„Wenn hier noch einmal ‚Lüge‘ gerufen wird, lasse ich den Saal räumen!“ Die Nerven von Sabine Röhrbein, die schon wahrlich turbulentere Sitzungen mit durchaus souveräner Gelassenheit geleitet hatte, schienen für einen Moment blank zu liegen.
Verursacher der Überreaktion der BVV-Vorsteherin waren die Seniorinnen und Senioren aus der von der Schließung bedrohten Begegnungsstätte Stille Straße.
Ihr Vorstand Doris Syrbe hatte in der Einwohnerfragestunde zu Beginn der Tagung wissen wollen, was das Bezirksamt unternommen habe, um die Tagesstätte auf der Grundlage des BVV-Beschlusses (siehe Download unten) langfristig zu halten und warum nach der im Zuge der Haushaltsplanung 2012/13 nun
Schon als die sichtlich verunsicherte Sozialstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz, die Antworten vom Blatt ablesend, lediglich all das wiederholte, was sie zuvor schon zur Sache geäußert hatte (z.B. fehlende Mittel im Haushalt 2012/13, die mit Stelleneinsparungen nicht mehr zu bewältigen sind) gab es laute Buh-Rufe aus dem Zuschauerraum. Sie wurden lauter, nachdem die Stadträtin versicherte, ihr wäre die Entscheidung zur Schließung nicht leicht gefallen. Und als sie darüber sprach, dass die Hälfte der Seniorengruppen der Stille Straße bereits Angebote für ein Unterkommen anderswo erhalten hätten, platzte einer Zuschauerin der Kragen: “Lüge!”
Am späteren Abend stand die Begegnungsstätte Stille Straße noch einmal auf der Tagesordnung. Die ehemalige Linkspartei-Bezirksverordnete Eveline Lämmer beantragte, eine dauerhafte Sicherung der Seniorenfreizeitstätte “mit den Möglichkeiten der Erbbaupacht der Liegenschaft für eine soziale Nutzung und die Möglichkeit der Vergabe an einen Träger zu prüfen.”
In der Begründung des Antrages, der von der Linksfraktion eingereicht wurde, bezeichnete die Antragstellerin die Seniorenfreizeitstätte als “unverzichtbaren Teil der sozialen Infrastruktur in einer Gegend mit hohem und weiter wachsendem Anteil älterer Bürger”. Eveline Lämmer rief in Erinnerung, dass es sich bei den Betroffenen um Menschen
in einem Alter zwischen sechzig und 93 Jahren handelt, die sich gemeinsam über einen langen Zeitraum all die Angebote der Begegnungsstätte selbst geschaffen haben. Bei einer Aufgabe der Freizeitstätte gehe der für die Senioren so wichtige, über Jahre gewachsene soziale Zusammenhalt verloren. Darüber hinaus sei der Bezirk bisher noch immer nicht in der Lage gewesen, den Senioren die zugesagten Ausweichorte für ihre Kurse in der notwendigen Größe und Qualität anzubieten. Vielmehr sei zu befürchten, dass bei den bisher gemachten Vorschlägen nicht nur die Kurse der Senioren, sondern auch andere Angebote in den Ausweichorten leiden werden. So zum Beispiel im neuen Stadtteilzentrum in der Schönholzer Straße, wo sich die Senioren den ihnen angebotenen Raum mit einer anderen Gruppe des Zentrums teilen müssten.
Matthias Böttcher von der SPD-Fraktion sah dies nicht so dramatisch: “Wichtig ist nicht die Hülle der Stille Straße,
sondern der Inhalt.” Als er, ebenso wie zuvor schon die Sozialstadträtin, erklärte, dass für die Kurse ausreichender Ersatzraum gefunden werde, hatten die Unmutsbekundungen im Besucherraum wieder eine Lautstärke erreicht, die die BVV-Vorsteherin reflexartig zum Mikrofon greifen ließ. Diesmal aber besann sie sich im letzten Moment und ließ die Seniorinnen und Senioren gewähren.
Die bündnisgrüne Fraktionsvorsitzende Daniela Billig war es schließlich, die den Hausfrieden an diesem Abend rettete. Sie verhinderte ein weiteres Anschwellen der Unruhe mit dem von der Bezirkverordnetenversammlung dann auch mit Mehrheit
angenommenen Vorschlag verhinderte, den Antrag zur weiteren Beratung in die Ausschüsse zu verweisen. Allerdings setzte sie hinzu, dass ihre Fraktion nicht gewillt sei, den Haushaltsbeschluss zur Schließung der Freizeitstätte zurückzunehmen und es in den Ausschüssen nur darum gehen kann, wie die Kursangebote für die Senioren erhalten bleiben können.
So konnte zwar eine zwangsweise Räumung des BVV-Besuchersaales, wie sie im Falle einer Ablehnung des Antrages und den darauf sicher sehr, sehr lauten Protestrufen der Senioren nicht unwahrscheinlich gewesen wäre, doch noch vermieden werden – die Räumung der Begegnungsstätte in der Stille Straße 10 zum 30. Juni aber steht nach wie vor im Raum.
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Scheel
Juni 29. 2012
Es ist für unsere BI in Treptow-Köpenick schon beeindruckend, was für eine lautstarke Protestkultur der Bezirk Pankow aushält. So ein Protest ist in Treptow-Köpenick gar nicht vorstellbar! Wir wünschen viel Erfolg bei der Rettung der Seniorenbegegnungsstätte – falls es nicht klappt, empfehlen wir einen Umzug in die Wendenschloßstr. – dort gibt es eine Seniorenbegegnungsstätte, in deren Haus in den letzten Jahren Millionen gepumpt wurden – dafür „springen jetzt andere Einrichtungen (Jugend, Musik, Kultur) über die Klinge! Kurz: In Pankow erhält man Kultur und Musik am Leben und streicht eine Seniorenbegegnungsstätte von der Ausgabenliste, in Treptow-Köpenick ist es umgekehrt: Hier wird eine Seniorenbegegnungsstätte erhalten, dafür gibt es Kahlschlag in den anderen Bereichen!