Wahlkampf auf einem toten Pferd

 

Er hatte sich ja wirklich Mühe gegeben. Hatte sorgsam zwei VW-Golf-Avatare in Originalbreite aus einer Presspappenplat-
te herausgesägt, mit Kreide den künftigen „Fahrradangebots-
streifen“ und einen der vorgesehen Autoabstellplätze mit dem schönen Namen „Parktasche“ zentimetergenau auf Asphalt und Pflaster markiert – alles, um nur noch einmal zu aufzu-
zeigen: Es passt nicht. Die Bezirksamtsplanungen für den Umbau der Kastanienallee sind Murks. Oder zumindest ein großer Teil davon.

Allein, es half nichts – das Pferd, das da geritten werden sollte, war schon lange tot.

Severin Höhmann, SPD-Direktkandidat für den Wahlkreis 8 und damit Herausforderer des grünen Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus Volker Ratzmann, befindet sich seit Ende Mai auf Vorstellungstour durch seinen Prenzlauer Berger Wahlkreis.
Auf dem offenbar sehr sorgfältig zusammengestellten „Reiseplan“ der „Severins Sommertour“ geheißenen Veranstaltung standen bisher unter anderem Besuche im „Papaladen“ in der Marienburger Straße, im Stadtkloster Segen in der Schönhauser Allee und das Stadtbad Oderber-
ger Straße
auf dem Programm. Nun also die Kastanienallee.

Als seinerzeit die unter grüner Ägide geführten Schlichtungs-
gespräche
gescheitert waren, sorgte Höhmann kurzzeitig mit einem „Bürgerforum“ Aufsehen, auf dem er einen eigenen Kompromissvorschlag präsentierte. Doch der fand nicht ein-
mal in der SPD-Fraktion der Bezirksverordnetenversammlung eine Mehrheit. Schließlich kündigte er an, das Bürger-
begehren der Gruppe „Stoppt K21“ zu unterstützen.

So schien der Termin am einst umkämpften Ort nur folge-
richtig – nur: Zum Thema „Kastanienallee-Umbau“ ist eigentlich alles gesagt; jedes Argument, jeder Standpunkt bis

zum Erbrechen durchgekaut worden. So richtig lockt das niemand mehr hinter dem Ofen hervor.
Und so kamen vor allem die, die immer kommen, wenn „Kastanienallee“ gerufen wird: Frank Möller von CARambolagen zum Beispiel, der Gewerbetreibende Sebastian Mücke… .
Stadtrat Jens-Holger Kirchner hatte die Einladung wegen Urlaub ausgeschlagen, erschienen waren aber Vertreter der neugegründeten Initiative „Umbau jetzt“. Sie nahmen beim „Praxistest“ mit den von Severin Höhmann in Original-VW-Golf-Breite zugechnittenen Pappen ein wenig staunend zur Kenntnis, dass entgegen der offiziellen Angaben des

Bezirksamtes nach dem Umbau tatsächlich ein Parken in der zweiten Reihe – also auf dem auf dem „Fahrradangebots-
streifen“ – möglich ist. Und zwar ohne dass die Straßenbahn bei ihrer Durchfahrt behindert wird. Auf ihrer Website hatten die „Umbau-Jetzt“-Aktivisten behauptet, dass „die Annahme, dass auf der gesamten Strecke Autos auf dem Radangebots-
streifen stehen, ist sehr unwahrscheinlich, denn es ist zu wenig Platz, um dort stehen zu können. Die Kfz würden in das Lichtraumprofil der Straßenbahn hineinragen.“
Höhmanns Kompromissvorschlag vom Februar sah unter anderem vor, den „Angebotsstreifen“ 25 Zentimeter schmaler

ausfallen zu lassen, um so tatsächlich ein die Radfahrer gefährdendes Parken auf dem Streifen zu verhindern. Doch sonst waren wenig Differenzen zu erkennen, die Anlass zu kontroverser Debatte gegeben hätten: Beide Seiten wollen Tempo 30, begrüßen die behindertenfreundlichen „Kaphalte-
stellen“ und freuen sich auf die kommenden „Gehwegvor-
streckungen“ zur besseren Überquerung der Fahrbahn.

„Mein Kompromissvorschlag zum Umbau“, stellte Severin Höhmann gegen Ende des Termins fest, „ist politisch tot“. Totgeritten ist auch längst die politische Debatte um die Kastanienallee.
Wahlkampf ist damit jedenfalls nicht mehr zu machen.

 

 

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3 Kommentare zu “Wahlkampf auf einem toten Pferd”

  1. und jetze?

    Jul 09. 2011

    Na ja, dass die Kastanienallee niemanden mehr interessiert, glaub ich nicht. Und deshalb ist sie durchaus wahlkampftauglich – und Herrn Höhmanns Vorgehen zeigt einfach, dass er zehnmal mehr Grips im Kopf hat als Herr Kirchner, der auf seiner eigenen Begehung der Kastanienallee (Oktober 2010), assisitiert von zwei Mitarbeitern seines Amtes, auch nach dem Ausmessen der Planzahlen auf der Straße immer noch nicht wusste, wie weit die Autos denn nun in den Gehweg rücken.
    Herr Kirchner nahm an, es seien nur 30 cm – wie ja aber mittlerweile jede und jeder weiss, sind es 130 bis 150 cm.
    Ob Herr K. es mittlerweile verstanden hat?

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  2. X1212

    Jul 10. 2011

    Ich denke nicht. Herr K. springt völlig beliebig von einem Argument zum nächsten.
    Im Moment ist es halt seine Barrierefreiheit. Herr K. wirft ja den Bewahrern der Kastanienallee vor, behindertenfeindlich zu sein, was einfach das Allerletzte ist. Gegen die Reparatur der Gehwege hat – obwohl seitens des Bezirks gern was anderes behauptet wird – niemand etwas; Zumindest keiner mit dem ich in diesem Zusammenhang bisher gesprochen habe.
    Und wie Herr K. drauf kommt, Rollstuhlfahrer und Rollator-Omis hätten es dann leichter, wenn die Bürgersteige nur noch halb so breit, d. h. genau doppelt so voll sind – das ist wieder etwas, was einem logisch denkenden Menschen wirklich alles andere als einleuchtet.
    Tot- und Kaputtsanieren gibt es in anderen Städten schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Dort ist man über jeden Quadratmeter alte Stadtsubstanz froh. In Berlin ist im zweiten Weltkrieg so viel zerstört worden, Berlin ist echt keine „schöne“ Stadt.
    Und dann meint ein Herr K. Auftrag und Befähigung zu haben, diese lebens- und liebenswerte Straße einzustampfen? Das ist einfach nicht zu ertragen!

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  3. und jetze?

    Jul 12. 2011

    … bei der Wendungsfähigkit des Herrn mit und zu K. wissen die Grünen ja schon gar nicht mehr, wo sie diese Geheimwaffe überall einsetzen sollen. War´s erst der Innensenatorsposten, sprach man dann vom Stadtentwicklungs-Senatoren-Pöstchen. Herr K. sagt aber selbst, er ist da, wo ihn die Partei und das Volk hinstellt – zur Not also auch als Bürgermeister in Pankowien.
    Preussische Pflichterfüllung nennen die katholischen Pfarrerstöchter das wohl beizeiten.

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