinfachtes Verfahren, Errichtung auch in „Gewerbegebieten“ – sollte für die nicht weniger dringend notwendige Versorgung Obdachloser mit einer schnell auf- und abgebauten Traglufthalle nicht unmöglich sein.

 

 

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Kommentar zu “Bürokratischer Verordnungswust verhindert Obdachlosenhilfe”

  1. Merkwürdig bei Flüchtlinge geht fast alles aber man sollte bei den obdachlosen auch schauen woher sie kommen und sie in die EU Länder zurück schicken

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