Es gibt ja so Klischees. Danach sind die Engländer mit einem für Deutsche zuweilen befremdlich bizarren Humor geschlagen und sollen zudem geradezu versessen darauf, noch die absonderlichsten Wetten abzuschließen. Beziehungsweise Abstimmungen – die ja auch so eine Art Wette sind.
Die Deutschen hingegen sollen über einen alle Maßen hinausgehenden Sinn für Ordnung und Sauberkeit… – okay, passt jetzt für Berlin auf den ersten Blick vielleicht nicht so…. – egal.
Der neueste heiße Scheiß auf der Insel scheinen Kippen-Wahlen zu sein. Also keine Wahlen, die irgendwie auf der Kippe stehen, sondern welche, die mit Zigarettenkippen entschieden werden. Glaubt man der einschlägigen Werbung, stehen an allen Ecken und Enden Britanniens gelbe Ballot Bins – Wahlurnen – mit denen über alle wichtigen Fragen dieser Welt abgestimmt werden kann. Zum Beispiel: Wer wird das kommende Londoner Lokalderby gewinnen: Tottenham oder Arsenal?
Einfach nur über die eigenen Präferenzen abstimmen, geht auch: Sehe ich lieber Formel Eins oder die US Open?
Das Besondere an diesen Wahlurnen: Dort werden keine Wahlzettel eingeworfen werden, sondern…. Zigarettenkippen. Durch eine zum „Wähler“ hin eingefügten Glasscheibe ist der jeweilige Stand des Wahlprozesses abzulesen.
Britische Idee nach Berlin importiert
Der Gedanke dahinter ist, die wettwütigen Briten auf spielerische Art zu animieren, ihre ausgebrannten Fluppenreste nicht mehr in derGegend herumzuwerfen, sondern in einen dafür vorgesehenen Behälter einzuwerfen – sozusagen als Stimmabgabe.
Die Idee ist mittlerweile in Berlin angekommen, wo es die Stadtreinigungsbetriebe bisher mit normalen Abfallbehälter samt draufgemalten Sprüchen nicht vermocht hat, der Stummelflut auf den Straßen Herr zu werden.
Unter dem Slogan „Kippen in den Kasten – Stimm’ ab mit deiner Kippe“ hat die gemeinnützige „wirBERLIN gGmbH“ dort im August zehn Ballot Bins aufstellen lassen. Ob die Implantation der auf dem speziellen britischen Wettfimmel basierenden Idee gelingt, ist ungewiss.
Die „Wahlmöglichkeiten“, die die Initiatoren möglicherweise für humorvoll halten, klingen jedenfalls ziemlich deutsch und sind daher nicht zwingend animierend: „Mein Lebensgefühl in der Wilhelmstadt: Matt oder glänzend?“ steht da zum Beispiel an einem der gelben Kästen. Ob das einen Raucher tatsächlich dazu bewegen könnte, zehn oder zwanzig Meter Weg auf sich nehmen, um dafür abzukipp… – pardon! – abzustimmen?
Zwei Ausschüsse prüfen ob geprüft werden soll
Noch deutscher geht es in Pankow zu. Da hat nun die CDU-Fraktion extra einen Antrag in die Bezirksverordnetenversammlung eingebracht. „Das Bezirksamt Pankow von Berlin wird ersucht,“ heißt es da, „die Anschaffung von Ballot Bins zur Aufstellung an verschiedenen Standorten in Pankow zu prüfen.“
Etwas irritierend erscheint die Darstellung der Funktionsweise der Kippengräber: „Auf dem Ballot Bin befindet sich eine Frage, die Einheimische oder Touristen durch Einwurf der Kippe beantworten. Ein Beispiel für eine Frage könnte sein ‚Ein sauberer Mauerpark ist mir wichtig‘.“
Oh, oh…. – mal davon abgesehen, dass das gar keine Frage ist, sondern eine Feststellung, klingt das aber verdammt nach DDR-Einheitsliste und Zettel- beziehungsweise Kippenfalten. Andererseits: Was wäre da die Wahlalternative? „Mehr Müll und Abfall im Mauerpark ist dringend erforderlich“?
Weil man – preußisch korrekt – dem Bezirksamt ein Prüfungsersuchen ja nicht ungeprüft überreichen kann, wurde der Antrag gleich in zwei (!) Ausschüsse zur weiteren Beratung überwiesen.
Letzte Rettung: Wettqualmen
Da stimmen sie dann eben doch wieder, die Klischees: Wenn eine fröhlich-schräge britische Idee in Deutschland ankommt, wird sie unverzüglich zum Verwaltungsakt.
Zu retten wäre das Ganze eigentlich nur noch, wenn die Bezirksverordneten in den Ausschüssen während der Debatte wie die Kosseten um die Wette quarzten – in der Hoffnung, bei der Abstimmung mit der Abgabe der meisten Stummel den Sieg davonzutragen.
Roman Radisch via Facebook
Nov. 07. 2019
Sehr geil – würde mich freuen, auch abstimmen zu können. 🙂