Pankower Lichterkette: „Es ist geschehen und es kann wieder geschehen“


 

Rund 400 Menschen trafen sich am Sonntagabend vor dem ehemaligen Jüdischen Waisenhaus in der Berliner Straße zu 21. „Pankower Lichterkette“. Sie gedachten des 74. Jahrestages der Befreiung des KZ Auschwitz durch die sowjetische Rote Armee.

Wenn diese Erinnerung kein erstarrtes Ritual werden soll, erklärte Bezirksbürgermeister Sören Benn in seiner Ansprache, „wenn sie zu mehr nützlich sein soll, als das eigene Verstehen, dass wir ja auf der guten Seite stehen, dann muss diese Erinnerung aufklären, über den Weg, der in den Holocaust geführt hat.
Also sichtbar machen, wie es dazu kommen konnte. Dann muss sichtbar gemacht werden, wie wirtschaftliches Elend, die Missachtung der demokratischen Verfassung, rassistische Ideologien, die tragische Feindschaft der Arbeiterparteien und Interessen des Großkapitals eine Suppe ergaben, aus der diese Barbarei entstand.
Nur wer dies weiß, wird in der Lage sein, einer Wiederholung vorzubeugen. Denn weil es geschehen ist, kann es wieder geschehen.“
 

„Verantwortung als Mensch und Muslimin

Danach trat die Politikstudentin Studentin Isra Mohamed ans Mikrofon.

Sie erzählte davon, wie sie in der fünften Klasse im Unterrichten zum ersten Mal mit den Tagebüchern von Anne Frank in Berührung kam: „In deutsch, Sozialkunde und Ethik sprachen immer und immer wieder darüber.“ Und manchmal, so erzählte sie, fragte sie sich: Was habe ich damit zu tun.

Später dann, als der „Islamische Staat“ sein Terrorregime über weite Teile des Iraks ausbreitete, habe sie sich gefragt: Was habe ich damit zu tun, was grausame, unmoralische Menschen tun, die meine Religion missbrauchen?

„Heute weiß ich“, so die Studentin, „ich bin zwar nicht verantwortlich für den Holocaust. Auch nicht du, mein lieber Mitschüler mit ägyptischen Wurzeln, auch nicht du meine deutsch-deutsche, Freundin, auch nicht Sie, meine liebe Geschichtslehrerin. Nein, wir sind nicht schuld – aber verantwortlich dafür, dass es nicht wieder geschieht.

Nicht nur, weil wir deutsch sind und eine solch grausame zeit vor nicht einmal hundert Jahren hinter uns haben. Sondern weil wir in erster Linie Menschen sind und gerade weil ich Muslimin bin. Gerade als Muslimin verspüre ich eine große Verantwortung über unsere Gesellschaft, über unsere Geschichte und über Deutschland. Ich darf niemals zulassen, dass die Geschichte sich wiederholt. Ich darf nicht zulassen, dass jüdische Kinder und Schüler auf Grund ihrer Religion diffamiert und benachteiligt werden.“
Ebenso wende sie sich dagegen, dass muslimische Kinder diffamiert und ihnen pauschal und grundlos Antisemitismus vorgeworfen werde. „Denn genauso, wie ich mich als Deutsche gegen Antisemitismus ausspreche, tue ich es auch als Muslimin.“
 

Noch immer kommen Flüchtlinge ums Leben

Wenige Meter weiter, vor dem einstigen Sommergarten der Familie Garbaty erinnerte ein Vertreter der Organisation Seawatch daran, dass heutzutage wieder Flüchtlinge in großer Zahl sterben.

So ertranken knapp 200 Flüchtende vor einer Woche auf dem Weg übers Mittelmeer Richtung Europa. Berichte von Überlebenden legten es nahe, dass mindestens ein weiteres Boot mit bis zu 150 Menschen die libysche Küste verlassen hatte, das nirgendwo ankam. 250 Menschen wurden von der sogenannten libyschen Küstenwache – und zwei Frachtschiffen, von denen eines einer deutschen Reederei gehört – zurück in das Land verschleppt, aus dem sie gerade entkommen waren. Im offenkundigen Verstoß gegen das Nichtzurückweisungs-Prinzip der Genfer Flüchtlingskonvention

Doch zum Glück, so der Redner, gibt es auch Widerstand. Eine Gegenbewegung, die ein ganz anderes Bild von Europa zeichnet: „Wir liegen innerhalb der italienischen Hoheitsgewässer, weil uns der Bürgermeister und die Zivilgesellschaft der Stadt Siracusa eingeladen hatte dort anzulanden. Zusammen mit vielen weiteren Städten wie Neapel, Palermo, Berlin, Hamburg und Barcelona, versteht sich Siracusa als sicherer Hafen und solidarische Stadt für Migrantinnen und Flüchtende.“

 

Sorge über rechtsradikale Strukturen

Die Gefahr, die von neonazistischen Strukturen in Bundeswehr, Polizei und Geheimdiensten für den demokratischen Rechtsstaat ausgehen, wies der Vorsitzende der Pankower „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/ Bund der Antifaschisten“ – einer der Veranstalter der Lichterkette – hin.
Rechtsextreme im Staatsapparat hätten nun Zugang zu Waffen und brisanten Informationen . Sie können ihre Stellungen nutzen, um Gegner zu verfolgen, Gesinnungsgenossen hingegen zu fördern.
„Warum gibt es keine wissenschaftlichen Untersuchungen zu rechtsextremen Einstellungen in Armee und Polizei? Im Zusammenhang mit den jüngsten Skandalen wurde diese Frage in den Medien häufig gestellt. Als Antwort heißt es, die polizeilichen und militärischen Apparate verweigerten sich solchen Studien. Sie mauern sich ein gegen die Forschung.“

Nach den Redebeiträgen begab sich der Gedenkzug zur Kreuzung Berliner / Breite Straße und legte dort eine Schweigeminute ein.

Wie in jedem Jahr fand die Lichterkette mit einer Andacht in der Kirche auf dem Pankower Anger seinen Abschluss.

 

Impressionen von der Veranstaltung


 



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