Möbelhauskettenkönig Kurt Krieger (Möbel-Krieger, Möbel-Höffner, Möbel-Walther, SCONTO) blieb bis zum Schluss.
Was da vorn im Plenum der Bezirksverordneten-
versammlung (BVV) verhandelt wurde, betraf ihn, betraf seine Pläne. Pläne, die große Teile des Bezirks auf Dauer verändern würden.
Und die Auseinandersetzungen um die Bebauung des von Kurt Krieger erworbenen Grundstückes des ehemaligen Rangierbahnhofs Pankow bescherte der BVV wohl eine der turbulentesten Tagungen der letzten Monate.
Am Beginn stand eine von den Bündnisgrünen beantragte „Aktuelle Stunde“ zum Thema Rangierbahnhof. Cornelius Bechtler, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion, hielt eine für ihn ungewohnt emotionale Rede (vollständiges Redemanuskript im Download unten). Darin beklagte er die Art und Weise des Zustande-kommens des Vierparteien-Antrags:
„Was hier und heute passiert, ist ein billiger Schnellschuss: Zum 16.03. lädt Herr Krieger zu einer geschlossenen Runde auf das Bezirksamts-Gelände in die Fröbelstraße ein. Dort treffen sich vier Fraktionen zu einem ‚Hintergrundgespräch‘: SPD, Linke, CDU und FDP. Knapp einen Monat später, am 7. April erhalten wir einen Antrag von SPD und Linke. Ganze 24 Stunden vor dem Stadtentwicklungsausschuss. Das harmlose ‚Hintergrundgespräch‘ entpuppt sich damit als ‚Kungelrunde‘. Ohne umfassende öffentliche Debatte, ohne Einbeziehung der Pankower Bürgerinnen und Bürger einigt man sich im Hinterzimmer auf eine Shopping-Mall mit 30.000 m² und einem Fachmarktzentrum von 47.000 m².“
Dann griff er die Hauptakteure von SPD und LINKE persönlich an:
„Das Gelände des Rangierbahnhofs wird erst durch Beschluss der BVV und des Abgeordnetenhauses zu Bauland. Was glauben Sie, kann man bei der Projektentwicklung verdienen? Herr Mindrup, Sie könnten es mit Ihrer Projekt-Erfahrung bestimmt Ihrer Fraktion und Ihrer Partei verraten. (…) Ihre Motivlage ist uns unklar. Mit der aktuellen Stunde geben wir Ihnen jetzt die Gelegenheit mehr dazu zu sagen. Nutzen Sie diese Chance: Herr Schröder, Herr Goetzke, Herr Kraft.“
Die Grünen gegen alle – alle gegen die Grünen
Doch die so angesprochenen sagten erstmal gar nichts. Zumindest nicht am Rednerpult. Die SPD-Fraktion beantragte eine Auszeit, danach war die „Aktuelle Stunde“ beendet: Niemand aus den anderen Fraktionen war bereit, auf Bechtlers heftige Anwürfe sofort zu antworten. Dazu sollte die Debatte über den Antrag (siehe Download) selbst dienen – jener Antrag, in dem dass Bezirksamt aufgefordert wird, „die Entwicklung des Rangierbahnhofs gemeinsam mit dem Investor weiter voranzutreiben“, und der der Auslöser der heftigen Auseinandersetzungen war.
Es war der letzte Tagesordnungspunkt, der an diesem Abend aufgerufen wurde. Roland Schröder, der Stadtentwicklungs- und Verkehrsexperte der SPD, der nach der Bechtler-Rede noch heftig erregt durch den BVV-Saal gelaufen war, legte nun in einer sehr ruhigen Rede dar, dass zwar „manches noch geklärt“ werden müsse, er aber die Pläne des Investors für „ausgewogen“ hält. Besonders sei zu begrüßen, dass auch der Bau von Wohnungen vorgesehen sei.
Schröders Fraktionsvorsitzende Sabine Röhrbein wies Bechtlers Vorwurf der „Kungelrunde“ zurück und erklär-
te, dass ihre Partei eine Bürgerbeteiligung über den gesetzlichen Rahmen hinaus gefordert habe, und zeigte sich darüber erfreut, dass der Investor bereits eine Straßenumfrage veranstaltet hat. Dass ihre Fraktion von der einstigen Beschlusslage, auf dem Rangierbahn-
hofsgelände die „Schaffung von Arbeitsplätzen durch Ansiedlung förderfähiger Betriebe” zu ermöglichen, abgerückt ist, erklärte sie mit den sich ändernden Zeiten: „2007 war das der richtige Antrag zur richtigen Zeit, aber die Zeit geht weiter.“ Die Grünen würden so tun, als tun, als würde das Grundstück dem Bezirk gehören. Wenn es Investor Krieger aber wollte, könnte er es noch lange als Brache behalten. Es sei an der Zeit, „aus der Schmollecke zu kommen.“
Thomas Goetzke von der Linksfraktion erinnerte an die Entstehung der Schönhauer Allee Arkaden, die vor eineinhalb Jahrzehnten ohne kommunale Bauplanung errichtet wurden. Diesmal sei alles anders: „Wir wollen über die normale Bürgerbeteiligung hinaus.“ Und: Der zu beschließende Antrag sei ja noch keine Beurteilung des gesamten Bauvorhabens, sondern ein Startschuss: „Wir haben eine Entwicklung vor uns, die wir begleiten wollen.“
Der CDU Fraktionsvorsitzende Johannes Kraft sagte, es sei „hervorragend, dass der Investor bereit ist, mit uns zu reden und auf unsere Belange einzugehen.“ Für den von den Grünen eingebrachten Änderungsantrag (siehe Download), in dem unter anderem „allgemein verständliche Informationsmaterialien für die Öffentlichkeit“, öffentliche Expertenanhörungen, Durchführung einer Gebietskonferenz mit den Anwohnern und die Einrichtung eines „Lenkungsgremiums“ mit Vertreter der BVV, Experten sowie Bürgerinnen und Bürgern hatte er kein Verständnis. Kraft: „Wenn wir das beschließen, ist das eine einzige Verhinderung. Wenn Sie das Vorhaben nicht wollen, dann lehnen Sie es offen ab.“
Linksfraktionär Wolfram Kempe, der dem BVV-Verkehrs-
ausschuss vorsitzt, machte sich über die Sorgen der Grünen wegen des vorauszusehenden ansteigenden Verkehrsflusses und der vierstellige Zahl der geplanten Parkplätze lustig: „Was Sie für Vorstellungen für das Gelände haben, ist unklar. Es wird nicht sein, dass die Leute ihr Zeug mit der Sackkarre abholen. Ein solches Zentrum erzeugt nun mal Verkehr.“
Den Willen zu wirklicher Bürgerbeteiligung sprach er den Grünen ab – und nahm dabei ausgerechnet die unsägliche Farce der Mauerpark-„Bürgerwerkstatt“ heran: Auch die „Bürgerwerkstatt ist Bürgerbeteiligung – und Sie pfeifen Ihre Stiftungskollegen zurück, weil Ihnen ihr Kollege in Mitte nicht passt.“
Dass auch seine Partei diese seltsame Veranstaltung kritisch sieht und gerade eben auf Betreiben der Linkspartei die Landesgelder für die Fortführung der „Bürgerwerkstatt“ zurückgehalten wurden, war ihm – offenbar der Pointe wegen – mal eben entfallen.
Spott hatte Kempe auch für den Vorschlag der Grünen, unter Einbeziehung der Senatsverwaltung für Stadt-
entwicklung ein Lenkungsgremium zu installieren – und verwies dabei auf eigene Erfahrungen. Während man ihm dort inoffiziell versichert habe, die Verlängerung der Granitzstraße nicht mehr in die Planung aufzunehmen, sei dies dann doch geschehen. Kempe: „Wenn Sie mit solchen Leuten in die Bürgerbeteiligung gehen wollen, dann werden Sie nur verarscht werden.“
Tumult zu später Stunde
Als schließlich Grünenfraktionschef Peter Brenn ans Pult trat, hatte die laute Heiterkeit im Saal im Plenum einen Pegel erreicht, bei dem BVV-Vorsteher Burkhard Kleinert normalerweise längst zur Glocke gegriffen hätte. Doch ein Geläut war nicht zu vernehmen – dafür die allgemeine Lautstärke noch übertönende Zwischenrufe wie „Wahlkampf!“ oder „Wenn wir mit Krieger reden, ist das Kungelei, wenn ihr es tut, nicht!“…
Nach der auf den Presseplätzen akustisch nicht mehr zu verstehenden Rede Brenns, wurde über den Antrag der vier Parteien abgestimmt.
Das Ergenbis war eindeutig: Vierzigmal „Ja“, siebenmal „Nein“.
[download id=“130″]
[download id=“131″]
[download id=“132″]
Weitere Artikel zum Thema:
Eine Straßenbahn durchs Pankower Tor
Rangierbahnhof Pankow: Planungshoheit bleibt beim Bezirk
Rangierbahnhof Pankow: Kurt Krieger steckt Senat in die Tasche
Rangierbahnhof Pankow: Debatte ohne Grundlage
Rangierbahnhof Pankow: Werkstattverfahren ohne Messwerkzeuge
Rangierbahnhof Pankow: Die Box bleibt zu
Möbel-Krieger: Neues Verkehrsgutachten vorgelegt
Verkehrsgutachten zu Krieger-Planung bringt wenig Klarheit
Rangierbahnhof: Grüne scheitern auch im zweiten BVV-Anlauf
Senat lehnt Möbel-Kriegers Pankow-Pläne ab
Charmeoffensive mit Gratis-Wurst: Kurt Krieger eröffnet „Infobox“
Rangierbahnhof: Nach der BVV-Abstimmung
Rangierbahnhof Pankow: Umkämpfte Brache
Jens PeterFranke
Mai 13. 2011
Zwei Anmerkungen: Kempe bezog sich mit der Sackkarre auf die Vorstellung der Grünen, auf dem Rangierbahnhofsgelände das Güterverteilzentrum mit Gleisanschluss wieder entstehen zu lassen (nachzulesen auf der Webseite des Kreisverbandes). Kann man deutlicher dokumentieren wie fern die Grünen von den Menschen vor Ort sind? Die Anrainer sind froh, dass der ehemals zweitgrößte Güterbahnhof der DDR keinen Lärm mehr produziert. Vom Umladeschwerverkehr auf der Straße ganz zu schweigen.
Bei der Verlängerung der Granitzstraße ist es genau umgekehrt zum oben Geschriebenen. Deren Verlängerung über die Berliner hinaus zur Mühlenstraße will die Bezirkspolitik gerade _nicht_. In der jetzt vorliegenden Unterlage „Fortschreibung StEP (=Stadtentwicklungsplan) Verkehr“ (Drs. VI-1079) informiert das Bezirksamt die Bezirksverordneten, dass diese Planungen der Verwaltung auf Landesebene zur Verlängerung der Straße in der Überarbeitung jedoch wieder enthalten sind, obwohl es Signale gab, die Verlängerung würde gestrichen.
von ODK
Mai 15. 2011
Lieber Jens Peter Franke, Sie haben natürlich recht: Die Zusage von SenStadt, über die Herr Kempe berichtete, lautete natürlich: KEINE Verlängerung der Granitzstraße. Ich habe es berichtigt.
Mit besten Grüßen nach nebenan
Olaf Kampmann