Als die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Pankow gestern (Mittwoch) in ihrem „Exil“, der Aula der Lichtenberger Max-Taut-Schule, tagte, durften längst nicht alle, die ein Interesse an den dort aufgerufenen Tagesordnungspunkten hatten, die Debatten der Bezirksverordneten verfolgen. Kaum mehr als ein Handvoll Gäste, Pressevertreter oder Pankower, die eine Bürgeranfrage gestellt hatten, konnten in den Saal – der Rest war Neese. Grund: Die Corona-Hygieneregeln und die damit verbundenen Abstandsgebote lassen nur eine eng begrenzte Zahl an „betriebsfremden“ Anwesenden zu.
Zwar ist sowohl im Berliner Bezirksverwaltungsgesetz, als auch in der Geschäftsordnung der Pankower vorgeschrieben, dass die BVV-Tagungen öffentlich durchzuführen sind – doch Gesundheitsschutz geht nun einmal vor – da kann man halt nix machen.
Kann man doch!
Als sich die BVV zum Beginn dieser Legislaturperiode eine neue Geschäftsordnung gab, wurde unter § 42 Absatz 2 festgehalten: „Die öffentlichen Tagungen der BVV können über das Internet per Livestream durch die BVV übertragen werden.“
Geschehen ist seither: Nichts.
Anderswo längst Alltag
Als sich die Prenzlberger Stimme vor rund drei Jahren danach erkundigte, warum die Bezirksverordnetenversammlung diese Form der Öffentlichkeit trotz der nun in der Geschäftsordnung verankerten Möglichkeit nicht nutzt, erklärte BVV-Vorsteher Michael van der Meer (Die Linke), dass die BVV einen Livestream nicht selbst produzieren könnte, sondern ein Unternehmen damit beauftragen will. Dafür müssten aber mehrere BVVn einen Auftrag auslösen, nur die Pankower Bezirskverordnetenversammlung zu bespielen, wäre aus finanziellen Gründen nicht möglich.
Das verwundert in zweierlei Hinsicht.
Denn erstens genügt heuzutage ein einfaches Smartphone, um ins Netz zu streamen – zweitens scheinen andere Bezirksparlamente, wie jene in Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf, Freidrichshain-Kreuzberg oder Reinickendorf solche Probleme nicht zu haben. In diesen Bezirken ist der Livestream jeder BVV-Tagung längst Alltag.
Auch der einschränkende Zusatz in der Geschäftsordnung „Die Übertragung ist zu unterbrechen, wenn die jeweilige Rednerin/der jeweilige Redner der Übertragung ihres/seines Redebeitrags allgemein oder im Einzelfall widersprochen hat“, dürfte nicht der Grund für die Zurückhaltung sein. Denn das gelegentliche Antippen der Schaltfläche „Aus“ dürfte niemand intellektuell oder körperlich überfordern.
Selbst „Corona“ ließ den BVV-Vorstand weiterschlafen
Nachdem die Corona-Pandemie die BVV im Mai dazu zwang, ihr Ausweichquartier in Lichtenberg zu nehmen und die Besucher auf eine einstellige Anzahl zu begrenzen, machte sich das jahrelange Versäumnis bemerkbar: Die Tagung war de facto nur noch halböffentlich.
Nun war es aber nicht so, dass die Bezirksverordneten das Defizit nicht endlich erkannt hätten. In einem Beschluss mit dem Überschrift „Arbeitsfähigkeit der BVV Pankow und ihrer Gremien“, der auf Antrag der CDU-Fraktion auf jener Mai-Sitzung mit großer Mehrheit gefasst wurde, heißt es unter anderem: Das Bezirksamt Pankow von Berlin werde ersucht, „umgehend technische Lösungen bereitzustellen, um live-Übertragungen via Internet von Tagungen der BVV und ihrer Ausschüsse (…) zu ermöglichen.“
Doch auch dieser Beschluss blieb folgenlos – vielleicht auch deshalb, weil sie an die falsche Adresse gerichtet war: Für die Übertragung der Tagungen ist nicht das Bezirksamt, sondern die Bezirksverordnetenversammlung selbst zuständig – und die technischen Voraussetzung sind überall da, wo es ein Netz gibt, längst vorhanden.
Offenbar scheint bei den Entscheidungsträgern im BVV-Vorstand eine gewisse Technikängstlichkeit vorzuherrschen. Denn als die Mai-Entscheidung bezüglich des Livestreams auch bei der darauf folgenden Tagung im Juni folgenlos blieb, bot die „Prenzlberger Stimme“ BVV-Vorsteher van der Meer an, das Streamen zu übernehmen. Selbstverständlich kostenfrei und für jedermann frei zugänglich. Und mit integrierten Zusatzinformationen, wie zum Beispiel das Einblenden des jeweiligen Redner-Namens und die Verlinkung zur der gerade auf der Tagesordnung stehenden Drucksache.
Die Antwort blieb bis heute aus. Stattdessen tagte die BVV auch diesmal wieder nur mit einer Handvoll zugelassener „Analogzuschauer“.
SCHMELING
Sep. 03. 2020
Das ist eine schwache Kür,die Leute wurden durch uns schließlich gewählt. Da muss doch irgendwie zumachen sein,wo anders geht es auch.!!!!
Roger Bach via Facebook
Sep. 03. 2020
Ich hatte mich auch zur Teilnahme als Zuschauer der 34. Ordentlichen Tagung der BVV Pankow angemeldet und erhielt vom Büro des Vorstehers der BVV (Michael Van der Meer) eine Absage, mit der Begründung „es hätten sich bereits so viele angemeldet“. Jetzt erscheint mir diese Aussage „so viele“ mehr als lächerlich, wenn ich höre, es wäre nur eine Hand voll Zuschauer zugelassen und damit anwesend gewesen! Ich denke, daß man bei dieser BVV-Tagung nicht von einer „öffentlichen Tagung“ sprechen kann. Somit verstößt man hier durchaus nicht nur gegen demokratische Regeln sondern auch gegen eine Transparenz der Tagung. Corona-Regeln hin oder her – dies sehe ich nur als fadenscheinige Ausrede um die Zuschauerzahl willkommendermaßen auf ein Minimum zu begrenzen!
Daß der BVV anhand der zahlreichen Anmeldungen ein reges Interesse der Öffentlichkeit an einer Teilnahme bekannt war, hätte man eben den Tagungsort in einen wesentlich größeren Saal oder in eine Sporthalle verlegen müssen. So aber wurde die Öffentlichkeit dem Grunde nach ausgeschlossen.
Nur mal so nebenbei: Der frühere Bezirksstadtrat (2006-2016) Jens-Holger Kirchner hatte einmal vor Jahren bei einem Zuschaueransturm von hunderten der Anwohner der Michelangelostraße auf die Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung sinngemäß gesagt: „dann müssen wir die Sitzung eben notfalls in die Max-Schmeling-Halle verlegen“. Dies war natürliche nur eine rhetorische Aussage. Die Sitzung wurde damals übrigens abgebrochen und ein anderer größerer Tagungsort ausgewählt.
Übrigens liegen mir noch keinerlei Informationen über die Ergebnisse der einzelnen Tagesordnungspunkte (TOP) der 34. BVV-Tagung vor. Insbesondere die Ergebnisse der TOP 1.32 (Missbilligungsantrag gegen Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn) sowie der TOP 1.25, TOP 1.26 und TOP 1.27 (das Kino Colosseum betreffend) würden mich sehr interessieren. Leider gibt es auf der Webseite der BVV Pankow noch kein Protokoll der Tagung und auch anderswo im Internet keine Informationen.
Daniel Hauer via Facebook
Sep. 03. 2020
Roger Bach Nur ganz kurz auf Ihre Frage: alle genannten Anträge wurden beschlossen
Roger Bach via Facebook
Sep. 03. 2020
Herzlichen Dank! Und was kam nun beim Missbilligungsntrag gegen Kuhn konkret heraus? Was sind die Konsequenzen?
Daniel Hauer via Facebook
Sep. 03. 2020
Roger Bach Auch dieser wurde beschlossen
Roger Bach via Facebook
Sep. 03. 2020
Herzlichen Dank! Und was kam nun beim Missbilligungsnantrag gegen Kuhn konkret heraus? Was sind die Konsequenzen?
Daniel Hauer via Facebook
Sep. 03. 2020
Roger Bach Nennen wir es mal „gelbe Karte“
ben buschfeld
Sep. 08. 2020
Kleine Korrekturanmerkung: Die Brüder Max und Bruno Taut waren beides wichtige Architekten. Bruno ist sicher der bekanntere, die Schule in Lichtenberg ist aber nach Max-Taut benannt, vgl. auch https://welterbe-siedlungen-berlin.de/biografie/
von ODK
Sep. 09. 2020
Danke für den Hinweis. Sie haben natürlich Recht. Ich hab’s korrigiert.