Vor kurzem erhielten die Eltern der Kindertagesstätte „Prenzlberger Spielmäuse“ eine e-mail von einer Elternvertreterin, die Erstaunliches vermeldete: „(…) das neue Kitagesetz ist zum 1. Januar 2011 in Kraft getreten. Viele Eltern und Erzieher sind dafür vor das rote Rathaus gezogen. Den Erziehern/Erzieherinnen soll jetzt mehr Zeit für Arbeit, die sie nicht am Kind leisten, zur Verfügung stehen. Zudem wurde der Betreuungschlüssel verändert. Zur Umsetzung des Gesetzes müssten neue Erzieher eingestellt werden. In kurzen Gesprächen mit der pädagogischem Bereichsleiterin unseres Trägers, dem Eigenbetrieb Kindergarten NordOst, haben wir die
Information bekommen, dass der Träger unserer Kita nicht die nötigen finanziellen Mittel hat, um das Gesetz umzusetzen. Dies liegt vor allem wohl daran, dass der Berliner Senat finanzielle Mittel nicht freistellt.“
Mittlerweile ist bekannt geworden, dass der Verwal-
tungsrat des Eigenbetriebes Kindergarten NordOst tatsächlich beschlossen, die vom Gesetz her zwingend vorgeschriebenen Leistungen nicht in vollem Umfang zur Verfügung zu stellen. Die Begründung: Das vorhan-
dene Geld reiche nicht aus, und ein ausgeglichener Wirtschaftsplan habe unbedingte Priorität. Bei den gesetzlich eigentlich garantierten Leistungen, die ab dem 1. Januar 2011 intensiviert werden sollten, handelt
es sich um sogenannte „mittelbare pädagogische Artbeit“. Das sind Tätigkeiten, die nicht direkt mit den Kindern unternommen werden: Dokumentationen über den Entwicklungsstand eines Kindes, Führung eines Sprachlerntagebuch, das die sprachliche Entwicklung der Kinder festhält und fördert; Projektvorbereitungen, Elterngespräche, Teambesprechungen. Alles Dinge, die die Qualität der pädagogischen Arbeit erhöhen sollen – die aber Arbeitszeit und damit auch zusätz-
liches Personal beanspruchen. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi schrieb dazu in einer Pressemitteilung: „So ist es nicht mehr möglich, die derzeit fehlenden 154 Erzieher/innen einzustellen. Die Personal-
ausstattung beträgt damit nur noch 94 Prozent, das Gesetz fordert jedoch 100 Prozent. Durch den Finanzbeschluss der Arbeitgeberseite können auch keine Kinder mehr neu aufgenommen werden, weil das entsprechende Personal fehlt.“
Die Kaufmännische Geschäftsführererin von „NordOst“, Karin Scheurich, hat für den Ärger der Eltern und auch der Gewerkschaft durchaus Verständnis, aber: „Wir können nur so viel Geld ausgeben, wie wir einnehmen.“ Und über Kredit ließen sich die vom Gesetzgeber
vorgeschriebenen Ausgaben schon deshalb nicht finan-
zieren, weil es dem Kita-Eigenbetrieb aus rechtlichen gar nicht gestattet sei, ein Darlehen aufzunehmen. Der Pädagogische Geschäftsführer Michael Witte ergänzt: „Wir finanzieren uns ausschließlich über die Kitagut-
scheine, die die Eltern erhalten. Und das, was das Land Berlin uns dafür zahlt, reicht einfach nicht aus.“ Er be-
tont aber: „Es wird keine Verschlechterung der Situation geben. Die bisher erreichten Standards bleiben erhalten.“
Doch die Geschäftsführer sind nur die weisungsgebun-
denen Ausführenden – beschlossen wurde der offizielle Gesetzesbruch vom Verwaltungsrates des Eigenbetrie-
bes Kindergärten NordOst. Bezirksstadträtin Christine Keil, die für Pankow im Verwaltungsrat sitzt, wollte trotz mehrerer Anfragen zu dem Vorgang keine Stellung nehmen. Anders hingegen die Lichtenberger Bürgermeisterin Christina Emmrich, die ihren Bezirk im Verwaltungsrat vertritt: „Es gibt für mich nicht nur das Kitaförderungs-
gesetz – für mich ist auch die Haushaltsordnung des Landes Berlin bindend. Und wenn der Eigenbetrieb ein Defizit erwirtschaftet, müssen die Bezirke dies ausgleichen. Es geht hier immerhin um eine Summe von 1.2 Millionen Euro.“
Dies würde letztlich bedeuten, das Geld aus anderen Bereichen des Bezirkes abzuziehen. Emmrich: „Ich müsste dann zum Beispiel die Grünanlagenpflege reduzieren und die beim Bezirk angestellten Gärtner entlassen. Das kann keine Lösung sein.“ Der Senat stehe in der Verantwortung, für die erweiterten Aufgaben auch die entsprechenden Mittel bereitzustellen. Der Druck, der durch die Verweigerung des Verwaltungsrates erzeugt worden sei, hätte bereits erste Wirkung gezeigt: „In zwei Wochen haben wir zu dem Thema einen ersten Gesprächstermin in der Senatsfinanzverwaltung.“
Bereits in der kommenden Woche hat Geschäftsführer Michael Witte einen Termin: Die Eltern der Kita „Prenzlberger Spielmäuse“ haben ihn eingeladen, Stellung zu beziehen. Michael Witte zur Prenzlberger Stimme: „Ich weiß nicht, was mich da erwartet. Ich kann nur um Verständnis werben – aber ich werde sicher auch nicht auf jede Frage eine zufriedenstellende Antwort haben.“
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