Manchmal ist man sich selbst ein wenig unheimlich.
Am 22. März reagierte die Prenzlberger Stimme auf Twitter auf die Tagesspiegelunterzeile „Berlin ist eine Stadt ohne Opposition“ mit der neckischen Bemerkung: „Natürlich gibt es eine Opposition in Berlin. Sie heißt SPD“.
Klar schien das etwas sehr überspitzt, aber schließlich war das ja Twitter, und da… – eben.
Doch der Regierende Bürgermeister und Berliner SPD-Vorsitzende Michael Müller scheint die Tweets der Prenzlberger Stimme zu lesen. Und sich ihnen offenbar darüber hinaus auch irgendwie verpflichtet zu fühlen.
Denn nur acht Tage später teilte er auf dem Berliner Landesparteitag gegen die Landesregierung – beziehungsweise den größeren Teil derselben – dermaßen aus, wie man es sich von einer schlagkräftzigen Opposition nur wünschen kann.
Zwei Regierungsvorhaben habe er blockiert, verkündete er stolz den Delegierten.
Was in der Tat beachtlich ist: Hatten es die drei (anderen) Oppositionsparteien doch in zweieinhalb Jahren noch nicht mal auf nur eine einzige Blockade eines Regierungsprojekts gebracht.
Als Grund für seine harte Oppositionsarbeit nannte der Partei- und Regierungschef den fehlenden gesunden Menschenverstand der Koalitionspartner.
Harte Logik
So hätten beispielsweise die Linken sich einer Ausweitung der Videoüberwachung in der Stadt verweigert, weil den Linken der gesunde Menschenverstand dafür fehlt, dass einer im Sinkflug befindlichen Kriminalität dringend eine Ausweitung des Polizeirechts – und damit eine Einschränkung der Bürgerrechte – folgen muss. Je weniger Kriminalität, desto restriktiver das Polizeigesetz – wem würde das nicht einleuchten?
Dass der Landesparteitag hernach den gesamten Rest des Polizeigesetzentwurfs in die Tonne kloppte, muss an der Abwesenheit eines gesunden Menschen- oder konkreter gesagt, eines gesunden Müllerverstandes bei der Mehrheit der Delegierten gelegen haben.
Selbstverständlich gehört es zum gesunden Müllerverstand, eine Vergesellschaftung der Deutsche Wohnen als der „dritte, vierte oder fünfte Schritt“ mit der Begründung zurückzustellen, dass das viel zu teuer ist und dafür den „Rückkauf“ nur eines Teils der „Deutsche Wohnen“ – nämlich der GSW – zu einem bedeutend höherem Preis zu favorisieren.
Auch, wenn die Deutsche Wohnen gar nicht verkaufen will.
Ziel: Endlich wieder führen!
So, wie es zum gesunden Müllerverstand gehört, die im Grundgesetz explizit vorgesehene Vergesellschaftung gegen einen „Mietendeckel“ einzutauschen, der nirgendwo festgeschrieben ist, sondern lediglich von einem Juristen erfunden wurde, der eine neue Rechtsverteilungslage zwischen Bund und Ländern ausgemacht haben will. Natürlich weiß jeder, der über einen gesunden Müllerverstand verfügt, dass wacklige juristische Konstruktionen tausendmal sicherer sind, als das Grundgesetz.
Stand die SPD nach der Berlin-Wahl vor zweieinhalb Jahren noch mit immerhin 21,6 Prozent an der Spitze, während die Koalitionspartner Linke und Grüne mit 15,6 und 15,2 Prozent deutlich dahinter lagen, erreichten die Grünen bei den letzten Umfragen zwischen 21 und 23 Prozent, die Linken zwischen 18 und 20 Prozent und die SPD zwischen 15 und 17 Prozent.
Sollte sich der Trend fortsetzen – und nichts spricht derzeit dagegen – könnten sich Grüne und Linke im Jahr 2021 in einer Zweierkoalition wiederfinden. Und jeder, der über einen gesunden Müllerverstand verfügt, wird das als einen Auftrag an Michael Müller verstehen, nun endlich wieder eine eindeutige Führungsposition in dieser Stadt zu übernehmen. Wenn auch nur in einer GroOp – einer Großen Opposition,
Vorausgesetzt natürlich, die SPD schafft es bis dahin irgendwie, die CDU zu überholen.