Sommer Loch und Guggen Heim

ZwischenrufKaum scheint die Sonne drei Tage am Stück, schon rufen die Berliner Medien das Sommerloch aus. Anlass: In Prenzlauer Berg und Kreuzberg haben Menschen ihren Unmut über das Aufstellen einer über-
dimensionierten begehbaren Litfasssäule geäußert.
Aufgestellt werden soll das Werbemöbel in der Form eines futuristischen Bungalows von einem in Süddeutschland ansässigen Hersteller vielzylindriger, blechummantelter Penisverlängerungen, der sich zu diesem Zwecke der Hilfe einer auf Zuwendungen von Spenden aus Industrie und Banken angewiesenen überseeischen Museumsstiftung versicherte hatte.


Der Sachverhalt

Geplant wurde keine Produktwerbung, in der die gesamte Angebotspalette des Produzenten („Hilft reiben nicht mehr und nicht lutschen – versuch‘ es mal mit Bayern-Kutschen“), einzelne Produkte („Stets schwerer fällt der Weg zum Puff? – Spar dir die Kraft, fahr Bayern-SUV“) oder aber besondere technische Finessen („Kommst du in ein höhres Alter, hilft der Fahrerlebnisschalter“) angepriesen werden, sondern eine sogenannte Imagekampagne.

Ein solches Marketinginstrument zeichnet sich dadurch aus, dass ein alle interessierendes Thema okkupiert wird, das nicht unbedingt mit dem eigentlichen Produkt zu tun hat. Damit, so die Hoffnung der Reklame-Hirnspezialisten, soll analog des pawlowschen Hundes ein Reflex erzeugt werden, der bei den Rezipienten im Falle der Erwähnung eines ansonsten nicht immer wohlgelittenen (Marken-)Namens eine positiven Botschaft assoziieren lässt.


Problem erkannt

Die Bayrischen Motorenwerke scheinen dabei ein besonderes Imageproblem für sich erkannt zu haben. Nicht nur, dass der Begriff „Auto“ an sich immer weniger mit „mobil“, sondern mit (Verkehrs-)Sklerose und Infarkt in Verbindung gebracht wird – auch scheinen sich speziell die bayrischen Töfftöffs bis zum heutigen Tag nicht von dem Ruch befreit zu haben, vorzugsweise von Reeperbahn-Luden, Türstehern und Regierenden Bürgermeistern als virtuelle Potenzverstärker genutzt zu werden. Was der Erschließung größerer bürgerlicher Käuferschichten natürlich hinderlich ist.

Folgerichtig erklärte BMW-Marketingchef Uwe Ellinghaus zu der geplanten Reklametour: „Mit der Experiential branding-Strategie, und ganz konkret mit dem BMW Guggenheim Lab, möchten wir jene ansprechen, die heute vielleicht noch keine besondere Affinität zur Marke BMW haben – möglicherweise dem Auto sogar ambivalent gegenüber stehen.“


Wanderzirkus fürs Bildungsbürgertum

Die Tour soll nach der Art eines Wanderzirkus vonstatten gehen: Ein paar Wochen hier, ein paar Wochen dort. Die Auftrittsorte wurden sorgfältig nach der zu umbuhlenden potentiellen Kundschaft ausgewählt: Millionenstädte, in denen zu Recht auch eine größere Anzahl leider noch BMW-freier Kaufkräftiger vermutet werden. Und da sich das zirkustypische Zelt auf Grund gewisser klimatischer Gegebenheiten in einigen der Gastspielorte (Mumbai) wohl als unpraktikabel erwies, entschied man sich für ein leicht auf- und abbaubares Fertigteilhaus.

Um jene nicht zu verschrecken, die „dem Auto sogar ambivalent gegenüber stehen“, wurde als Thema für die rollende Werbeshow ein Bereich gewählt, in dem weder Namensgeber Guggenheim, noch Finanzier BMW bisher auffällig geworden waren und schon deshalb als besonders kompetent gelten dürfen: Stadtentwicklung.

Jeder Zirkus benötigt für die Unterhaltung des Publikums ein paar Clowns. Da nicht damit zu rechnen war, dass sich renommierte Stadtentwicklungsexperten zum Wohle des Karossenbauers sowie zur Erheiterung der Zuschauer bunte Farbe ins Gesicht pinseln lassen würden, hatte Be-Em-Guggenheim-Weh eine Spaßmachertruppe „aus talentierten Berufsanfängern wie auch aus aufstrebenden Führungspersönlichkeiten aus unterschiedlichen Disziplinen“ angeworben. Was mehrere Vorteile hat. Erstens sind junge Menschen leichter mit vermeintlicher „Wichtigkeit“ zu bauchpinseln, zweitens sind sie preiswerter und drittens können sie sich Jahre später, wenn ihnen die Lächerlichkeit ihres Auftrittes einmal richtig bewusst werden sollte, immer noch mit dem Klassiker „Ich war jung und brauchte das Geld“ herausreden.


Gefahr der Nichtbeachtung

Kann sich noch jemand an smart urban stage erinnern? Nicht? Das ist eine ähnlich gelagerte Show-Karawane, die vor zwei Jahren ebenfalls in Berlin Station machte, und die – Überraschung! – die „Zukunft der Stadt“ zum Thema hatte. Veranstalter war der große Konkurrent Daimler Benz – allerdings hatte der es nicht nötig, eine „Branding-Strategie“ zu fahren, sondern bewarb bloß sein Absatz-Sorgenkind Smart. Viel Aufsehen erregte die Kampagne in Berlin aber nicht: Ein paar Artikelchen – das wars dann aber auch.

Würde dem BMW Guggenheim Lab eine ähnliche Nichtaufmerksamkeit zuteil werden, wäre die bestimmt nicht geringe Summe, die für den großen Autowerbefeldzug ohne Autos aufgebracht wurde, in den Wind geschrieben.


Nach allen Regeln der Marketing-Kunst

Doch die Strategen von BMW-Marketing-Chef Uwe Ellinghaus haben bisher die goldenen Regeln, die für einen Erfolg eines solchen Unternehmens unabdingbar sind, beherzigt.
Allen voran jene, sich dort anzusiedeln, wo es die größten Konflikte zu erwarten sind: Je größer der Unmut des Umfelds, desto intensiver die mediale Begleitung. Folgerichtig wurde als erstes ein Platz an der Kastanienallee ausgerufen, der zwar nicht wirklich für das Vorhaben geeignet war, dafür aber den unschätzbaren Standortvorteil vorweisen konnte, auf (damals) leidenschaftlich umkämpftem Gebiet zu liegen. Um die Stimmung noch etwas zu heben, wurde dafür Sorge getragen, dass die gesamte Umbauplanung noch einmal umgemodelt werden musste.

Doch so richtig wollte die Empörung nicht gedeihen. Und als auf dem Pfefferberg – dem nächsten anvisierten Platz – sogar Willkommensgrüße dargeboten wurden, war es Zeit zum Gegensteuern: Auf nach Kreuzberg!
Ein wahrlich goldener Griff. Denn dort flackerte tatsächlich so etwas wie wahrnehmbarer Protest auf, der das in New York City schon längst vergessene Lab auch dort zumindet wieder in die unteren Spalten der Zeitungen brachte.


Verlässliche Kriegsberichterstattung, aber Sorge um die Organe der Staatsmacht

Die hiesigen Medien funktionierten mietmaulmäßig perfekt. Neben dem üblichen Geschrei aus dem Hause Springer tat sich vor allem der Tagespiegel mit Berichten hervor, als stünde ein Bürgerkrieg unmittelbar bevor: „Guggenheim-Gegner drohen mit Gewalt“ überschrieb das Blatt einen Artikel zum Thema – um dann kund zu tun: „Die Gegner des ‚BMW Guggenheim Lab‘ wollen das in Berlin geplante Ideenlabor auf jeden Fall verhindern, auch außerhalb des ursprünglich geplanten Standorts Kreuzberg. Dabei halten sie Sachbeschädigung wie Farbbeutelwürfe für legitim.“

Mindestens ebenso neckisch ein Interview bei Radio 1 mit einem der Protestorganisatoren. Schon die erste Frage – gestellt nach einer Woche Intensivhetze von Politik und Presse – war lustig: „Bislang sind Sie immer mit Ihrem richtigen Namen in der Presse aufgetaucht. Letzt benutzen Sie ein Pseudonym. Ist das ein Indikator für Ihre Radikalisierung?“

Auch der war gut: „Was stört Sie denn eigentlich an einer Diskussionsplattform, die über die Zukunft der Großstadt nachdenkt und die es in Mumbai und New York zur Freude der Beteligten auch schon getan hat?“
In New York gab es heftige Proteste gegen das „Lab“ – und in Mumbai soll es erst nach dem Berliner Auftritt aufgestellt werden…

Da werden bei einem alten Ossi Erinnerungen wach: Sachkenntnis ist zweitrangig, solange nur die ideologische Ausrichtung stimmt.

Während also die Unterwürfigkeit des überwiegenden Teils der Medien gegenüber Staat, Partei, Regierung und BMW reibungslos funktioniert, scheint der Zustand der staatliche Organe Anlass zur Sorge zu geben: War es dem Verfassungsschutz noch Ende der 1960er bis Anfang der 70er ohne weiteres möglich, über ihren V-Mann Peter Urbach Molotowcoctails an Demonstranten vor dem Axel-Springer-Verlag zu verteilen und für eine Erstbewaffnung der „Rote Armee Fraktion“ zu sorgen, so scheinen die Schlapphüte von heute vor allem Einkäufe in der Farbenabteilung des nächstgelegenen Baumarktes zu tätigen. Welch ein Abstieg!

 

 

Weitere Artikel zum Thema:

Verregneter Protest

Videoprotest vorm Pfefferberg

„BMW Guggenheim Lab“-Gegner schlagen Programmthemen vor

 

 



5 Kommentare zu “Sommer Loch und Guggen Heim”

  1. Bin Berlin

    Mrz 30. 2012

    Es gibt einen BIN-Berlin-Reader zum Thema:worin der ODK-Artikel bereits aufgenommen wurde: http://wp4r.ch/GUGGENHEIM und dann spielt das BMW-Lab auch hier eine Rolle: http://bin-berlin.org/wp/?p=1326 und http://mauerparkblog.blogspot.de/2012/03/confronting-comfort-occupy-mauerpark.html
    bis gleich 17:30 – 21:00 in Mitte, wo das Mauerpark-Beton-Kartell heute endlich triumphieren will: http://www.welt-buerger-park.de/index.php?id=17#c167

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  2. suffi

    Mrz 30. 2012

    Die PKW’s dieses hier Kultur als Sponsor durchdringenden Fahrzeugherstellers sind äußert selten nur Vierzylinder. Die Regel sind bei den Münchnern sechs, acht oder mehr…

    Wirklich schade, daß Kirchner jetzt doch nicht für Baufreiheit in der Kastanienallee gegenüber vom Parter gesorgt hat, wie er zunächst den Öffentlichkeit in Sachen Lab und Veränderung der Bauabläufe VORLOG.

    Zu Kirchners unnützem Kaputt-Umbau hätte dieses Quatsch-UFO sehr gut gepaßt.

    Wo ist eigentlich der Wahlkreisabgeordnete (MdA),, achja der Ratzmann ist ja schon weggelobt, viereinhalb Jahre ohne (wie auch immer schlechte) (Volks-)Vertretung die Gegend…

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    • von ODK

      Mrz 31. 2012

      Mit Verlaub: Ich schrieb nicht vier- , sondern VIELzylindrig.

      Gruß nach nebenan

      ODK

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  3. Michael Springer

    Mrz 31. 2012

    Das Thema BMW-Guggenheim Lab ist ein modernes Urban-Design-Drama – in einer aus den Fugen geratenden Welt.
    Weltweit geht die Urbanisierung in eine dramatische Wachstumsphase über, der Regierungen dem Städtewachstum noch nahezu hilflos gegenüber stehen.
    Und ausgerechnet von Marken-Strategen und Designern wird das einzig denkbare „demokratische Gerät“ erdacht, um Urbanisierungsprozesse partizipativ zu gestalten.

    Leider hat man dabei die „Aneignung durch die Betroffenen und das Publikum“ völlig falsch eingefädelt. Und so wird das BMW-Guggenheim-Lab zuerst metaphorisch zur politischen Hüpfburg für allerlei Symboldiskussionen umfunktioniert.

    Das BMW-Guggenheim-Lab wird zweckentfremdet, noch bevor es steht: das als „weltenrettendes partizipative Gerät“ erdachte Lab wird zum „Monstrum der Eventkultur“ und „Gentrifizierung“ umgedeutet.
    Wenn das symbolisch-ideologische Wortgeklingel abgeebt ist, wenn das mediale Summen der Metaphern abgeklungen ist, kann man sich mit der Realität befassen:

    Es steht ein echtes Zukunftslabor auf dem Pfefferberg. Ein Ort, an dem erst die richtigen Fragen gestellt werden müssen – bevor man neue Antworten finden kann.
    Auch richtige Zukunftsfragen könnten dort gestellt werden. Es benötigt nur ein Publikum, das die Chance zur Aneignung begreift und nutzt.

    Es geht nicht nur Auto, Komfort, Mensch und Straße. Es geht auch darum welche Kultur wir bei der Behandlung von Zukunftsfragen in einer Stadt entwickeln müssen.

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  4. suffi

    Apr 02. 2012

    @ODK: Ja, mehr Viel als vier in der Gegend hier.

    Antworten zum kapitalistischen Sichaustoben per Marktgeschehen, welches hier seit 22 Jahren durch die östliche Stadthälfte gefegt ist, wird man im sogenannten „Lab“ nicht erwarten dürfen.

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