Das große auf dem Asphalt aufgebrachte „Fahrradstraße“-Symbol war schon wieder so weit verblasst, dass es kurz vor der offiziellen Eröffnung der Fahrradstraße in der Ossietzkystraße aufgefrischt werden musste. Für den Abrieb sorgten die Reifen der unzähligen Autos, die Tag für Tag die Wohnstraße als einen Teil einer Umgehungsstraße für die stark frequentierte Grabbeallee nutzen – mit einer Intensität, die an Wochentagen zum Teil dem einer Hauptstraße zur Ehre gereicht.
Die nun fertiggestellte, ca 300 Meter lange Strecke, deren Umbau mit Kosten von 255.000 Euro laut Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn (Bündnis 90/ Die Grünen) etwas teurer als vorgesehen geworden ist, erstreckt sich von der Breite Straße bis zum Majakowskiring.
Neben Markierungen und Beschilderungen wurden „Eingangstore“ in Form einer Fahrbahnverengung an der Breiten Straße und am Majakowskiring angelegt. Darüber hinaus gibt es bauliche Vorstreckungen an der Kreuzung Ossietzky-/Wolfshagener Straße und Ossietzkystraße/Am Schlosspark.
An der Einmündung Pestalozzi- /Ossietzkystraße wurde der Bordstein abgesenkt und insgesamt zehn markierte Übergänge für Fußgänger eingerichtet, teilweise gesichert durch Baken oder Poller und Fahrradbügel. Demnächst werden noch 15 Fahrradbügel im Seitenraum sowie 34 Fahrradbügel auf der Fahrbahn installiert.
Einstimmiger BVV-Beschluss – irritierende Verzögerungsgründe
Das Ringen um die Einrichtung der Fahrradstraße kann auf eine rund siebenjährige Geschichte zurückblicken.
Im Jahr 2013 stand das Thema Verkehrsberuhigung für die Strecke Ossietzkystraße/ Majakowskiring/Stille Straße/Güllweg das erste Mal auf der Tagesordnung der Pankower Bezirksverordneten, ohne dass es eine Folge gezeitigt hätte – außer, dass das Verkehrsaufkommen im Wohngebiet weiter anstieg.
Im Frühsommer 2018 brachte der CDU-Fraktionsvorsitzende Johannes Kraft auf Bitten von Anwohnern einen Bürgerantrag in die Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV) ein, in dem rigorose Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung gefordert wurden. Unter anderem die Ausweisung einer Spielstraße in der Stille Straße mit wechselseitiger Anordnung von Aufstellflächen für Kraftfahrzeuge, die Einrichtung einer Fahrradstraße im Wohngebiet sowie Fahrbahnverschwenkungen und Gehwegvorstreckungen. Der Antrag wurde von der BVV im Oktober 2018 einstimmig angenommen.
Im Februar 2019 teilte Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn (Bündnis 90/ Die Grünen) in einem „1. Zwischenbericht“ an die Bezirksverordneten mit: Eine Untersuchung, ob die gewünschten Verkehrsberuhigungsmaßnahmen möglich wären, könne derzeit nicht erfolgen, weil Baustellen rings um das Untersuchungsgebiet kein realistisches Ergebnis erwarten ließen. Außerdem wisse man auch gar nicht, aus welchem Budget die Untersuchung finanziert werden könnte.
„Voll-Rad statt Voll-Autos“
Soviel Ungewissheit mochten die Anwohner, die sich derweilen zur „Bürgerinitiative zur Verkehrsberuhigung Niederschönhausens“ zusammengeschlossen hatten, nicht hinnehmen. Also machten sie März 2019 mit einer Fahrraddemonstration mit Slogan unter dem Motto: „VOLL-RAD statt VOLL-AUTOS. Vollrad, tu was!“ auf die nach wie vor unerträgliche Situation aufmerksam.
Im Mai 2019 dann ein erster Teilerfolg der Bürgerinitiative: Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn teilte mit, dass trotz ungeklärter Finanzierung noch im laufenden Jahr ein Verkehrsgutachten in Auftrag gegeben werden und zudem mit einer Verkehrszählungen überprüft werden soll, ob für den “Streckenzug Ossietzkystraße/ Majakowskiring/ Stille Straße/ Güllweg die rechtliche Grundvoraussetzung zur Umwandlung in eine Fahrradstraße“ gegeben sind.
„Diese besteht darin“, lässt Kuhn da im schönsten Beamtendeutsch verlauten,
„dass der prognostizierte Radverkehr nach der Realisierung der Maßnahme die überwiegende Verkehrsform sein wird. Die im vergangenen Jahr in diesem Gebiet von der Verkehrslenkung Berlin (VLB) durchgeführten Knotenstromzählungen sind für die Begründung einer Fahrradstraße nicht ausreichend, da diese keine Rückschlüsse über den Anteil des motorisierten Durchgangsverkehrs zulassen.“
Ins Deutsche übersetzt: „Man muss vorher zählen um zu wissen, ob hinterher viele Fahrrad- und wenige Autofahrer die Straße nutzen. Die vorangegangene Zählung konnte nicht ermitteln, ob hinterher weniger oder mehr Autos die Straße nutzen.“
Mit so viel Logik konfrontiert, rüsteten die Anwohner zur nächsten Aktion: Eine Straßenblockade.
Senatsrundschreiben bringt Klarheit
Nur 48 Stunden vor der geplanten Besetzungüberraschte der Bezirksstadtrat die Anwohner dann plötzlich mit einer frohen Botschaft: „Ossietzkystraße wird noch 2019 zur Fahrradstraße“.
Wie das? Offenbar lag der Grund für die Verzögerung in einer Fehleinschätzung der Kuhn unterstehenden Verwaltung.
Bislang, so war in der die Nachricht verbreitenden Pressemitteilung zu lesen, war man in Kuhns Abteilung
„davon ausgegangen, dass der Einrichtung einer Fahrradstraße zwangsweise eine Verkehrszählung vorausgehen muss, eine kostenintensive Maßnahme, deren Finanzierung bislang noch ungeklärt war. Grundlage zur aktuellen Neubewertung der Situation ist unter anderem ein Rundschreiben der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. (…) Die rechtliche Grundvoraussetzung zur Umwandlung in eine Fahrradstraße besteht laut des Schreibens darin, dass der prognostizierte Radverkehr nach der Realisierung der Maßnahme die überwiegende Verkehrsform sein wird. Erst nach der Umsetzung muss dann regelmäßig überprüft werden, ob diese Prognose zutrifft.“
Man lernt: Für die Erkenntnis, dass man erst hinterher sehen kann, ob eine Prognose auch zutrifft, braucht es Rundschreiben von übergeordneter Stelle.
Termin verschoben
Die Straßenbesetzung fand trotzdem statt – vorsichtshalber. Denn ob die Prognose, dass die Ossietzkystraße tatsächlich noch 2019 zur Fahrradstraße wird, war den Anwohnern dann nun doch zu unsicher.
Und richtig: am 31. Oktober 2019, exakt zwei Monate vor Ablauf des Jahres, teilte der Bezirksstadtrat mit, dass der Termin nicht zu halten sei.
„Nach Vorlage der verkehrlichen Anordnung Anfang Oktober“, hieß es in der dazu veröffentlichten Pressemitteilung des Bezirksamtes,
„wurde angesichts des Gesamtumfangs der Leistungen von ca. 210.000 Euro klar, dass diese nicht über vorhandene Rahmenverträge abgearbeitet werden können, sondern ausgeschrieben werden müssen. Es folgten umfangreiche Bemühungen, zumindest mit Markierung und Beschilderung noch eine Teilleistung in 2019 umzusetzen, was sich jedoch nach eingehender Prüfung als nicht machbar erwiesen hat. Denn nachträglich notwendige Bauleistungen wie z.B. Vorstreckungen würden dazu führen, dass die neuen Markierungen zeitnah wieder entfernt werden müssten. Die Gesamtausschreibung wird noch kurzfristig im November erfolgen, so früh, wie es die winterliche Witterung dann erlaubt, wird anschließend mit den Bauarbeiten begonnen.“
Überschrift der Pressemitteilung: „Fahrradstraße in der Pankower Ossietzkystraße – Fertigstellung auf 2. Quartal 2020 verschoben“.
„Nur eine halbe Fahrradstraße“
Immerhin, dieser Termin wurde dann nur um ganze sieben Tage gerissen. Doch restlos glücklich war die engagierten Anwohner deshalb noch nicht. Das ganze sei nur eine „halbe Fahrradstraße“, erklärte Michael Fabricius von der Initiative „Verkehrsberuhigung in Niederschönhausen. Wenn auf der Hinweisplane steht, „Autos sind nur Gäste“, sei das zu wenig. Auch zeigte er sich skeptisch, ob sich die Autofahrer nun tatsächlich an die Vorgaben halten würden.
Seine Mitstreiterin Ines Beyer-Petz findet die Ausstattung unzureichend, weil die Abbiegung zum Majakowskiring nicht gesichert sei und deshalb Kollisionen mit Autos, die ja nach wie vor die Fahrradstraße passieren dürfen, nicht unwahrscheinlich seien.
Doch Diagonalsperren, die die Gefahr bannen könnten, wollte das Bezirksamt nicht setzen – zumindest nicht sofort. Weil, so Stadtrat Kuhn, die Lage erst einmal beobachtet werden müsse. Sollte sich bei den Beobachtungen herausstellen, dass es in der jetzigen Form nicht funktioniert, werde er „hart durchgreifen“, sprich: Die Poller nachträglich aufstellen lassen.
Impressionen von der Eröffnung
Axel Blomberg via Facebook
Jul 09. 2020
Mhm das Foto spricht Bände
Sebastian Plischke via Facebook
Jul 09. 2020
Axel Blomberg sehe ich genauso. Was ist der Vorteil einer Fahrradstrasse wenn sowieso überall geparkt wird und jedes Kfz durchfahren darf.
Sönke Mollenhauer via Facebook
Jul 09. 2020
Sebastian Plischke es gibt keinen Vorteil in der Fahrradstraße aber dafür in der Politik.
Martin Conert via Facebook
Jul 09. 2020
Wer brauch den Scheiss. Die Spinner fahren doch eh mehr auf dem Gehweg als sonst wo 😡
Gerhild Komander via Facebook
Jul 09. 2020
Sieht aus, als könnten die Radler es noch nicht glauben.
Ati El Fantastico via Facebook
Jul 09. 2020
dreck
Micha Bel via Facebook
Jul 09. 2020
@autobarone gernany
Dirk Reichardt via Facdebook
Jul 09. 2020
Lustiges Foto. 🙂 Eine Fahrradstraße mit PKWs und Parkspuren an beiden Seiten. Klasse. Oder meinen die das ernst?
Jörg Wiede via Facebook
Jul 09. 2020
Aber bitte nicht gestikulieren, wenn ein Kraftfahrer einen Radfahrer weghupen will, hinterher fühlt er sich dann beleidigt
Lopi Lopez via Facebook
Jul 09. 2020
Sieben Jahre? Nich so schnell – mir wird janz schwindelig.
Stefan Häbich via Facebook
Jul 09. 2020
Gießen brauchte zehn Jahre. 🤣
Gerhild Komander via Facebook
Jul 09. 2020
In der Linienstraße Mitte sieht das jetzt anders aus. Überlegt jeder Bezirk in Berlin eine eigene Markierung auf der Straße?
David Wartmann via Facebook
Jul 10. 2020
Das können wir in Steglitz-Zehlendorf toppen – vom BVV-Beschluss bis zur Anordnung 7 Jahre für den Straßenzug Sedanstr./Lauenburger Str. und bis heute weder modale Filter noch andere Maßnahmen gegen Schleichverkehr und zur Verkehrsberuhigung. Spitzenreiter ist die Markelstr. – 2011 BVV-Beschluss und bis heute keine abschließende Entscheidung des Bezirksamtes, ob nun eine Fahrradstraße angeordnet wird oder nicht… Aber im Vergleich zu Reinickendorf sind wir noch gut dran 😄
Jan N. Flemming via Facebook
Jul 12. 2020
Die Fahrradstraße ist richtig toll geworden!!!! Vielen Dank und weiter so Berlin/Pankow 🤟🏼
Kirsten Hoinkis via Facebook
Jul 12. 2020
Jan N. Flemming Ihr werdet Euch noch umsehen, was Euch Eure jetzige Politik in ein paar Jahren bringt. Klar , ich fahre wenig Auto und es denkt nicht jeder so, der Umwelt zu liebe. Aber wer macht die Straßen wieder ganz, wenn yihr die Autos vertrieben habt, die durch die Witterung Schaden nehmen. Kein Auto, keine Steuern. Dann fallt mal schö über Eure Löscher in Zukunftsnaher Zeit 😉 ,;) 😉
Paulina Berndt via Facebook
Jul 12. 2020
Güllweg erst 2023😲