Protokoll eines Desasters

Als am 1. Oktober nach einem wochenlangem Werbefeldzug des Bezirksamtes für große Teile von Prenzlauer Berg die Parkraumbewirtschaftung in Kraft trat, wurde die Sache teilweise zur Lachnummer.
Zwar war die Ausgabe der Anwohnervignetten gesichert, doch von den Parkscheinautomaten – die zweite unabdingbare Säule einer solchen Maßnahme – war nur etwas mehr als die Hälfte aufgestellt.

Und selbst jene, die zur Verfügung standen, waren nicht immer vollständig installiert: Oft fehlten die Hinweisschilder, die die Automaten erst sichtbar machen sollten, zuweilen war das Straßenpflaster noch nicht wieder eingesetzt…

Die Firma Parkeon, Generalauftragnehmer für die Aufstellung der Ticketspender, hatte es nicht geschafft, auch nur annähernd den vertraglich vereinbarten Termin zu halten.

Während der letzten Sitzung des BVV-Ausschusses für öffentliche Ordnung, Verkehr und Verbraucherschutz berichtete Stadtrat Jens-Holger Kirchner erstmals detailliert über den Ablauf des Desasters.
Kirchners Darstellung des Geschehens, dessen Einzelheiten eher an eine Satire auf die DDR-Plan(los)wirtschaft erinnern, als an das Handeln eines sich als europäischer Marktführer vorstellendes Unternehmen, wird hier im Folgenden inhaltlich wiedergegeben.

Parkeon kündigt an: Am 6. September gehts los. Und zwar richtig! Täglich sollen 25 Säulen aufgestellt werden.

– War wohl etwas voreilig. Also Verschiebung des Termins auf den 13. September – dafür die Zusage, nun täglich 30 Säulen zu setzen.

– Tatsächlicher Beginn: 14. September. Leistung: 32 Automaten – allerdings innerhalb von z w e i Tagen. Es wird aber versichert: „Wir halten den Termin“.

– Am 16.September werden nur acht Automaten aufgestellt. Die Firma Parkeon gibt drei Gründe für die Verzögerung an: 1. Ein zum Einrichten der Parksäulen notwendiger Schlüssel ist verschwunden,
2. ein defekter LKW, 3. Regen.

– Am 17. und 18. September werden zusammen nur 30 Parkscheinautomaten aufgestellt. Kirchner wird leicht unruhig, wird aber umgehend wieder beruhigt – denn Parkeon versichert: Wir halten den Termin.

– 19.September: Offenbar hat irgendjemand von der Firma mit dem berühmten Managed Services mal nachgezählt und überrascht festgestellt, dass statt der eigentlich zu diesem Zeitpunkt vorgesehenen 150 Parkscheinautomaten erst 90 im Prenzlauer Berger Erdreich verankert sind. Aber eine Weltfirma klagt nicht – sie handelt! Also: Anfrage an das Bezirksamt, ob die Automaten auch sonntags aufgestellt werden dürfen.

– 20. September: Der Marktführer teilt dem Bezirksamt mit, dass bis zum vereinbarten Termin am 30. September nur 270 Automaten statt der bestellten 450 aufgestellt sein werden. Grund: Die Spritzgussform für die Gehäusetür (offenbar die einzige, über die der Global Player verfügt) sei zerbrochen. – Ordnungsstadtrat Jens-Holger Kirchner findet das nun gar nicht in Ordnung und teilt das der Kieler Parkscheindruckerklitsche auch umgehend schriftlich mit. Zugleich versucht er händeringend, vom Hersteller einen Ersatz für die nicht gelieferten Parksäulen zu erhalten. Wenigstens ein paar gebrauchte Geräte sollten doch drin sein… . Doch in Kiel bleibt man hart: Zweihundertsiebzich – mehr jibts nich.

– 28. September: In einer fünfeinhalb Zeilen langen Pressemitteilung teilt Parkeon der interessierten Öffentlichkeit mit, dass der Termin 1. Oktober nicht mehr zu halten ist. Seltsamerweise erscheint die Mitteilung des Unternehmens zwar auf der Webseite des Bezirksamtes, nicht aber auf jener von Parkeon. Dort
ist bis zum heutigen Tag nur zu lesen: „Der Bezirk
Berlin Pankow hat sich im Rahmen einer großen
Ausschreibung entschieden, Parkeon zu wählen.
Der Auftrag über 450 Stelio´s wurde in dieser Woche
an uns vergeben. (…) Die Stelio Parkscheinautomaten
gehen am 01.Oktober 2010 in Betrieb. „

– Offenbar um bei ihren Auftraggebern nicht unange-
nehm aufzufallen, passten sich die von Parkeon be-
stellten Baufirmen der Arbeitsweise des Generalauf-
tragnehmers an: So konnte sichergestellt werden,
dass selbst dort, wo schon Säulen vorhanden waren,
die Pflasterarbeiten zum 1. Oktober noch längst nicht
beendet waren.

Selbstverständlich sollte hier nun auch die Firma Parkeon zu Wort kommen. Doch die freundliche Dame, die dort den Telefonhörer abnahm, musste bedauern: Alles was Geschäftsführung und Öffentlichkeitsarbeit hieß, sei in Urlaub. Die Begründung war hübsch: „Die Herren haben ja auch Familie“. Allerdings: Ein Stellvertreter sei wohl noch in Kiel und der werde sich telefonisch melden. Möglicherweise ist aber auch er kurzfristig in die Ferien gefahren – mit Familie selbstverständlich: Bis Donnerstag 18 Uhr rief niemand von Parkeon zurück.
.
Stadtrat Jens-Holger Kirchner hatte bei all dem noch Glück im Unglück: Zum einen ist noch kein Geld an Parkeon geflossen. Kirchner verlangt nun als Schadensersatz einen erheblichen Abschlag vom ursprünglich vereinbarten Preis und richtet sich auf langwierige Auseinandersetzungen ein.
Zum anderen hat der Stadtrat die verbindliche Zusage, dass ab 18. Oktober mit der Aufstellung der Parkscheinautomaten fortgefahren wird. Dass dies so sein wird, daran besteht kein Zweifel. Sofern die neue Spritzgussform standhält. Und auch alle Schlüssel bereit liegen. Und der LKW fahrtüchtig bleibt.
Vor allem aber darf es eines nicht: Regnen…


 

 

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