Gut drei Stunden dauerte die Sitzung des BVV-Ausschusses für Stadtentwicklung im Rathaus von Mitte in der Karl-Marx-Allee, auf der am Ende über eine Mauerparkerweiterung auf Weddinger Seite entschieden werden sollte. Mehr als 100 Besucher – in der großen Mehrzahl Bebauungsgegner – waren gekommen, der dortige Robert-Havemann-Saal, sonst Tagungsort des Bezirksparlaments, war proppevoll. Noch vor Tagungsbeginn übergaben Vertreter der Mauerpark Stiftung Welt-Bürger-Park eintausend Unterschriften von Menschen, die sich gegen eine jedwede Bebauung des Parkes ausgesprochen haben. Die Stimmung war – wie fast immer,
wenn es um den Mauerpark geht – aufgeheizt, irgendwo zwischen Zorn und Happening.
Im Kontrast dazu Stadtrat Carsten Spallek. Gestik, Mimik, Körpersprache – es war deutlich zu erkennen, wie unwohl er sich inmitten dieses Menschenauflaufes fühlte. Eine derartige Emotionalität wegen ein paar Hektar Brachland schienen ihm zutiefst unverständlich zu sein – und so setzte er seinen Ausführungen folgerichtig ein „Mir ist alles egal“ voran.
Und als er bei Aufzählung der Kosten, die die verschiedenen Varianten der Mauerparkgestaltung nach sich ziehen würden, nun ausgerechnet jene Variante nicht aufführte, die die Mehrheit der Anwesenden Gäste ganz offenbar favorisierte –
nämlich: Ankauf des Geländes mit Mitteln, die von der Stiftung Weltbürgerpark eingeworben werden sollen – bat er mürrisch um Verzeihung: Es hätte ihm an Zeit gefehlt, auf alle Varianten einzugehen. Was wohl meinte: Es gibt wichtigeres.
Anders als in Pankow genießen die Bürger in Mitte bei BVV-Ausschusssitzungen offenbar kein generelles Rederecht. Also verkündete der Vorsitzender Frank Bertermann die Diskussionsbeiträge der Vertreter der Initiativgruppen und Vereine als eigenen Tagesordnungspunkt.
Dass er lediglich drei Minuten Redezeit pro Person gewähren wollte, brachte ihm vielstimmigen, lauten Protest aus dem
Saal ein – so dass er daraufhin Gnade vor Recht ergehen ließ und auf eine Durchsetzung des gesetzten Zeitlimits verzichtete.
Etwas später erntete der Ausschussvorsitzende noch einmal geballtes Unverständnis: Ein etwa zehnjähriger Junge hatte sich zu Wort gemeldet, wurde aber übersehen. Als der sich dann ans Mikrofon setzte, hatte Bertermann die Rednerliste gerade geschlossen und verkündete in Richtung des Kindes: “Gleiches Recht für alle”. Es bedurfte erst des Beschlussantrages eines Ausschussmitgliedes, um den Jungen doch noch zu Wort kommen zu lassen.
Frank Möller von der Mauerpark Stiftung Welt-Bürger-Park appellierte an die Ausschussmitglieder eine Bebauung des
Mauerparkgeländes nicht zuzulassen. Im Innenstadtbereich gäbe es nur 1,1 Quadratmeter Grünfläche pro Einwohner, da hätten selbst Freiland-Bio-Hühner mehr Auslauf. Er warnte vor absehbaren Konflikten zwischen neuen Anwohnern und Besuchern wies auf die Gefahren für die Jugendfarm Moritzhof durch eine Bebauung in ihrer unmittelbarer Nachbarschaft hin, die zudem ihre notwendige Erweiterung unmöglich machen würde.
Die Vergrößerung des Mauerparks, so Möller, sei ein Projekt vor allem auch für die zukünftigen Generationen. Flächen, die jetzt bebaut werden, seien für den Park für immer verloren.
Die Liste der Wortmeldungen war lang: Ein Vertreter des
Vorstandes der Freien Schule am Mauerpark und eine Schülerin jener Schule, eine Hausfrau, der BBK-Atelierbeauftragte Florian Schöttle, Mauerpark-Urgestein Heiner Funken und ein etwas nerviges Original, das sich als Obmann aller Prenzlauer Berger darstellte,. Sie alle sprachen sich in der einen oder anderen Form für gegen eine Bebauung der Mauerparkerweiterungsflächen aus.
Beginnende Bärenfell-Verteilung
Rainer Krüger, Sprecher der legendären Bürgerwerkstatt und Mitglied des Vereins „Freunde des Mauerparks“, nutzte seine Redezeit, um die Aktivisten der Weltbürgerparkstiftung, die Geld für den Ankauf des Erweiterungsgelände einsammeln wollen, um so eine Bebauung des Areals zu verhindern, als großmäulige Versager darzustellen: Nur 5.000 Euro hätten
sie trotz aller vollmundigen Ankündigungen erst zusammengebracht. Die benötigte fünfstellige Summe einzusammeln, sei eine Illusion, die vielleicht in zehn Jahren Realität werde – so lange könne man aber nicht warten. Im Gegenzug pries er die Betreiber des Flohmarktes und der Partylocation “Mauersegler”, die sich zu einer Interessengemeinschaft zusammengefunden hätten. Sie seien bereit, das Gelände, auf dem sich ihre Einrichtungen befinden, zu kaufen. Zu einem Preis in Millionenhöhe.
Kurz vor der Abstimmung erhielt Rainer Krüger dann noch für eine “Richtigstellung” das Wort: Nie habe er Geld für sein Wirken in der Bürgerwerkstatt erhalten. Das hatte zwar auch niemand behauptet – aber schön, dass mal drüber gesprochen wurde.
Severin Höhmann vertrat die Mietergenossenschaft SelbstBau e.G. und sprach von der Möglichkeit, auf dem Mauerpark genossenschtliches Wohneigentum zu errichten. Allerdings wären Quadratmeterpreise um die 8,50 Euro sicher nicht zu unterschreiten. Jedoch gäbe es die Möglichkeit, dass der Senat mit einsteige und der Genossenschaft Belegungs-
rechte abkaufe. Dann wären auch Mieten um die sechs Euro möglich.
Der Widerspruch kam umgehend: Florian Schöttle wies den ehemaligen SPD-Kandidaten für das Abgeordnetenhaus darauf hin, dass der Senat im aktuellen Doppelhaushalt keinen müden Euro für die Förderung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus eingestellt habe.
Zum Schluss: Reden kungeln und beschließen
Der Abend war schon fortgeschritten, da nahmen auch die Ausschussmitglieder noch einmal das Wort. Thorsten Reschke (CDU) fand den zuvor von Anwesenden vorgetragenen Vorschlag zur Bildung eines Runden Tisches Mauerpark, ganz, ganz toll – doch leider gäbe es dafür überhaupt keine Zeit mehr. Bis der sich seine Geschäftsordnung gegeben habe, wäre das Jahr vorbei und die Bagger würden rollen. Außer dem Linken Sven Diedrich, der unverdrossen für Besonnenheit plädierte, und dem Piraten David Kirchner, wollten alle Ausschussmitglieder nun heftig handeln. Und nachdem von grüner Seite noch der Aufruf kam, wer jemand mit Geld kennt, der auf dem Mauerparkgelände investieren will, sollte sich alsbald melden, war es für die Bezirksverordneten Zeit, sich auf einen Beschlussentwurf zu einigen.
Und zwar während einer “Auszeit” unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Der Linke Sven Diedrich durfte nicht mitkungeln und Pirat David Kirchner wollte nicht. Nach gut zwanzig Minuten begaben sich die Ganz-Groß-Koalitionäre von SPD,CDU und Grünen wieder in den Tagungssaal.
Der Versuch von Sven Diederich, in dem nunmehr vorliegendem Beschlussentwurf das Wort “Bürgerwerkstatt” durch “Bürgerschaft” zu ersetzen, blieb erfolglos.
Dann wurde abgestimmt.
Überraschung: Außer dem Linken Diedrich und dem Piraten Kirchner stimmten alle anderen Ausschussmitglieder dem Beschlussentwurf zu.
Nutznießer des Verfahrens waren vor allem jene Eltern, die zusammen mit ihren Kindern bis zum Schluss ausgeharrt hatten: Sie müssen dem Nachwuchs künftig nicht mehr wortreich erklären, was eine Farce ist.
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Karin Schneider
Apr 02. 2012
Dass Spallek „nun ausgerechnet jene Variante nicht aufführte, die die Mehrheit der Anwesenden Gäste ganz offenbar favorisierte – nämlich: Ankauf des Geländes mit Mitteln, die von der Stiftung Weltbürgerpark eingeworben werden sollen.“
ZU RECHT!
Mauerpark Stiftung Welt-Bürger-Park
Apr 02. 2012
Unsere Pressemitteilung zu dieser Veranstaltung finden Sie hier http://www.welt-buerger-park.de/fileadmin/user_upload/pdf/mswbp_PE_02.04.2012_-.pdf
Bin Berlin
Apr 02. 2012
was will uns „Karin Schneider“ damit sagen? „zu Recht“? inwiefern? dieser Kommentar endet wo die Argumentation anfangen sollte. Vielleicht wird die ja noch nachgeliefert.