Freitag Nachmittag in der Prenzlauer Berger Gneiststraße. Nach der großen Klimastreikdemo am Brandenburger Tor hatten sich einige Anwohner der Straße in eine Parklücke gesetzt, um der großen Protestaktion eine kleine folgen zu lassen: Denn auch der diesjährige „Parking Day“ fiel auf den 20. September.
Parking Day ist ein seit 2005 international jährlich begangener[Aktionstag zur Re-Urbanisierung von Innenstädten: In der Regel am dritten Freitag des Septembers werden Parkplätze im öffentlichen Straßenraum modellhaft kurzfristig „umgewidmet“ Seit einigen Jahren geschieht das auch in Berlin.
Wohnstraße mit Durchgangsverkehr
Die Gneiststraße ist eine kleine Wohnstraße, die in die Schönhauser Allee mündet. Kopfsteinplaster, rechts und links parken dicht an dicht Autos im rechten Winkel zur Straße, was die eh nicht allzu breite Fahrbahn noch enger macht.
Der Verkehr, der an den in einer kleinen Parklücke sitzenden Parking-Day-Leuten vorbei zieht, ist nicht überbordend, aber für eine kleine Wohnstraße beachtlich. Motorräder, PKWs, LKWs – fast ausnahmslos als Durchgangsverkehr.
Auch in er Nacht wird die Straße gern als „Schleichweg“ von der und zur Schönhauser Allee genutzt, was wegen des Kopfsteinpflasters auch akustisch so seine Reize hat.
Deshalb hatte die Bezirksverordnetenversammlung von Pankow im September 2017 in einem Beschluss aufgefordert, in „der Gneiststraße Maßnahmen zur Verminderung des Durchgangsverkehrs und zur Förderung des Rad- und Fußverkehrs zu ergreifen.“
In einem „1. Zwischenbericht“ vom 17. Januar 2018 – dem einzigen bisher – erklärt das Bezirksamt erst einmal, was seiner Meinung nach alles nicht geht: So existiere
„laut bezirklicher Verkehrsbehörde (…) keine rechtliche Grundlage, den Verkehr in dieser Straße durch verkehrsbehördliche Eingriffe weiter einzuschränken oder gar auszuschließen.
Eine Verringerung der Fahrgassenbreite durch Änderung der Parkordnung, mit dem Ziel der Herabsetzung der Geschwindigkeit, ist nicht möglich, da dann die Mindestbegegnungsbreite für Kfz unterschritten würde.
Aufpflasterungen und Schwellen werden als nicht zielführend angesehen, da sie nur eine punktuelle Bremsung der Kfz, verbunden mit zusätzlicher Lärmentwicklung beim Passieren der Hindernisse und dem folgenden Beschleunigen, bewirken.“
Radfahrer als PS-Bremse
Stattdessen favorisierte das Bezirksamt die Asphaltierung der Gneiststraße. Begründung:
„Durch die Erhöhung der Attraktivität für den Radverkehr würde sich der zu großen Teilen auf den schmalen Gehwegen stattfindende Radverkehr wieder auf die Fahrbahn verlagern. Auch ist davon auszugehen, dass Radfahrer, die heute Umwege über die glatten Fahrbahnen der Stargarder- und Danziger Straße in Kauf nehmen, dann den Straßenzug Gneiststraße/Raumerstraße nutzen würden.“
Okay, das war zwar ein durchaus interessanter Aspekt, hatte aber mit dem motorisierten Durchgangsverkehr durch die Gneiststraße nicht direkt etwas zu tun.
Oder doch?
Das Bezirksamt zog eine scharfe Kurve, und folgerte messerscharf:
„Das erhöhte Radverkehrsaufkommen würde eine spürbare Verlangsamung des Kfz-Verkehrs bewirken.“
Radfahrer als natürliche Bremse für 30-Tonner, SUVs und schnucklige Smarts – das kann sich nur jemand ausdenken, der noch nie als Radfahrer einen LKW-Kühlergrill oderdas Röhren von 400 PS+X im Rücken hatte.
Allerdings endete der 1. Zwischenbericht“ irgendwie dann doch noch irgendwie tröstlich: „Die Umsetzung“, so das Bezirksamt, würde dann in Abhängigkeit von den personellen Ressourcen erfolgen“. Was, unter Zuhilfenahme des Wörterbuchs „Bezirksamtisch – Deutsch“, übersetzt soviel bedeutet, wie „innerhalb der nächsten drei Jahrzehnte oder vier Tage früher oder vielleicht auch nie“.
Ausweichen in eh schon verstopfte Straßen?
Ziemlich überraschend kam aber nun nach nur wenig mehr als einem halben Jahrzehnt Anlaufzeit ein anderes Projekt ins Rollen: Die Umwidmung der in der Nähe befindlichen Stargarder Straße in eine Fahrradstraße.
Nun ist eine Fahrradstraße mitnichten eine Straße, die nur von Radfahrern benutzt werden darf. Sie darf auch von autofahrenden „Anliegern“ benutzt werden. Allerdings – so hatte der Vorsitzende des Verkehrsausschusses der Pankower Bezirksverordnetenversammlung Pankow Wolfram Kempe einmal treffend bemerkt „ist ein Anlieger in Berlin jemad, der irgend ein Anliegen hat – also jeder.“
Dennoch kann man so eine Fahrradstraße nicht einfach so ausrufen. Dafür muss es umfangreiche Untersuchungen geben. Zum Beispiel Zählungen des aktuellen Verkehrsaufkommens und eine Prognose, wohin der Autoverkehr – so man ihn denn tatsächlich von der weiteren Nutzung der künftigen Fahrradstraße abhalten könnte – ausweichen wird.Die Planer und das Bezirksamt waren sich einig: Die durchschnittlich 4.108 großen und kleinen Autos, die bisher im Durchgangsverkehr durch die Stargarder Straße tuckerten, werden lünftig zu fast gleichen Teilen die Wichert- und die Danziger Straße benutzen.
Was für die mehrspurige Danziger Straße vielleicht noch zutreffen mag, erscheint für die Wichertstraße eher illusorisch: Hier steht dem Autoverkehr in jeder Richtung nur eine Spur zur Verfügung und in Stoßzeiten ist die Fahrbahn schon jetzt so gut wie verstopft.
Also werden sich die Kraftfahrzeuglenker wohl im Sinne eines schnelleren Vorankommens dann noch häufiger durch die Wohnstraßen rund um den Helmholtzplatz bewegen.
Umgegend nicht miterfasst
Daher fragte Gneiststraßen-Bewohnerin Anwohnerin Patrizia Flores – die auch Bürgerdeputierte der Grünen im Verkehrsausschuss der BVV ist und die Fahrradstraße uneingeschränkt begrüßt – auf der Informationsveranstaltung nach, ob die Untersuchungen über die Auswirkungen der künftigen Fahrradstraße auch die umliegenden Wohngebiete mit einbezogen hätte.
Die einhellige Antwort von Planungsbüro und Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn (Bündnis 90/ Die Grünen) war von bestechender Klarheit: Nein.
Die Planer hatten dafür eine einleuchtende Begründung: Das war nicht Teil ihres Auftrages.Der Stadtrat bestätigte das. Es wurde kein integriertes Verkehrskonzept für den gesamten Kiez zu erstellen.
Aber, so fragte jemand, ist das nicht ein handwerklicher Fehler: Ein Gutachten anzufertigen, ohne die Folgen für die unmittelbare Umgegend zu berücksichtigen? Und daraus vielleicht sogar Maßnahmen herzuleiten, die einen „Schleichverkehr“ durchs Wohngebiet erschweren?
Da platzte es aus dem Stadtrat heraus: „Sie sehen immer nur Prenzlauer Berg!“ Dabei gebe es auch anderswo Probleme – etwa dann wenn in der Pankower Ossietzkystraße eine Fahrradstraße eingerichtet würde. Und wenn erst die Bauarbeiten in Malchow… . Die Autos seinen nun einmal da – und irgendwo müssten die ja hin.
Künftig mehr Autos auf asphaltierter Gneiststraße?
Bei der Parking-Day-Aktion in der Gneiststraße waren mittlerweile noch einige Leute hinzugekommen – darunter auch einige Kinder. Die freuten sich, an dem Tag mal auch auf der Straße spielen zu können.
Aber nichts da. Immer wieder passierte ein Auto die Straße. Wie sollte das erst werden, wenn die Stargarder tatsächlich zur Fahrradstraße wird und die Gneiststraße dann vielleicht schon asphaltiert ist? Zieht das nicht noch mehr motorisierten Verkehr an, der dann nicht mehr übers Steinpflaster rumpelt, sondern bedeutend schneller über den Asphalt rauschen kann?
Zumindest für diesen Nachmittag fanden die Anwohner eine Lösung – einfach und wirkungsvoll: Der Tisch wurde an der Einmündung zur Greifenhagener Straße aus der Parklücke geholt und quer auf die Straße gestellt. Und an der Schönhauser Allee wurde ein Transparent, das offenbar zuvor auf der Klimastreikdemo getragen wurde, quer über die Zufahrt zur Gneiststraße gespannt.
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Karin Reiter
Sep 23. 2019
Ich habe mich anlässlich des Artikels an die Bürgerbeteiligung erinnert und gerade nachgelesen, welche Ergebnisse und Schlussfolgerungen es gab. Traute allerdings meinen Augen nicht, da sich der Eindruck bestätigte, dass da BA die Hinweise vieler Anwohner, dass auf Schivelbeiner Straße und wohnstrassen Arnimplatz jetzt schon überbordend Durchgangsverkehre zu ertragen sind, und die Welt nicht an der Schönhauser endet, sodass man lediglich Danziger und Wichertstrasse betrachten müsse als Kandidaten für verlagerte Durchgangsverkehre, völlig unter den Tisch gefallen sind. Glaubt jemand, dass der verlagerte durchgangsverkehr auf der Wichert sich am Ende dieser in Luft auflöst? Das BA scheinbar. Die Ignoranz gegenüber den vielen Anmerkungen von Anwohnern ist erschütternd. 4000 Fahrzeuge auf der stargarder rechtfertigen eine Fahrradstrasse? In der Wohnstrasse Seelower Straße mit weitgehend bereits ruinieren Koofsteinpflaster haben wir heute schon die gleiche Zahl Durchfährt-Pkw „ohne Anliegen“ bzw. lediglich dem, die Ampeln auf der Schönhauser zu umfahren – künftig dann auch die Fahrradstrasse Stargarder. Danke, Herr Kuhn für Ihren bemerkenswert fokussierten Blick auf lediglich eine Strasse. Die Mühe, an Bürgerbeteiligungen teilzunehmen, werde ich wohl in Zukunft nicht mehr auf mich nehmen. Das hier ist ein Beispiel für Pseudobeteiligung.