Das Gelände, das einst mit Zäunen und Mauern eine Stadt in zwei Welten teilte, ist lückenlos umzäunt.
An den wenigen vorhandenen Grenzübergangsstellen werden Einreisende befragt und ihr Gepäck durchsucht. Um das Gelände herum ist es schwer, eine Straßenzeile zu finden, in der keine Einsatzwagen samt entsprechendem Personal auf ihren Einsatz warten.
Drinnen patroullieren bewaffnete Uniformierte auf exakt jenem Weg, den zweieinhalb Jahrzehnte zuvor die Angehörigen der “Grenztruppen der DDR” zur “Sicherung der Staatsgrenze” abschritten. Die Körperhaltung angespannt, wird das Terrain
mit schnellen, hochnervösen Blicken abgesichert, die zugleich Entschlossenheit und Verunsicherung erkennen lassen: So bewegt man sich in Feindesland.
Es war von jeher ehernes Prinzip: Kein Berliner zum Dienst an die Berliner Mauer. Was hat man den blutjungen Beamten aus Niedersachsen über das Terrornest Mauerpark erzählt?
Die träge im Gras dösenden Paare, die Familien, die mit ihren Kindern den plötzlich hereingebrochenen Sommer genießen, tun so, als wären sie geschlossen der Karl-Kraus-Gesellschaft beigetreten: Ned amoi ignoriern.
Der Hang zum Stadion hinauf, sonst mit Sonnenhungrigen voll belegt, ist menschenleer. Unten auf dem Pflasterweg kommt es
zu einem Dialog zwischen einem Besucher und einem Angehörigen des „Anti Konflikt Teams“ der Polizei.
Besucher: Warum ist denn der Hang gesperrt?
Polizist: Von da oben kann man gut Steine nach unten werfen.
Besucher: Steine…
Polizist: Ja, Steine. In der schlimmen Zeit sind massenhaft Steine von da oben geworfen worden.
Besucher: Haben wir jetzt eine schlimme Zeit?
Polizist: Nein.
Besucher: Wie lang ist sie denn her, die schlimme Zeit?
Polizist: Na, so acht, neun Jahre.
Besucher: Und deshalb wird der Hang jetzt noch abgesperrt?
Polizist: Man kann ja nie wissen… .
Am Nachmittag war der Park noch eher spärlich besucht – schließlich war der 30. April ein Werktag und nicht jeder konnte einen “Brückentag” nehmen.
So fand auch das traditionelle Friedensgebet fast unbemerkt mit nur wenigen Teilnehmern statt.
Doch die Kinder waren schon da und hatten ihren Spaß mit Riesen-Seifenblasen und dem Entzünden des Lagerfeuers.
Je weiter die Zeit voranschritt, desto voller wurde es im Park.
Die lang vermissten Trommler meldeten sich unüberhörbar zurück, weiter vorn testete eine Band ihr Können zwischen Jazz und Rock’n Roll aus, und nach Norden hin hatte jemand
seine Anlage aufgebaut und legte auf.
Und da war sie wieder, diese unverwechselbare Atmosphäre des fröhlich-gelassenen Nebeneinanders.Der Mauerpark ist noch immer der besondere Ort, wo Unterschiedliches nicht zu Kollisionen führt und wo selbst scheinbare Provokationen weggelächelt werden.
Die angebliche Anzahl von 2.000 Besucher, die irgendwo geschrieben stand, war bei Einbruch der Dunkeheit längst überschritten, und bis in den späten Abend hinein kannte der Strom der Besucher nur eine Richtung: Hinein in den Park.
Lagerfeuer, Trommler, Musik und zum Schluss noch eine Feuershow – es hätte eigentlich bis zum Morgen so weitergehen können.
Doch gegen Mitternacht setzte der Himmel seine Wasserwerfer ein. Erst warnend mit ein paar Tropfen, dann, als die Menschenmenge keine Einsicht zeigte, mit kräftig nassem Nachdruck.
Und so wichen die Besucher der Walpurgisnacht im Mauerpark schließlich der höheren Gewalt.
Marco Fechner
Mai 02. 2012
Hallo Herr Kampmann,
zurückhaltend formuliert: der mehr oder weniger subtile Vergleich der Polizeikräfte mit den Grenztruppen der DDR hinkt etwas… Und ich finde auch nicht, dass ein einzelner Polizist als „Zeuge“ für ihre Vergleiche herhalten sollte.
Beste Grüße,
M.F.
von ODK
Mai 02. 2012
Lieber Marco Fechner,
vorweg eine kurze Begriffsbestimmung – das vermeidet ein die Kommunikation erschwerendes aneinander vorbeireden:
Ein Vergleich ist ein wertfreies Mittel, mit dem es erst möglich wird, sowohl Unterschiede, als auch Gemeinsamkeiten von Dingen oder Sachverhalten festzustellen.
Kennen Sie noch die alten Waagen mit den Tellern rechts und links? Auf den einen stellte man ein eisernes Gewicht, auf den anderen eine Tüte Äpfel. Sauste der Teller mit dem Gewicht nach unten, hatte ihnen der Händler zu wenig in die Tüte getan. Blieben die Teller auf gleicher Höhe – daher der Begriff „die Waage halten“ – hatten Sie es mit Sicherheit mit einem ehrlichen Kaufmann zu tun. Um zu dieser Bewertung zu kommen, mussten Sie vergleichen: Die Masse des eisernen Gewichtes mit der Masse des Inhalts Ihrer Tüte.
Dem Kontext Ihres Kommentars glaube ich entnehmen zu können, dass Sie mitnichten einen „Vergleich“, sondern eine „Gleichsetzung“ zu erkennen meinten. Nun ja… – Gleichsetzungen von ähnlich erscheinenden Sachverhalten werden regelmäßig keinem (Achtung!) Vergleich standhalten, wenn sie sich in gesellschaftlich und historisch unterschiedlichen Gegebenheiten befinden.
Weniger hochtrabend ausgedrückt: Ihre Vermutung einer von mir beabsichtigten Gleichsetzung ist unzutreffend.
Mir geht es um etwas anderes:
1. Es gibt historisch sensible Orte, mit denen man entsprechend sensibel umgehen sollte. Das Gelände des Mauerparks ist so ein Ort. Dass die Sensibilität bei jenen besonders hoch ist, die solche Orte noch in ihrer früheren Bestimmung erlebt haben, sollte keiner weiteren Erklärung bedürfen. Und dass bei gewissen optischen Ähnlichkeiten gewisse Assoziationen entstehen, dürfte ebenfalls naheliegend sein.
2. Ein Polizeieinsatz ist nicht erst dann als überzogen zu bezeichnen, wenn die Einsatzkräfte mit dem Knüppeln nicht mehr aufhören können. Wenn – wie hier – anlasslos eine solche Machtdemonstration inszeniert wird, dann trägt sie zwangsläufig einen provokatorischen Charakter und erscheint mir schon deshalb unverhältnismäßig. Zur Erinnerung: Der Dauermarsch jener bewaffneten, ortsfremden und noch sehr jungen Beamten erfolgte auf einem Areal, das quasi hermetisch abgeriegelt war und nur betreten werden konnte, wenn man an den wenigen Eingängen seine Taschen öffnete. Und im Park selbst war nicht einmal der Hauch einer aggressiven Stimmung zu konstatieren.
Soweit also das.
Wie Sie auf die Idee kommen, von mir würde ein „einzelner Polizist als ‚Zeuge’“ für meine „Vergleiche“ (bzw. die von Ihnen vermuteten Gleichsetzungen) herangezogen, ist mir schleierhaft. In dem von mir aufgeschriebenen Dialog geht es um die Absperrung in einem bereits abgesperrten Gebiet, die damit begründet wird, dass es vor rund einem Jahrzehnt einmal Steinwürfe von da oben gegeben habe. Zu jenem Zeitpunkt allerdings war das Gelände des Mauerparks frei zugänglich. Beim diesjährigen Walpurgisfest war es hingegen abgeriegelt, nicht mal eine Bierdose fand ihren Weg dort hinein. Wie unter diesen Umständen massenhaft sogenannte Autonome mit massig Pflastersteinen in den Park kommen sollten, müsste man mir dann doch schon mal genauer erklären.
Da hatte jener von mit zitierte Beamte also zwei völlig unterschiedliche Ausgangssituationen g l e i c h g e s e t z t – weil er es offenbar versäumt hatte, sie zuvor miteinander zu v e r g l e i c h e n .
Mit besten Grüßen nach nebenan
Olaf Kampmann
dave
Mai 03. 2012
Hm … Mag ja sein, dass es zwischen der heutigen Polizei und der Gernztruppen Übereinstimmungen gibt. Das kann man auch verneinen. Was ich aber auf alle Fälle verneine, ist eine Übereinstimmung der 89′-er-Bewegung mit den heutigen Mauerpark-Besuchern.
suffi
Mai 15. 2012
Das ist nicht nur ein „anlaßloser provokatorischer“ Polizei-Auftritt. Nein, dies ist eine ganz und gar gewollte und leider übliche Notstandsübung der Berliner Polizeibehörden.
Das von den das Geawltmonopol innehabenden Einsatzkräften bei diesen Aktionen (oder Großveranstaltungen, Demonstrationen, Fußballspielen, G8-Gipfeln) Erlernte dürfte sicher zur praktischen Anwendung kommen, sollte in Berlin und Deutschland bald wieder ein „schlimme Zeit“ oder gar eine noch viel schlimmere nahen.
PS: Lagen denn zur Rechtfertigung garkeine „Rohrbomben“ irgendwo Gebüsch?