Sozialsergeant Siegfried Fischer ist seit über zwanzig Jahren in Prenzlauer Berg – aber so etwas hat er noch nicht erlebt: Es geht auf das Monatsende zu, doch das „Café Treffpunkt“, die Sozialstation der Heilsarmee in der Kuglerstraße ist selbst zur Mittagszeit eher spärlich besucht. Der Grund ist auf einen Zettel zu lesen, der schon draußen am Schaufenster so manchen potentiellen Gast wieder kehrt machen lässt: „Auf Grund einer Anweisung des Bezirksamtes Pankow muss sofort für ein Essen 1,50 Euro gezahlt werden. Als Heilsarmee haben wir vorerst die Entscheidung getroffen, dass für 1 Mittagessen 0.50 Euro, 1 Abendesse 1,00 Euro zu bezahlen ist.“
Im Januar, erzählt Siegfried Fischer, sei er zur Sozialstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz gebeten worden, die ihm eröffnete, dass die jährlichen Zuschüsse an die Sozialstation ab sofort um 23.000 Euro herabgesetzt werden. Und: Die Obdachlosen und all jene sozial Abgehängten, die zur Klientel der Sozialstation, zu den Gästen des Café Treffpunkt gehören – mögen doch nun zur Wirtschaftlichkeit der Einrichtung in der Kuglerstraße selbst beitragen.
Die Rechnung der Sozialstadträtin ging offenbar so: Da bisher im Durchschnitt 70 Personen an den Essen teilnahmen, müsste jeder von ihnen bloß 1,50 Euro beisteuern – und schhon käme man bei monatlich 25 Öffnungstagen auf Einnahmen in Höhe von 2.625 Euro. Die gestrichenen Bezirkszuwendungen wären dann mehr als ausgeglichen.
Dumm nur: Die Sache geht nicht auf. Siegfried Fischer: „Das kann doch von unseren Gästen auf Dauer kaum jemand bezahlen.“ Und so halbierte sich die Zahl Speisenden schlagartig. Um die Verluste aus den Bezirkszuweisungen dennoch wett zu machen, bliebe da eigentlich nur eine alsbaldige Preiserhöhung… .
„Wir sind keine Gaststätte, keine Suppenküche und keine Wärmestube. Wir sind eine Begegnungsstätte.“ Siegfried Fischer fürchtet, dass im Bezirksamt die Realitäten der Sozialarbeit, wie sie unter anderem die Heilsarmee leistet, nicht so recht wahrgenommen werden.
Wer für Obdachlose, für Treber, wer für Menschen, die ganz
unten im sozialen Gefüge der Gesellschaft stehen, Sozialarbeit leisten, wer Hilfe anbieten will, der muss sie erst einmal erreichen. Das Angebot eines kostenlosen Essens zählt daher zu den Standards.
Sollte es bei der Bezahl-Vorgabe des Bezirksamtes bleiben, ist ein Einbruch in der Arbeit der Sozialstation der Heilsarmee wohl absehbar.
Die Rechenkünste der Bezirksstadträtin sind damit noch längst nicht am Ende. Und sie treiben dem eigentlich immer freundlich und beherrscht wirkenden Sozialsergeanten tiefe Furchen in die Stirn. Denn Lioba Zürn-Kasztantowicz möchte, dass die Heilsarmee ihren weit über die Stadt bekannten Standort aufgibt – und in jene Räume in der Zelter-/Ecke
Dunckerstraße zieht, die vom „Sozialprojekt Prenzlauer Berg wegen der Mittelstreichung aufgegeben werden sollen.
Siegfried Fischer, der nicht nur ein Diener Gottes und Sozialarbeiter, sondern auch Diplom-Verwaltungswirt ist, kann das nicht mehr nachvollziehen: „Hier in der Kuglerstraße zahlen wir eine Miete von 930 Euro – in der Dunckerstraße müssten wir monatlich um die 2.500 Euro hinlegen. Wo bleibt da der Spareffekt?“ Außerdem seien in der Kuglerstraße im Laufe der Jahre zahlreiche Ein- und Umbauten vorgenommen worden – mit der Verpflichtung dem Vermieter gegenüber, bei einem Auszug den Urspungszustand wieder herzustellen. „Wer soll das bezahlen?“
Und dann das ganze Mobiliar. „Uns wurde soviel gespendet,
für die Küche zum Beispiel – sollen wir das nun alles wegwerfen?“
Für einen Moment scheint es, als würde Siegfried Fischer nun doch noch aus der Haut fahren. Dann aber holt er einen Brief hervor, geschrieben von jemand, der lange Zeit Gast im Café Treffpunkt war.
„Hätte ich dich und die Heilsarmee nicht kennengelernt,“ ist da zu lesen, „wäre ich vielleicht gar nicht mehr auf der Welt. Denn ich hätte es nicht allein geschafft, da aus allem raus zu kommmen. Durch deine Gespräche und Gebete bin ich stark geworden, von dem Alkohol und von der Straße zu kommen…“
„Tausend Euro oder hunderttausend“, sagt Siegfried Fischer
schließlich, „wichtig ist doch, dass die Hilfe wirkt.
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Michael Springer
Feb. 25. 2012
Erst die Arbeit? … die Kultur? … oder das Essen?
Es geht hier um politisches Rechnungswesen, es sollte zunächst festgehalten werden:
– 70 Betroffene haben zusammen einen Rechtsanspruch auf 374 € Hartz-4-Regelsatz pro Kopf und Monat = 26.180 € monatlich). Dem stehen ca. 3.150 € Essensgeld gegenüber.
– jeder normale Hartz-4-Empfänger in Buch, Karow oder andernorts bekommt kein
zusätzliches kostenloses Essen, weil es dort keine derartigen Angebote gibt.
Er hätte nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz mindestens einen Anspruch darauf, eine Erklärung zu bekommen, warum andernorts soziale Pflichtleistungen freiwillig aufgestockt werden – bei ihm aber nicht.
– Im Sinne der Gleichbehandlung ist die Zahlung von 1,50 € eigentlich schon eine
Privilegierung gegenüber ganz normalen Hartz4-Empfängern, die sich voll selbst
versorgen müssen und mehr aufwenden müssen.
Sinnvoll ist es, denjenigen ein kostenloses Essen auszugeben, die bislang keine Hilfe angenommen haben – und vielleicht auch zu krank sind, um Hartz 4 zu beantragen. Aber wenn sie dann Hilfe erhalten, können auch 1,50 € bezahlt werden.
Man könnte mit dem Geld aber auch 2 Arbeitslosen einen neuen festen Job schaffen, und diese wiederum an anderen Ort in einer neuen Suppenküche oder einem Kiezcafé arbeiten lassen …
Das beim Bezirk gesparte Geld wird aber auch zum Erhalt von Kultureinrichtungen benötigt.
Ich plädiere für Kultur & Arbeit!
Die Politik muß abwägen und entscheiden – weil das Geld nur einmal ausgegeben werden kann!
Matthias Busse
Feb. 29. 2012
M. Springer sagt: „Sinnvoll ist es, denjenigen ein kostenloses Essen auszugeben, die bislang keine Hilfe angenommen haben – und vielleicht auch zu krank sind, um Hartz 4 zu beantragen.“
Und genau diese Menschen betreut offensichtlich die Heilsarmee. Über das Essen kann sie die Menschen erreichen und mit ihnen zusammen fehlende persönliche Papiere beschaffen, die für den Antrag von Sozialleistungen erforderlich sind. Denn es bekommt nicht jeder „HartzIV“, nur weil er bedürftig ist. Dafür muss schon eine Menge Beweismaterial vorgelegt werden. Das schaffen und können viele Menschen in Deutschland jedoch nicht.