Eine Prenzlauer Berger Karriere


 

Herr Lange ist ein Charmeur. Als er mit mit dem Essenswagen auf einem der Gänge der Seniorenstiftung Prenzlauer Berg auf Marion Mehnert trifft, macht er erst einmal Halt und begrüßt sie fröhlich – mit einem Handkuss.
Herr Lange ist einer der 565 Bewohner der Seniorenstiftung Prenzlauer Berg. Er lebt schon eine ganze Weile hier – da kennt man sich eben. Doch noch viel länger als Herr Lange ist Marion Mehnert der Pflege- und Wohneinrichtung verbunden – seit fast drei Jahrzehnten.

 

Beginn im Feierabendheim

Nachdem die gebürtige Prenzlauer Bergerin zwei Jahre beim damalige Rat des Stadtbezirks als Erzieherin gearbeitet hatte, wechselte sie 1989 Arbeitstherapeutin in das Feierabendheim „Ernst Langguth“ in der Gürtelstraße. „Feierabendheim“ war die etwas makaber anmutende, aber offizielle Bezeichnung für stationäre Senioreneinrichtungen in der DDR.

Die damalige Situation solcher Einrichtungen, erzählt Marion Mehnert, ist mit der heutigen nicht mehr zu vergleichen. Das beginnt schon mit der Belegung. Waren damals in einem Haus mehr als 280 Senioren in einem Haus untergebracht, sind es heute nur etwas mehr als hundert. Einzelzimmer, die heutzutage Standard sind, gab es damals so gut wie gar nicht. In der Mehrzahl waren die Räume mit zwei drei oder gar vier Personen belegt.

Feierabendheim „Ernst Langguth in der Gürtelstraße
Foto: Seniorenstiftung Prenzlauer Berg

Dennoch waren die Plätze in den Feierabendheimen begehrt, der Bedarf an Altenpflegeeinrichtungen überstieg bei weitem die vorhandenen Plätze. So kamen – nicht nur, aber vorrangig – verdiente SED-Aktivisten in den Genuss eines Heimplatzes.

Das brachte für Marion Mehnert schon bald eine erste große Bewährungsprobe. Als am Morgen des 10. November 1989 im Haus die Nachricht über den Fall der Mauer die Runde machte, herrschte bei den Bewohnern das große Entsetzen. Viele waren verzweifelt, weil das, für das sie ja auch gelebt hatten, nun plötzlich wie aus heiterem Himmel wegbrach. Wie damit umgehen?
„Zu allererst ist man für die Bewohner da“, sagt Marion Mehnert. Das hieß, die eigene Freude und Euphorie zurückhalten, sich der Enttäuschung und den Befürchtungen der Menschen im Pflegeheim anzunehmen und beruhigend auf sie einzuwirken.
Es half nicht in jedem Fall. Zwei betagten Bewohnern belastete der durch die Maueröffnung absehbare Zusammenbruch ihres Staates so sehr, dass das Herz nicht mehr mitmachte.

 

Leicht chaotischer Übergang

Die ersten Jahre nach der Wiedervereinigung der Stadt brachte eine Veränderung bei den Bewohnern mit sich. Nicht mehr Verdienste ums sozialistische Vaterland zählten, wenn es um einen Platz im Seniorenheim ging, sondern es regierte mehr oder weniger der Zufall. So etwa, wenn ein Krankenhaus eine Unterbringung für einen Patienten suchte, der nach einer Entlassung aus der Klinik allein zu Hause nicht mehr zurechtkommen würde.

Das betraf nicht nur Menschen im gehobenen Lebensalter. Marion Mehnert erinnert sich an den Fall zweier junger Frauen mit leichter körperlicher und geistiger Behinderung. „Die hatten natürlich ganz andere Bedürfnisse und Vorstellungen, als die alten Menschen hier im Haus.“ Konflikte waren vorprogrammiert, die Pflegefachkräfte – wie die Berufsbezeichnung nun hieß – mussten schlichten, vermitteln und versuchen, wieder Ruhe ins Haus zu bekommen.

Mit der Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 mit den entsprechenden Pflegestufen wurden die Strukturen wieder klarer: Es gab nun konkrete Kriterien, wann in welchem Umfang eine Pflegeeinrichtung in Anspruch zu nehmen war.
 

Stiftung unter bezirklicher Aufsicht

Noch etwas anderes wurde zu dieser Zeit akut: In der DDR waren die „Feierabendheime“ Einrichtungen des Rates des Stadtbezirks. Mit der Angleichung der Verwaltung nach Westberliner Muster passten sie nicht mehr in die Struktur der Bezirksverwaltung.

Als Sozialstadtträin war Lioba Zürn-Kasztantowicz zugleich Kuratoriumschefin. Heute ist sie Mitglied des Stiftungsvorstands. Rechts: Vorstandschef Wilfried Brexel

Zudem waren sie ein Kostenfaktor. So stand die Frage: Wohin damit? Privatisieren?

Die Bezirkspolitik entschied sich schließlich, die Heime in der Stavanger Straße und der Gürtelstraße in eine Stiftung zu überführen. Damit war der langfristige Erhalt gesichert und einem auf Gewinn bedachtes Betreiben der Einrichtungen ein Riegel vorgeschoben.

Mit dem Stiftungskuratorium (eine Art Aufsichtsrat), dessen Vorsitz die jeweilige Sozialstadträtin oder der Sozialstadtrat inne hat und dem neben einem weiteren Bezirksamtsmitarbeiter Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlung angehört, blieb der Bezirk indirekt weiter involviert.

Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter trat damit ein neuer Arbeitgeber auf den Plan. Sie sollten nun nicht mehr Angestellte des Bezirksamts sein. Damit würden eigentlich einige tarifliche Vorteile wegfallen, denn die Bezahlung im öffentlichen Dienst ist auskömmlicher, als es die Tarife im Pflegebereich sind.
„Es wurde uns zugesichert“, erinnert sich Marion Mehnert, „dass sich für uns nichts ändert. Es wurde zudem freigestellt, ob wir weiterhin Angestellte des Bezirksamts bleiben oder bei gleichen Konditionen zur Stiftung wechseln.“

Fast alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterschrieben den Vertrag mit der Seniorenstiftung – und blieben dennoch den Angehörigen des öffentlichen Dienstes tariflich gleichgestellt. Was allerdings mit sich brachte, dass heute Mitarbeiter für die selbe Arbeit unterschiedlich entlohnt werden: Denn für alle, die nach dem Übergang in die Stiftung ihre Arbeit aufnahmen, gilt ein anderer, nicht so günstiger Tarif.

 

Veränderungen. An den Häusern, in den Häusern

Vom 1999 an wurden die Häuser der Seniorenstiftung nach und nach modernisiert. Die DDR-Typenbauten in der Stavanger Straße 62 und der Gürtelstraße 32 und 32a wurden um-, das Haus Gürtelstraße 33 sogar abgerissen und neu gebaut.

Das modernisierte Haus in der Stavanger Straße
Foto: Seniorenstiftung Prenzlauer Berg

Doch die Verbesserung der baulichen Substanz war nur das eine.

„Pflege“, sagt Marion Mehnert, „geriet ab Ende der 1990er Jahre immer intensiver in den Blick der Öffentlichkeit und genoss dabei keinen allzu guten Ruf.“ Einer der Gründe sei ein nicht immer gutes Qualitätsmanagement, das auch die Bedürfnisse der Pflegekräfte nicht aus den Augen verliert. „Nur zufriedene Mitarbeiter sind in der Lage, sich mit intensiv den Bewohnern einer Pflegeeinrichtung zu widmen.“

Also setzte sie sich wieder auf die Schulbank und durchlief mehrere Qualifikationen im Bereich Qualitätsmanagement.

Nach rund eineinhalb Jahrzehnten in als Betreuungsfachkraft folgte 2003 der Wechsel in die Verwaltung der Stiftung.

Mit ihrer Erfahrung stieg sie bald zur Leiterin für die Bereiche Personalentwicklung und Qualitätsmanagement auf.
Heute ist sie zu dem Geschäftsführerin der Stiftungstochter „Seniorenstiftung PflegeWohnen Haus 33 gGmbH. Darüber hinaus ist sie für die Koordination der rund 80 ehrenamtlichen Helfer der Senioreneinrichtung verantwortlich.

Von der Arbeitstherapeutin und Betreuungsfachkraft zur Geschäftsführerin und Leiterin eines Unternehmensbereichs – eine nicht ganz gewöhnliche Karriere.
 

Aber das wurde in der vergangenen Woche, als der Stiftungs-Vorstandsvorsitzende Wilfried Brexel beim Neujahrsempfang der Seniorenstiftung Marin Mehnert auf die Bühne bat, gar nicht erwähnt. Da gabs nur ein Dankeschön für das dreißigjährige Dienstjubiläum.

 

 

 


 

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