Der Auftritt

Rainer Bahr, Inhaber und Geschäftsführer des Projekt-
entwicklers econcept fühlte sich von Anfang an miss-
verstanden: Er wäre gar kein gentrifizierender Profitschinder, niemand solle verdrängt werden, seine Angebote seien großzüging und sozial – nur: Reden müsse man mit ihm. Doch seit bekannt wurde, dass der „Palais KolleBelle„-Erbauer das Hinterland seiner Trutzburg erwerben und mit Teilabriss, Aufstockung, Blockrandbebauung und Tiefgaragen nun auch noch den „Rest“ des Karrees Kollwitz-/, Belforter/, Straßburger,/Metzer Straße palastisieren wollte, regte sich Widerstand bei den betroffenen Mietern. Der allerdings manifestierte sich nicht in lautem Protest, sondern in Totalverweigerung:

Fast niemand war bereit, mit econcept-Vertetern zu reden: nirgends fanden sich Ansprechpartner für etwaige Verhandlungen und selbst Presseerklärungen, in denen die Haltung der Mieter formuliert wurde, blieben ohne namentliche Unterzeichner.
Bahr lief buchstäblich ins Leere.

In einem offensichtlichen Anflug von Verzweiflung kündigte er kürzlich sogar an, nunmehr alle 110 betroffenen Mietparteien persönlich aufzusuchen.
Da hätte die öffentliche Anhörung vor dem BVV-Stadtent-
wicklungsausschuss für Bahr die Gelegenheit sein können, sein Anliegen in ein für ihn günstiges Licht zu rücken. Doch tatsächlich geriet sein Auftritt zu einem grandiosen PR-Desaster.

Über 100 Interessierte sind am Donnerstagabend zur Sitzung des BVV-Ausschuss für Stadtentwicklung und Wirtschafts-
förderung in den Sitzungssaal der Bezirksverordneten-
versammlung gekommen. Die meisten von ihnen sind Anwohner des im Hinterland des „Palais KolleBelle“ befindlichen Karrees Belforter/, Straßburger/, Metzer Straße, das von „KolleBelle“-Bauherr Rainer Bahr erworben wurde.

Zehn, fünfzehn weitere Besucher scheinen zur Entourage von Bahr zu gehören: Im Vergleich zur großen Mehrheit doch sehr verschieden in Alter, Kleidung und Habitus, nehmen sie in den hintersten Reihen des Saales Platz und applaudieren stets dann wie wild drauflos, wenn Bahr ein Statement beendet hat.

Rainer Bahr beginnt sehr persönlich: „Ich bin verheiratet und habe drei Kinder und bin Großvater. Ich wohne seit 15 Jahren im Kiez. Wir kennen die Befürchtungen und haben daher ein Sozialkonzept entwickeln. Wir setzen nicht nur auf 100 % Investoreninteressen.“
Schon kommt Unruhe auf. „Wir wohnen hier noch viel länger!“ ruft jemand aus dem Saal.
Doch Bahr lässt sich nicht irritieren und beginnt sein Konzept zu erläutern. Die geplante „Blockrandschließung“ sei kein Anachronismus, sondern „städtebaulich als Stadtreparatur“ zu betrachten – schließlich gab es vor dem 2. Weltkrieg dort auch schon eine Blockrandbebauung. Der dafür vorgesehene Abriss sei minimal: „Von 110 Wohnungen bleiben 90 bestehen – das sind 82 Prozent aller Wohnungen.“
 

Fahrstuhlnutzung soll „freiwillig“ bleiben

Bahr merkt, er kommt nicht an. Selbst die Claqeure rühren immer seltener die Hände. Also legt er nach: Die vorhandenen Bauten würden Aufzüge bekommen, „diese Modernisierung wird nicht auf die Mieter umgelegt – nur bei freiwilliger Nutzung werden die Betriebskosten fällig. Wir verzichten auf die Bebauung der Innenhöfe um das Grün zu erhalten. Es wird Zentralheizung mit einem Blockheizkraftwerk geben. Dafür fordern wir keine Mieterhöhung.“

Dass in den Häusern bereits moderne Heizungen vorhanden sind und deshalb Mieterhöhungen dafür gar nicht statthaft wären, sagt er nicht.
Dann Sätze, wie man sie vom Heizdeckenverkauf auf den berüchtigten Kaffeefahrten her kennt: „Wir könnten, wenn wir wollten, nach aktuellem Baurecht drei ‚Gartenhäuser‘ realisieren. Das wollen wir aber nicht bauen. Sie erkennen sicherlich, dass wir weit entfernt sind von einer Maximalvariante. Wir suchen immer den Kompromiss. Maximalinvestoreninteresse 100 Prozent – Mieterinteresse Null Prozent. Wir reißen nicht hundert Prozent ab, nicht achtzig, nicht fünfzig, nicht dreißig Prozent – wo stehen wir also auf dieser Skala…?“
 

Zuckerbrot und Peitsche

Und es geht weiter: Für jeden Mieter, der eine Wohnung für Abrissbetroffene frei macht, gebe es 10.000 Euro Entschädigung. Umzugskosten werden übernommen. Einen zehn Jahre geltenden Eigenbedarfskündigungs-
schutz werde es geben, für über 70jährige lebenslang. „Ich glaube, so viele Investoren gibt es nicht, die ohne politischen Druck einen solchen Sozialplan anbieten. Ich verspreche es und halte mein Wort“.
Sprachs und holte sogleich die Keule heraus: „Der Sozialplan gilt nur, wenn unsere Forderungen erfüllt worden sind.“ Im Klartext: Bei fortgesetztem Widerstand gibts nix. Und dann noch eine Einschränkung hinterher: Der Verzicht auf Modernisierungs-Mieterhöhung gilt nur solange, wie der Senat keine Klimaschutzmodernisierungen beschließen wird. Dass ein solcher Senatsbeschluss aber kommen wird, pfeifen die Spatzen längst von allen Rathausdächern…
 

Ablehnung durch die Mieter weiter verstärkt

Dass dieser Auftritt von Rainer Bahr die Ablehnung des Investors und seiner Pläne durch die Mieter eher noch verstärkt hat, zeigten die anschließenden Wortmeldungen. „Die Vorteile liegen allein auf Ihrer Seite“, erklärt eine Anwohnerin, „wir hätten durch den Umbau nur Nachteile: Dreck, Baulärm, zerstörte Grünflächen. Das was Sie an Grün anbieten, ist ein Alibi. Wir haben jetzt noch die alten Bäume auf dem Gelände, die Höfe sind gut durchlüftet im Sommer, wenn der Blockrand kommt fällt die Durchlüftung weg. Welchen Vorteil haben also haben die Mieter?“
„Es ist Heimat“, sagt ein anderer Bewohner, „als sie das Grundstück gekauft haben, wussten sie ganz genau, dass hier noch Alteingesessene wohnen.“
Und schließlich eine weitere Mieterin: „Ich finde an dem Projekt nichts soziales. Wenn Sie von Stadtreparatur bei der Blockrandbebauung von 1930 sprechen, dann ist das ein Witz! Warum nicht Reparatur des Stadtbildes von 1850? Wenn Sie wirklich sozial denken würden, hätten Sie sich tiefer mit den Problemen des Bezirkes befasst. Im Bezirk fehlen viele Wohnungen für Rentner und Alleinerziehende. Hätten Sie ein solches Projekt hier vorgestellt, wären Sie willkommen.“
 

Linke, SPD und Grüne ebenfalls strikt gegen Bahr-Projekt

Während sich die Ausschussmitglieder von CDU und FDP weitestgehend zurückhalten, treten die Bezirkspolitiker der Linken, der SPD und der Grünen ebenfalls offensiv gegen das Bauvorhaben von Rainer Bahr auf. Peter Brenn von den Grünen verwies noch einmal auf den bereits im Juni von ihm eingebrachten Antrag, in dem auf die stadtklimatischen Folgen einer Blockrandschließung hingewiesen wurde und richtete sich dann direkt an den Investor: „Herr Bahr, Sie haben vor, 120 neue Wohnungen zu bauen. Da werden Familien wohnen, wo sollen die Kinder zur Schule gehen? Die Schulen quellen jetzt schon über. Wenn wir noch mehr Wohnungen schaffen, haben wir noch mehr Probleme.“

Auch von sozialdemokratischer Seite kommt harsche Zurückweisung. Zur Blockrandbebauung: „Es muss nicht alles so aussehen wie vor dem 2. Weltkrieg, denn den hat es schließlich gegeben.“ Und weiter: „Einen Sozialplan stellt nicht der Investor auf, sondern die Gemeinde. Wenn wir hier nicht aufpassen und den Mieterschutz aus den Augen verlieren, dann haben wir unseren Job falsch gemacht.“ Es wird angekündigt, für das Gebiet einen Antrag auf Veränderungssperre zu stellen. Und schließlich Wolfram Kempe (Die Linke) : „Herr Bahr, Sie haben sich hier dargestelllt, als wären Sie der leibhaftige Weihnachtsmann. Das ist wohl eher was für Leute, die sich die Hose mit der Kneifzange anziehen. Nicht nur, dass auch Sie natürlich wissen, dass das Klimaschutzgesetz kommen wird und Ihre Versprechen damit hinfällig sind – vieles andere könnte man bei Ihnen ablklopfen, und es würde sich als heiße Luft herausstellen.“

Am 15. September wird die Bezirksverordnetenversammlung zum Thema beraten.
 

Video vom Tag

 

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5 Kommentare zu “Der Auftritt”

  1. Falkenhagen

    Sep 12. 2010

    Die 10 Jahre Kündigungsschutz sind eine Lachnummer, denn die gibt es nach Umwandlung in Eigentumswohnungen sowieso, als gesetzliches und nicht abdingbares Recht.

    Außerdem werden weitere Mieter mit Barabfindungen und mehr oder weniger „sanftem“ Druck aus den Wohnungen herausgekauft werden. Spätestens bei Neuvermietung oder Verkauf gibt es dann keine „freiwillige“ Nutzung der Aufzüge mehr.

    Die Linke ist hier mal wieder ihren Sprüchen nicht gerecht geworden … aber vielleiht ist das ja auch im eigenen Parteiinteresse, denn so kann mal wieder der Konflikt zwischen Mitern und Investoren beschworen werden … der eigentlich einen Konflikt um mehr oder weniger Baurecht darstellt, den das Links-geführte Baureferat rechtzeitig hätte führen müssen.

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  2. Margot H. Fischer

    Sep 20. 2010

    Ist das ernst gemeint vom Vertreter der Grünen – Herrn Peter Brenn – dass es jetzt schon zu viele Kinder gibt ?
    Abgesehen davon, dass das Schliessen von Schulen zu einem Zeitpunkt stattfand, als diese Kinder im Prenzlauer Berg schon geboren waren und der „überquellende Schulbedarf “ leicht hätte errechnet werden können, hoffe ich doch als Bewohnerin des Kollwitzkiezes, dass es noch Kinder geben wird, die die Rente von Herrn Brenn mal erarbeiten werden !
    Soviel Polemik von alten Leuten – Hauptsache – wir sind dagegen und es darf sich auch garnichts ändern in der Stadt, vor allem nicht vor der eigenen und seit Jahren privilegierten Haustür – muss man erstmal finden.

    Anmerkung: Ich bin mitte 50 und bedaure es sehr, dass niemand an meiner Tür klingelt, meinen Umzug und die Nebenkosten bezahlt und 10 T EURO Prämie. Aber wer früher privilegiert war und jetzt an den alten Fliesen im selbstrenovierten Bad immer noch hängt, denkt natürlich anders. Ist auch klar.

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  3. DJ Tüddel

    Sep 30. 2010

    Liebe Margot Fischer,
    es mag sich vielleicht nach viel Geld anhören: 10.000 Euro für einen Umzug. Doch wie schnell sind die aufgeknuspert. Für eine vergleichbare Wohnung muss heute im Kiez locker 300 Euro mehr im Monat bezahlt werden, oft auch mehr. Dann ist die Abfindung in drei Jahren verfrühstückt, und dann wird ganz kräftig draufgezahlt. Oder, denn oft geht es bei den Betroffenen ja um recht kleinen Renten, es bleibt von Anfang an nur der Umzug in weit entfernte Ortsteile, wo Mieten noch vergleichbar neidriger liegen. Dann sind aber alle sozialen Kontakte perdü. Und wer will das schon, zumal in dem Alter?

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