Bei der Sitzung des Ausschusses für Kultur und Weiterbildung der Pankower Bezirksverordnetenversammlung am vergangenen Dienstag ging es hoch her: Denn am selben Tag hatten die Bezirksverordneten von den Absichten des Kulturstadtrates erfahren, Pankower Kultureinrichtungen zu schließen – und zwar aus den Medien. Schon die Art der Informationsübertmittlung kam gar nicht gut an – und auch die Angelegenheit selbst stieß auf zum Teil lauten Unmut. Auf der potentiellen Streichliste standen das Kulturareal Thälmannpark, der Musikschul-Standort in Buch, die Stadtteilbibliothek Buch-Karow, die Kurt-Tucholsky-Bibliothek in Prenzlauer Berg, die Galerie Pankow und der Museumsstandort an der Heynstraße in Alt-Pankow.
Am Freitag nun kam – sozusagen als erste Rate des Schließungsvorganges – Stadtrat Kühnes „Notstandsmitteilung“ (siehe Kasten unten). „Ab 1. Februar 2012 und bis auf weiteres“, heißt es da, „werden die bezirklichen Kultureinrichtungen WABE, das Theater unterm Dach, die Kunstwerkstätten / Jugendtheateretage sowie die Galerie Parterre und die Galerie Pankow nur noch einen eingeschränkten Veranstaltungs- bzw. Ausstellungsbetrieb realisieren.“
Bezirke ohne rechtskräftigen Haushalt
Dass nach dieser Mitteilung die betroffenen Künstler – und nicht nur sie – auf die Barrikaden gehen werden, nimmt der Stadtrat dabei in Kauf. Torsten Kühne zur Prenzlberger Stimme: „Für das Ordnungsamt würde niemand demonstrieren, das ist mir schon klar. Aber wir haben zur Zeit nur eine vorläufige Haushaltswirtschaft, dass heißt es gibt keinen beschlossenen Haushalt.“ Und da dürfe man sowieso nur das notwendigste ausgeben.
Tatsächlich hat Pankow – ebenso wie alle anderen Bezirke auch – noch keinen Haushalt beschließen können, denn über die Höhe der Budgets der Bezirke entscheidet das Land. Und da wegen der Wahlen im vergangenen Jahr für 2012 noch kein Etat verabschiedet wurde, gibt es zur Zeit eben nur die „vorläufige Haushaltswirtschaft“.
Hinzu kommt, dass die ursprünglich geplanten Zuweisungen an die Bezirke in jeder Hinsicht unzureichend sind. Bereits im Frühjahr 2011 hatte der „Rat der Bürgermeister“, dem alle Bezirksbürgermeister Berlins angehören, vom Senat für den kommenden Haushalt eine finanzielle Nachbesserung in Höhe von 111,7 Mio. Euro eingefordert (siehe Download unten).
Denn bei stetig steigenden Ausgaben (z.B. durch vom Senat verfügten Gehaltserhöhungen für bezirkliche Mitarbeiter oder durch gestiegene Heiz- und Energiekosten für die bezirkseigenen Gebäude) wurden den Bezirken über Jahre hinweg Einsparungen verordnet.
Bezirksbürgermeister Matthias Köhne sah bei der noch von der rot-roten Landesregierung für das neue Haushaltsjahr angekündigten Finanzausstattung in einem Interview mit der Prenzlberger Stimme sogar den Fortbestand der bezirklichen Verwaltung an sich gefährdet.
Im Dezember kam dann die Nachricht vom Senat, dass man den Bezirken pauschal 50 Millionen „zusätzlich“ überweisen wolle – was allerdings nicht einmal die Hälfte jener Summe war, die der Rat der Bürgermeister als notwendig beschrieben hatte.
„Es ist noch nichts beschlossen“
Was das für den Pankower Haushalt bedeutet, hatte Bürgermeister Köhne auf der letzten Sitzung der BVV-Haushaltsausschusses dargelegt. Danach entsteht Auf Grund der unzureichenden Zuweisungen eine Deckungungslücke von gut 5 Millionen Euro. Indem den erfolgreichen Abteilungen ihr erwirtschafteter Überschuss weggenommen und auf die defizitären Bereiche verteilt wurde, bleibe noch ein Minus von mehr als 3 Millionen Euro übrig. Falls der Senat den Bezirken nicht weiter entgegen komme, so Köhne, müsste diese Summe von den Abteilungen des Bezirksamtes eingespart werden. Aber er betonte auch: „Es ist noch nichts beschlossen.“
Und so steht der Bezirksstadtrat mit seinem Schnellschuss ziemlich alleine da. Denn auch seine Stadtratskolleginnen und -kollegen sind ja von der „vorläufigen Haushaltswirtschaft“ betroffen, auch sie haben voraussichtlich nicht unbeträchtliche Haushaltslücken zu erwarten. Und in den anderen elf Berliner Bezirken sieht es nicht anders aus – dennoch kommt auch dort niemand auf die Idee, jetzt einen solch radikalen Schnitt zu verordnen.
Warum ein solcher nun ausgerechnet bei der Pankower Kultur notwendig sein soll, deren Ausgaben nach Kühnes eigenen Worten „bei der Pro-Kopf-Rechnung an vorletzter Stelle – vor Marzahn-Hellersdorf“ liegt, hat er bisher noch nicht erklären können.
Zumal Torsten Kühne sein „Notstandsedikt“ – entgegen zuvor gegenüber verschiedenen Medien gemachten Angaben nun eben nicht als Vorboten einer dauerhaften Schließung von Einrichtungen verstanden wissen will. Gegenüber der Prenzlberger Stimme erklärte der Kulturstadtrat, dass er für den Erhalt aller Kultureinrichtungen eintreten will – auch mit Hilfe von privatem Sponsoring: „Ich will dazu alle an einen Tisch holen, damit wir gemeinsam beraten und Lösungen finden können.“ Bisher habe er allerdings noch nicht die Zeit dafür gefunden: „Die letzten Wochen waren voll mit Beratungen und Haushaltsberechnungen.
[download id=“203″]
Weitere Artikel zum Thema:
Protest, Klamauk und ein vorhersehbares Ergebnis
Der Protest ging weiter
Bilder einer BVV-Tagung
Haushaltsdebatte in der BVV: “Zeigen Sie Haltung!”
Hilflos bis in die Sprache
Auch wenn’s teuer wird: Hauptsache sparen
Bloß nicht alleine!
Kulturkürzungen: „Kurzer Crash-Kurs in Kommunalpolitik“
„Dann organisieren wir einen Volksentscheid“
Wie die “Wabe” Pankow rettet
“Pankower Notstand”: Widerstand nimmt Formen an
Torsten Kühne
Jan 23. 2012
Sehr geehrter Herr Kampmann,
erlauben Sie mir ein paar Anmerkungen zu Ihrem Artikel. Erstens habe ich die Diskussionsvorschläge für die Einsparvorgaben ausschließlich den Mitgliedern des Kulturausschusses übermittelt. Dass die Vorschläge an die Öffentlichkeit gelangt sind, hat mich aber auch nicht überrascht. Vielmehr war es mir wichtig, die BVV-Mitglieder frühzeitig einzubinden. Zweitens suggiert Ihr Artikel, dass ich freiwillig und ohne Not den Großteil der Einsparungen im Bereich Weiterbildung und Kultur vorschlage. Dem ist nicht so. Das Ordnungsamt, die Bürgerämter, das Wohngeldamt oder das Umwelt- und Naturschutzamt (auch diese Ämter gehören zu meiner Abteilung) erfüllen ausschließlich gesetzliche Pflichtaufgaben. Hier darf ich nicht (mehr) in Größenordnung einsparen, um nicht gegen gesetzliche Vorgaben zu verstoßen. Der Gestaltungsspielraum tendiert gegen Null. Drittens liegt der Sinn der vorläufigen Haushaltswirtschaft darin, den Gesetzgeber bei der Etataufstellung nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen. Deshalb ist eine Haushaltssperre – insbesondere in den von Einsparungen betroffenen Bereichen – unumgänglich. Dies führt auch zu einem – zumindest temporären – Abbau von Leistungen. Viertens ist die Dramatik auch in den anderen Bereichen im Bezirk ähnlich groß. Die besonderen Herausforderungen im Bereich Weiterbildung und Kultur liegen aber auch daran, dass Probleme in der Regel nicht verschwinden, wenn man sie lange vor sich herschiebt.
Freundliche Grüße
Torsten Kühne
Michael Springer
Jan 24. 2012
Das Problem mit nicht genehmigten Haushalten ist fast so alt, wie die Bundesrepublik Deutschland: Es ist ein Konstruktionsproblem einer mehrstufig aufgebauten Verwaltung, die nach einem Regierungswechsel und Amtswechsel neu planen und den Haushalt parlamentarisch neu aufstellen und genehmigen muß.
Um das Problem einzugrenzen ist man in Berlin schon vor Jahren zur Praxis der Doppelhaushalte übergegangen – der 2011 endete.
Aktuell dauert die Unsicherheit noch an – weil auch Prioritäten neu überprüft werden (was nicht unbedingt schlecht sein muß) und neue Haushaltszahlen erarbeitet werden.
Zur Panik besteht kein Anlaß – wenn man in den Koalitionsvertrag schaut, der von den beiden Regierungsparteien beschlossen wurde:
http://www.berlin.de/rbmskzl/koalitionsvereinbarung/abss9.html
Das Problem liegt in der ausreichenden Finanzzuweisung an die Bezirke – die sich wie immer ihren Anteil gegen die Ansprüche im Senatsetat und gegen eine Sparpolitik erkämpfen müssen.
Pankow hat eine Sparvorgabe des letzten Senates auf dem Tisch – und soll rund 1 Mio. € im Kulturetat einsparen.
Wenn man aber sieht, wie die Realität aussieht – und wie die Mitarbeiter auch an der Leistungsgrenze operieren – um den Betrieb aufrecht zu erhalten – dann ist die vorläufige Haushaltssperre aicher ein notwendiges Signal.
Und wenn der für Kultur verantwortliche Stadtrat sich nicht einfach still an das „Lockendrehen“ auf einer haushaltspolitischen Glatze versucht“ – so ist das cool und mutig!
Pankow braucht tatsächlich mehr Geld für die Kultur, weil der Bezirk auch Wachstumsmotor ist – und viele Künstler über die Bezirksgrenze hinaus wirken und den Hauptstadtkulturbetrieb attraktiv machen! Pankower Kulturexport für Berlin!
Zudem wächst die Einwohnerzahl im Bezirk. Der geplanten Einwohnerzuwachs dient auch als Maßstab für die weiteren bezirklichen Finanzzuweisungen.
Jetzt müssen alle ihre Hausaufgaben machen, Bezirk und Senat – und man darf gespannt sein, was am Ende im Frühjahr dabei herauskommt!
Im neuen Koalitionsvertrag unter Punkt 9 denkwürdige Worte zum Thema Kultur zu finden:
„Kunst, Kultur und die Kreativszene gehören zu den zentralen Grundressourcen der Stadt. Sie machen Berlin national und international zum zentralen Ort aktueller Kunstentwicklungen. Kunst und Kreativwirtschaft sind für Berlin wichtige Standortfaktoren geworden. Sie tragen wesentlich zum sozialen Zusammenhalt bei und sind ein zentraler Beschäftigungs-und Wirtschaftssektor in Berlin. Die Koalition wird diese einzigartige Kulturlandschaft weiterentwickeln.“
freundliche Grüße
Michael Springer
Kultür
Jan 24. 2012
Dass Kühne als erster der Pankower Stadträte nach vorn prescht liegt doch darin begründet, dass die Kulturleute schnell dabei sind und sich der öffentlichen Unterstützung gewiss sein können, wenn sie richtig Alarm machen. Wenn Kühne dabei undiplomatisch vorgeht, ist er sich gewiss, dass der Unmut schnell hochkocht. Nachdem Berlins Kulturstaatssekretär Pankow zurechtweisen wollte, hat Pankows Bürgermeister Köhne bei Facebook seinem Ärger Ausdruck gegeben: Hat dieser Senat noch alle Tassen im Schrank?, fragt er dort.
Matthias Busse
Jan 27. 2012
Sehr geehrter Herr Kühne,
wenn Ihr Spielraum gegen Null tendiert und Sie nur noch gesetzlich festgelegte Pflichtaufgaben können, dann wäre es doch konsequent, dies den Beamten im Bezirksamt zu überlassen. Ein gewählter Stadtrat gleich welcher Partei ist dann nicht mehr nötig. Sie könnten also ein Signal setzen, indem Sie von Ihrem politischen Amt zurücktreten.
Dennoch finde ich Ihr jetzt gesetztes Signal gut. Ich hoffe, dass Sie nicht wirklich als Kulturverantwortlicher die kommunalen Kultureinrichtungen zerschlagen wollen, sondern lediglich mit der Ankündigung der Schließung die Dramatik der Lage im Bezirk unterstreichen wollen und damit den Senat zwingen möchten, höhere Zuwendungen an den Bezirk zu geben. Ob das allerdings aufgrund der allgemeinen Berliner Haushaltslage Erfolg haben wird, ist meiner Meinung nach ungewiss.
Gutes Gelingen wünscht Ihnen Matthias Busse