Ihre Arbeit ist nichts wert. Zumindest dann nicht, wenn es nach der Kosten-Leistungs-Rechnung geht, die der Senat bei der Haushaltsführung der Bezirke vorgibt. Dies war eine der Erkenntnisse, die den Vereinsmitglieder von „Pro Kiez Bötzowviertel“, die seit 2008 die Kurt-Tucholsky-Bibliothek in der Esmarchstraße ehrenamtlich betreiben, bei einer Bürgerversammlung am Donnerstag offenbart wurden. Denn in jenen Berechnungen werden nur Leistungen aufgeführt, die von Landes- oder Bezirksbediensteten erbracht werden. Ergo verursacht das Engagement der Bürger nur Kosten – und die müssen gesenkt werden…
Der Bibliotheksraum war überfüllt, als Kulturstadtrat Torsten Kühne mit Verspätung auf der Versammlung eintraf. Er kam geradewegs aus dem Thälmannpark, wo kurz zuvor im „Theater unter dem Dach“ wegen des Ausrufens des Pankower Kultur-Notstandes eine Protestveranstaltung stattgefunden hatte.
Wie bereits dort, so war seine Argumentation auch hier: Der Senat überweise zu wenig Geld und da der Bezirk zuerst jene Dinge finanzieren müsse, zu denen er gesetzlich verpflichtet sei, bliebe ihm nichts weiter übrig, als bei den “freiwilligen” Ausgaben zu sparen. Kühne: “Leider hat Berlin keine Kultur- und auch kein Bibliothekengesetz.”
Doch damit wollten sich die Anwesenden erst einmal nicht zufrieden geben: Die Mitarbeiter der Einrichtung arbeiten alle unentgeltlich, also fallen keine Personalkosten an. Gut 5.000 Euro sind im Jahr an Einnahmen zu verbuchen, über 1.100 Kinder werden von der Bibliothek betreut, und schließlich ist Bibliothek auch ein sozialer Treffpunkt im Kiez – zählt das alles nichts?
Bezirksstadtrat Torsten Kühne hielt dagegen: Wo solle er sonst Einschnitte vornehmen – bei der Lebensmittelhygieneüberwachung? Beim Ordnungsamt? Da habe er jetzt schon nur noch 24 Mitarbeiter “für ein Gebiet, das so groß ist, wie Paris.”
Dann kam er auf die “Kosten-Leistungs-Rechnung” zu sprechen, nach deren Berechnungsgrundlage die Bibliothek ein Kostgänger der öffentlichen Hand sei – siehe oben.
Wieviel der Betrieb der ehrenamtlich betriebenen Einrichtung nun tatsächlich koste, wollte ein Besucher wissen – da allerdings musste der Stadtrat passen. Die genauen Zahlen habe er noch nicht zur Verfügung. Kühne: „Letztlich ist es doch egal, ob es nun 6.000 oder 35.000 Euro sind.”
Das System sei absurd, aber der Senat setze die Bezirke beim Sparen immer weiter unter Druck: “Das ist wie bei der S-Bahn – eine Weile geht es gut, aber irgendwann bricht alles zusammen.” Sein Eindruck sei, dass der Senat die Bezirke irgendwann abschaffen möchte: “Es ist bestimmt kein Zufall, dass die letzten Finanzsenatoren alle keine Berliner waren. Der jetzige kommt aus Hamburg – und da hat man auch nur eine einstufige Verwaltung.“
Am Schluss des der Veranstaltung sahen das nicht wenige Besucher ebenso: Der Senat muss gezwungen werden den Bezirken ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, damit diese ihren Aufgaben auch sachgerecht nachkommen können. Und wenn er das auch weiterhin nicht mache, so Pro-Kiez-Aktivist Joachim Poweleit, “dann organisieren wir eben einen Volksentscheid!”
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Theobald T.
Feb 06. 2012
Na klasse. Wer am lautesten schreit, bekommt am Ende Kohle, hier soll das also mit Hilfe eines Volksentscheides geschehen. Jene, die nicht so ein großes Mobilisierungspotential haben, fallen hinten runter. Das ist die weitere Entsolidarisierung der Gesellschaft und die Durchsetzung weiterer Gruppenegoismen. Wobei man solchen im Prenzlauer Berg ja durchaus häufiger begegnet…