BVV Mitte Mauerpark: Drei Stunden bis zur Vernunft

Der durch das Erleben vielerlei Proteste vor und im BVV-Saal der Bezirksverordnetenversammlung von Pankow gestählte Besucher rieb sich verwundert die Augen: Während sich vor dem Rathaus Mitte an der Karl-Marx-Allee vielleicht 150 bis 200 Demonstranten zu einem bunten, fröhlichen Protest versammelt hatten, der sich gegen die Mauerparkpläne des dort ansässigen Bezirksamtes richtete, ballte sich vor dem Kino „International“ – nur ein paar Schritte weit von dem jahrmarktsähnlichen Treiben entfernt – ein Aufgebot an Polizeifahrzeugen, das den Eindruck vermittelte, es ginge darum, eine mittelgroße Revolte niederzuschlagen.

Polizeiaufgebot vor dem “International“

Galt dies tatsächlich den Mauerpark-Protestlern, die in vielen Fällen als ganze Familien erschienen waren; samt den Kindern, die hier ihren Spaß an einem Protestierer im Braunbärfell hatten oder Riesenseifenblasen hinterherjagten?
Doch, ja, genau diese Menschenansammlung war der Grund des staatsgewaltlichen Auftriebs. Denn in der im Rathaus anberaumten Tagung der Bezirksverordnetenversammlung sollte unter anderem auch das eigenwillige Vorgehen des Bezirksamtes bezüglich der Mauerparkerweiterung thematisiert werden. Und dem BVV-Vorstand war zu Ohren gekommmen, dass eine zwar überschaubare, für Mitte-Verhältnisse jedoch ziemlich große Anzahl von Bürgern sich allen Ernstes erdreisten wollte, der Debatte beizuwohnen.
 

Robert-Havemann-Saal: Wenig Platz für Bezirksverordnete…

Der Robert-Havemann-Saal im Rathaus zu Berlin-Mitte mag für mancherlei Veranstaltungen geeignet sein: Für Feiern im kleineren Familienkreis, für die Jahrestagung des Vereins-
vorstandes der Kleingartensparte „Fröhlicher Boskop“ und vielleicht auch noch für die eine oder andere Ausschuss-
sitzung.

Zu einem aber taugt der Raum auf gar keinen Fall: Zur Tribüne eines Bezirksparlamentes, das über das Wohl und Wehe von über 340.000 Bürgern zu entscheiden hat.
Schon die Bezirksverordneten sitzen dort eng an eng,

…und noch weniger für Besucher

für etwaige Besucher sind an der Fensterfront ein paar Handvoll Stühle aufgestellt, direkt davor eine Kunststoffkette, die die Begrenzung zum „Plenarsaal“ darstellen soll.

Als BVV-Vorsteher Diethard Rauskolb zur Eröffnung der Tagung schritt, war der Saal mit rund vierzig Gästen längst überfüllt. Glücklich, wer einen „regulären“ Sitzplatz ergattert hatte; alle übrigen holten sich Gestühl aus dem Vorraum herbei oder stellten sich ringsum an den Wänden des Sitzungssales auf.
Das störte den Ordnungssinn der Vorstehers erheblich: Er verlangte, dass alle Gäste, die sich außerhalb des schmalen Besucherstreifchens befanden, ihre Plätze zu räumen hätten. Desweiteren sollten die Transparente entfernt werden.

BVV-Vorsteher Diethard Rauskolb: Sichtlich überfordert

Begründung: Mit den Bürgern im Rücken und den Spruchbändern vor Augen sei den Bezirksverordneten eine konzentrierte Arbeit nicht möglich.
Dies erzeugte bei den Angesprochenen eine gewisse Unruhe.
Viele nahmen ihre Stühle und begaben sich auf die andere Seite des Raumes, um der SPD-Fraktion die rückwärtige Flanke freizumachen.

Derweilen zog sich das in der Bezirksverordnetenver-
sammlung von Mitte wohl meistbeschäftigste Gremium – der Ältestenrat – in sein Besprechnungsdomizil zurück, um das weitere Vorgehen zu beraten.

Andrang vor dem Havemann-Saal

Als der nach weit über einer halben Stunde zurückkehrte, hatte sich die Raumnot erheblich verschärft: Viele Demonstranten, die zuvor noch vor dem Rathaus ihren Unwillen kundtaten, wollten den Gang der Dinge nun ebenfalls live erleben.

Der sichtlich überforderte BVV-Vorsteher rang um Fassung.

Dann forderte er die Besucher auf, den Raum zu verlassen. Sie könnten ja während der BVV-Tagung im Foyer verweilen – ein Lautsprecher würde die Debatte dorthin übertragen. Sollten sie sich weigern, würde die Polizei die Tagungsstätte räumen. Die Sitzung werde dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt.

Thorsten Reschke:
“Ich gehe mit meiner Bedrohung um, wie ich es will!“

Die Besucher aber wollten sich partout nicht rauskolben lassen und protestierten lautstark. Auf die Frage, warum er die Sitzung nicht vertagen und wegen des erheblichen öffentlichen Interesses in einem größeren Raum abhalten lasse, antwortete der Tagungsleiter: Dafür sei kein Geld vorhanden – aber der Fragesteller könne ja welches sammeln.

Nun erhob sich CDU-Fraktionchef Thorsten Reschke und erklärte unvermittelt und mit bebender Stimme, dass er und seine Fraktion bedroht worden seien. Entsprechende E-Mails wären bei ihm und der Faktion eingegangen. Später von der Prenzlberger Stimme befragt, warum er dies erst jetzt der Öffentlichkeit kund gebe, blaffte er: „Ich gehe mit meiner Bedrohung um, wie ich es will!“

Bedrohungen zum Aussuchen:
Decke, Fußboden oder Molowcocktails

Immerhin, das Wort „Bedrohung“ ließ den für kurze Zeit den Faden verloren habende BVV-Vorsteher die Fassung wiedergewinnen: Es sei angekündigt worden, so Rauskolb nun plötzlich, dass im Mauerpark Molotowcocktails hochgehen werden.
Kaum ausgesprochen, musste auch er bemerkt haben, dass das mit den Mollis nun wirklich keine gute Idee gewesen war – zu weit war die Karl-Marx-Allee vom Mauerpark entfernt, als dass die imaginären Brandflaschen einen Räumungsgrund für den BVV-Saal darstellen könnten.
Also legte er nach: Außerdem sei die Tragfähigkeit der Decke nicht gewährleistet. Prompt blickten einige Anwesende verunsichert nach oben – doch die Saaldecke rührte sich nicht.
Später wurde vermutet, Diethard Rauskolb könnte den Fußboden gemeint haben. Warum der im Foyer nun aber stabiler sein sollte, als im Sitzungssaal, wusste auch niemand zu erklären.

Wat nu?

Bedrohung, Brandflaschen, Decke oder Fußboden – der höchste Repräsentant des Bezirksparlaments hatte das letzte Stäubchen seines argumentativen Pulvers nun offenbar verschossen. Also erklärte er die Tagung erneut für unterbrochen. Warum, wie lange und mit welchem Ziel: Keiner wusste es. Er selbst wohl am allerwenigsten.
Und so erhob sich eine allgemeine Diskussion – jeder mit jedem, und alle mit allen. Der Inhalt der erhitzten Debatten kann kurz in zwei Worte zusammengefasst werden: Wat nu?

Die Prenzlberger Stimme wollte die Gunst der Verwirrnis nutzen und dem BVV-Vorsteher ein paar Fragen zur Sache stellen. Vergeblich. Diethard Rauskolbs Vize, der grüne Bezirksverordnete Frank Bertermann, machte seinem Vorsteher klar: Mit diesem Medium kein Wort!
Rauskolb gehorchte.

Protest mit Geduld und guter Laune

Gut eine Viertelstunde nach des Vorstehers Interruptus waren sich alle einig, dass sie sich nicht einig waren – Zeit also, mal wieder den Ältestenrat zusammenzurufen.

Und der tagte, und tagte und tagte…

Sollte sich jemand von den bezirklichen Akteuren tatsächlich der Hoffnung hingegeben haben, dass die BVV-Debattenhungrigen während der Wartezeit die Geduld verlieren und sich heimwärts trollen würden, so hatte er sich getäuscht.

Ebenso geduldig verblieben zwei Polizeibeamte in Zivil vor Ort, die sich in den Räumlichkeiten der BVV ungefähr genauso

Waldorf (links) und Statler

unauffällig bewegten, wie Waldorf und Statler in einer Teenagerdiscothek. Während Statler alle Nase lang den Weg ins Treppenhaus suchte, dort Sicht- und Telefonkontakt mit dem am Kino „International“ stationierten Einsatzleiter der Polizei aufnahm, um ihn mit brandheißen Neuigkeiten zu versorgen („Der Vorraum ist so gut wie leer. Es befinden sich fast alle im Saal“), hielt Waldorf die Verbindung zu den dauertagenden BVV-Granden aufrecht.

Kurz nach 20.30 Uhr quoll – natürlich nur im übertragenen Sinne – weißer Rauch aus den Schloten des Rathauses.
Um es noch einmal spannend zu machen, wurde erstmal nur der Hinweis gegeben, dass die Entscheidung des Rates der Weisen um 20.50 verkündet werde.

Kurz vor Neun war es dann tatsächlich soweit: BVV-Vorsteher Diethard Rauskolb läutet sein Glöckchen und gab hernach bekannt, dass alle Fraktionen beantragen, die Sitzung zu vertagen, um sie an einem noch zu findenen Termin in einem angemessen großen Raum weiterzuführen. Der Antrag wurde bei einer Enthaltung angenommen.

Und während sich die Gäste nun auf den Heimweg machten, trat im großen blauen Haus an der Karl-Marx-Allee der Ältestenrat zusammen.
 

 

 

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