Angekommen: Realpolitik in der Staatsgalerie

Kunst und Philosophie wirken auf die realen Vorgänge in der Welt auf zweifache Weise.
Erstens: Als Ideengeber für Künftiges.
Und hat eine Idee dann einmal die Masse (und nicht etwa “die Massen“, wie es fälschlicherweise immer wieder heißt), erreicht und soweit durchdrungen dass sie zur materiellen Gewalt geworden ist, sind sie, zweitens, unabdingbar, um die Alternativlosigkeit der Idee und des auf ihrer Grundlage eingeschlagenen Weges zu belegen.

Somit ist es nur folgerichtig, dass die Staatsgalerie Prenzlauer Berg sich nicht nur endlich zur Pataphysik bekennt, sondern ihr in Form einer von Robert Lippok und Dietrich Sagert ersonnenen Ausstellung zur Würdigung des 100. Jahrestages ihrer Kreation – die konsequenterweise als nicht aufgeführtes Stück präsentiert wird – den ihr entsprechenden Platz überlässt. Denn schließlich beherrscht die Pataphysik, die Wissenschaft imaginärer Lösungen, mittlerweile unsere gesamte politische Welt.

Die Installation ist eine Ehrerbietung an Doktor Faustroll, den Begründer der heute erdumspannenden Grundlage realpolitischen Handelns. Faustroll, der zuvor nur in Fragmenten existierte, erblickte 1911, also nur vier Jahre nach dem Tod seines beim Hinscheiden gerade einmal vierunddreißigjährigen Erzeugers Alfred Jarry mit nur dreiundsechzig Jahren in vollem Umfang das Licht der Welt. Anfangs war der Einfluss der Pataphysik weniger Hier als Da (und da vor allem DADA) zu erkennen; später konnte sich selbst Marx (zuerst Groucho, später oder früher und also zeitgleich auch Chico, Harpo, Gummo und Zeppo) seiner tiefen Richtigkeit nicht mehr entziehen.
Ausgehend von der heute als Binsenweisheit geltenden Erkenntnis, dass Gott der kürzeste Weg von Null bis Unendlich ist, wird die von Doktor Faustroll beziehungsweise von Jarry beziehungsweise von beiden unabhängig miteinender entwickelte Formel zur Berechnung der Oberfläche Gottes weltweit für die Konstruktion sogenannter Banken-Rettungsschirme herangezogen.
Mehr darüber wird man möglicherweise am 20. Oktober 2011 erfahren, wenn Robert Lippok und Dietrich Sagert unter dem Titel „Hauptsächlich oder was den Kopf betrifft“ ab 21 Uhr zu einer „lecture performance“ zu Alfred Jarry einladen.

Die Überlegenheit der Pataphysik als einzige noch existierende reale Weltanschauung wurde übrigens am vergangenen Samstag wieder eindrucksvoll bestätigt. Obwohl am selben Tag zehntausend Menschen in Berlin demonstrierten, war auf den Straßen der Stadt noch so viel Raum, dass ohne weiteres noch mindestens eine Million weiterer Demonstranten Platz gefunden hätten. In der Staatsgalerie hingegen war es zur Vernissage zeitweise so voll, dass einige der Gäste draußen sitzen mussten.

 
Update:: Wie jeder Vorschüler heutzutage weiß, hängen dem Buche über Doktor Faustroll seit 112 Jahren die „nutzbringenden Erläuterungen zum sachgemäßen Bau einer Maschine zur Erforschung der Zeit“ an. Da der Verfasser dieser Zeilen aber nie eine Vorschule besucht hat, brachte er zwangsläufig einige Zeitangaben durcheinander. So stand in einer früheren Version des Artikels, die Veranstaltung „„Hauptsächlich oder was den Kopf betrifft“ fände am 5. November statt. Das war natürlich falsch. Richtig ist der nun oben stehende Termin 20. Oktober. Am 5. November findet die Finissage statt.

 

 

 

 



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