Pissecken, die alten Römer und die Gendergerechtigkeit


 

Als der Görlitzer Park in Kreuzberg noch kein Park war, sondern die Brache eines ehemaligen Bahnhofs, war von der Oppelner Straße her ein Teil jener Unterführung begehbar, die einst zu den Bahnsteigen des Bahnhofs führte. Im Volksmund wurde das Tunnelfragment „Harnröhre“ genannt. Aus Gründen.

Pissecke unterm Magistratsschirm

Die SPD-Fraktion in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV) ist da direkter: Sie bedient sich keines anatomischen Begriffes, sondern spricht in einem ähnlich gelagerten Fall, den sie unter dem U-Bahn-Viadukt in der Schönhauser Allee verortet hat, ganz prosaisch von „Pissecken“.

Und so verfasste man – vermutlich naserümpfend – eine Drucksache, die auf der nächsten Sitzung des Bezirksparlaments in der kommenden Woche als Antrag an das Bezirksamt zur Diskussion gestellt werden soll.

Darin heißt es:

„Unter dem Magistratsschirm befinden sich im Bereich der U-Bahnhöfe mehrere sogenannte Pissecken. Von diesen geht ein erheblicher – übelster – Gestank aus.“

Und weiter wird völlig zu recht geklagt:

„Die gesamten Bereiche sind deutlich verunreinigt und sich weitestgehend selbst überlassen.“

Etwas lebensfremd erscheint allerdings die vermutete tiefere Ursache für die Dauerbefeuchtung der Magistratsschirm-Winkel:

„Außerdem animiert dieser trostlose Zustand offenkundig, männliche Passanten ebenfalls hier ungeniert zu urinieren.“

Was ein bisschen klingt wie: „Och, schau mal, da vorne pinkelt einer – komm, lass uns mitmachen… .“
Näher an der Lebenswirklichkeit sind die Antragsteller jedoch, wenn sie konstatieren:

„Um ein anderes Verhalten zu erreichen, greifen Verbote zu kurz und reichen offenbar nicht aus. Für deren Durchsetzung fehlt es an Personal und entsprechender Präsens.“

Warum es dem Bezirk nicht nur an Personal, sondern auch an Gegenwart fehlt, wird zwar nicht erklärt, aber dafür haben die geruchsgemarterten Genossen immerhin einen Lösungsvorschlag für das Pissecken-Problems parat. Nämlich:

„…im Bereich der Bahnhöfe Eberswalder Straße und Schönhauser Allee und S+U Pankow Pissoirs (…) aufzustellen.“

 

Wasserloses Wasserlassen: Von Römern erprobt und Hamburgern praktiziert

Die Idee ist nicht ganz neu.

Im alten Rom gab es schon um das Jahr 400 herum nicht nur 144 Latrinen und 254 Necessaria (sowas wie Klosetts, die von von einem Wassergraben unterspült waren), sondern an großen Verkehrsknotenpunkten auch einfache Pissoirs. Da wurde der Urin in einer Amphore aufgefangen. Wenn die voll war, wurde die Flüssigkeit eingesammelt und zum Wäschewaschen verwendet – das im Harn enthaltene Ammoniak ist ein vorzüglicher Schmutzlöser.

Ähnlich Wasserspülungsloses wie an den Verkehrsknotenpunkten im alten Rom schwebt den Pankower Sozialdemokraten für die Verkehrsknoten im neuen Prenzlauer Berg vor – nur ohne Urinsammlungen, denn zwischenzeitlich wurde ja das Waschpulver erfunden.

Als gegenwärtiges Beispiel wird der Hamburger Hauptbahnhof genannt:

„Dort wurden zwei Pissoirs mit einem einfachen Sichtschutz errichtet, die ohne Wasser betrieben werden. Diese werden nun sehr stark von sich dort aufhaltenden Personen und auch Reisenden genutzt. Dadurch wird nun nicht mehr weniger Meter weiter an die Außenwand des Bahnhofs uriniert.“

 

Ungeklärte Gendergerechtigkeit

Einen Haken hat die ganze Sache aber – und der befindet sich in dem im vergangenen Jahr vom Senat verabschiedete „Toilettenkonzept für Berlin“. Da wird unter anderem festgestellt: „Aus Sicht der Gleichstellung sind Pissoirs nicht akzeptabel.“

Dessen sind sich die Antragsteller durchaus bewusst. Also argumentieren sie:

„Dieses Angebot bietet zwar nur eine Lösung für die Notdurft von Männern, da sie aber nahezu allein für die beschriebenen Verunreinigungen und den Zustand verantwortlich sind, kann diese Variante mit ihrem Angebot zu einer deutlichen Reduzierung der Verschmutzung und somit zu einem besseren Zustand für alle führen.“

Was vielleicht noch nicht scharf genug formuliert ist.

Hätten die Autoren des Antrags neben der einseitigen Geschlechterschuldzuweisung auch gleich noch eine Strafklausel eingeführt, würden feministischen Verdammungen, wie sie nach der Errichtung der Hamburger Pinkelklausen zu lesen waren…

 

 
…hier womöglich nicht wiederholt werden.

 
Deshalb ein Formulierungsvorschlag: „..da sie aber nahezu allein für die beschriebenen Verunreinigungen und den Zustand verantwortlich sind, erscheint die Einrichtung einer öffentlichen Straf-Bedürfnisanstalt zwingend geboten.“

Denn bei jeder seiner Beschlüsse muss das Bezirksamt auch die Gleichstellungs- und gleichbehandlungsrelevanten Auswirkungen darlegen.

Mit einem einfachen „Hauptsache, es stinkt nicht mehr“ werden die Genossinnen und Genossen da schwerlich durchkommen.

 

 



6 Kommentare zu “Pissecken, die alten Römer und die Gendergerechtigkeit”

  1. Auch wenn hier die Geschlechtergerechtigkeit zu kurz kommt, kann ich persönlich diesem Antrag nur beipflichten. Jeden Morgen gehe ich zur U-Bahn an der Schönhauser und es ist einfach nur widerlich und absolut ekelhaft, durch diesen bestialischen Gestank laufen zu müssen. Es sollte definitiv eine Lösung dafür gefunden werden, denn das nur wenige Meter entfernte City-Klo scheint nicht ausreichend zu sein und kostet zudem Geld, was nicht jede/r bereit ist, für das erledigen der Notdurft zu zahlen

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  2. the ghost

    Aug. 14. 2022

    Eine Frau, die in der Öffentlichkeit pisst, kann das auch in einem Pissoir. Und nur für die sind die Einrichtungen gedacht – nicht als Serviceangebot für alle Bürger und Bürgerinnen.

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  3. the ghost

    Jul. 23. 2023

    Die gleichen wasserlosen Objekte wie in Hamburg stehen auch am Bochumer Hauptbahnhof. Nur haben irgendwelche hirnlose Damen da Tempotücher reingeschmissen (deren Benutzung sie sich wohl nicht verkneifen wollten), so dass der Abfluss verstopft ist und sich die Brühe bis zum Beckenrand staut. Benutzung nicht mehr möglich.
    Dass in ein Urinal kein Papier oder sonstige festen Stoffe gehören, sollte eigentlich jedes kleine Kind wissen.
    Und das WC-Center im Untergeschoss kostet 1 €.

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  4. Herbert Bufalla

    Jan. 18. 2024

    Da treffen wir Jungs vorm Fussballschauen immer und zischen Dosenbier. Strullen wie die Pferde da in die Ecken. Stinkt räudig nach Jauche, aber egal.

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  5. Norbert Hess

    Feb. 25. 2024

    Wir Jungs pissen da auch immer hin.

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  6. Jamie

    Feb. 29. 2024

    @Herbert Genau, da bin ich auch regelmäßig! XD Und wenn gut was fließt piss ich da auch 2-3x pro Spieltag hin. Der Geruch, ja, meine Güte. Ist halt Tradition. Schon bei meinem ersten Spiel, Vadder nach Bier, ich nach Cola und Bulette, haben wir schon mit vielen anderen Fans dahingeschifft.
    Ganz ehrlich, später in den Büschen am Stadion riecht es dann angenehmer beim düngen.

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