Aus, Schluss, vorbei.
Für ein Foto hat sich Hartmut Seefeld ein letztes Mal in sein altes Büro begeben. Hier, in der obersten Etage des Hauses 6 auf dem Bezirksamtsgelände an der Fröbelstraße hatte er zwanzig Jahre lang Prenzlauer Berger Geschichte geschrieben – oder korrekter gesagt: aufgeschrieben.
Denn Hartmut Seefeld war Redakteur von „Vor Ort“, einer Zeitschrift, die Monat für Monat von zehntausenden Bewohnern Prenzlauer Bergs – später auch des Großbezirks Pankow – gelesen wurde. Im Dezember erschien die letzte reguläre Ausgabe.
„Vor Ort“ ist nicht etwa der allgemeinen Krise der Printmedien zum Opfer gefallen. Vielmehr setzte die in Aussicht stehende Aufhebung der letzten Prenzlauer Berger Sanierungsgebiete dem Projekt ein Ende. Denn „Vor Ort“ war die „Sanierungszeitschrift“ des Bezirks.
Begonnen hatte alles 1992. Prenzlauer Berg war im Begriff, das „größte zusammenhängende Sanierungsgebiet Europas“ zu werden. Mattihas Klipp, damals Baustadtrat des noch eigenständigen Bezirkes, hatte die Idee, die Anwohner mit einer mit einer regelmäßig erscheinenden Publikation über die Planungen und den Fortgang der Stadtsanierung zu informieren. Die Mittel dafür wurden – wie so vieles Anfang der 1990er Jahre – über sogenannte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) der Bundesanstalt für Arbeit organisiert.
Albrecht Molle – der zweite Redakteur der Hefte – erzählte, wie er zu der Stelle gekommen war: „Auf dem Arbeitsamt sagte man mir, der Prenzlauer Berger Bezirksstadtrat suche Journalisten. Also bin ich ins Bezirksamt gefahren – und als ich das Büro von Mathhias Klipp wieder verließ, hatte ich einen unterschriebenen Arbeitsvertrag in der Tasche.“
Albrecht Molle war bis zur Abwicklung des DDR-Rundfunks dort für die Auslandsberichterstattung zuständig. Er hatte die Welt gesehen, mehrere Jahre als Korrespondent in Indien verbracht. Nun plötzlich als Lokaljournalist über Abriss, Altbausanierung und verworrene Eigentumsverhältnisse schreiben? Molle: „Ich war mir anfangs gar ncht so sicher, ob ich diese völlig neuen Themen überhaupt bewältigen könnte.“
Die Besorgnis war offensichtlich unbegründet, denn Matthias Klipp schwärmt noch heute von der Sachkompetenz des einstigen Neu-Lokalredakteurs.
Auch für Hartmut Seefeld war „Vor Ort“ Neuland. Bis zum Ende der DDR verdiente er seine Brötchen mit dem betexten von gezeichneten Bildgeschichten beim Verlag Junge Welt. Viele Verse der DDR-Comic-Mäuse Fix und Fax stammen zum Beispiel von ihm.
Nun also war er als Reporter und Redakteur in den Straßen von Prenzlauer Berg unterwegs: Recherchieren, Fotografieren, Gespräche und Interviews mit Bezirkspolitikern, Architekten, Investoren… .
Erstmal aber stand die Frage: Wie soll so einJournal eigentlich aussehen? Das einzige, was ihnen Matthias Klipp mit auf den Weg gab: Man möge doch bitteschön kein Amtsblatt“ zu produzieren.
Hartmut Seefeld: „Von Anfang an waren wir uns in der Redaktion einig darüber, keine politische Berichterstattung zu machen.“ Was wohl nur meinen kann: Nicht in die tages- und parteipolitischen Kontroversen einzugreifen.
Denn politisch war und ist der Berichtsgegenstand „Umbruch in Prenzlauer Berg“ allemal: Da geht es zwamgsläufig immer auch um Gesellschafts-, Wirtschafts- Wohnungs- oder oder Stadtentwicklungspolitik. Selbst dann, wenn es nicht mit dicken Lettern darauf hingewiesen wird.
Die scheinbare aktuell-politische Enthaltsamkeit bekam der Zeitschrift nicht schlecht. Ermöglichte sie doch eine größt-
mögliche „Barrierefreiheit“ beim Umgang mit Politikern aller Farben, mit Immobilieneignern, Investoren und Mieterinitiativen.
Schnell wurde das Magazin zu einer wichtigen Informations-
quelle für die von der Stadtteilsanierung betroffenen Bürger. In seiner Hoch-Zeit hatte „Vor Ort“ eine Auflage von bis zu

Gut vernetzt mit den Akteuren jeglicher politischer Couleur:
Albrecht Molle mit dem ehemaligen Baustadtrat Martin Federlein
24.500 Exemplaren, die entweder per Briefkasten-Wurf dierekt an die Anwohner verteilt wurden oder aber an öffentlichen Orten – wie zum Beispiel dem Bezirksamt – zum Mitnehmen bereit lagen.
Und der Einfluss von „Vor Ort“ blieb nicht auf die Anwohner beschränkt: Imer wieder waren Artikel der Zeitschrift Thema in der Bezirksverodnetenversammlung und deren Ausschüssen. Sogar Rechtsanwaltskanzleien, die sich mit Mietrecht befassten, abbonierten die Zeitschrift. Rund 4,5 Millionen Exemplare, schätzt Hartmut Seefeld, sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten wohl ausgeliefert worden.
Bis 1995 waren die „Vor Ort“-Macher zu dritt, nachdem die die dritte Stelle innehabende Redakteurin in den Vorruhestand ging, machten Albrecht Molle und Hartmut Seefeld zu zweit weiter. 2010 schied auch Albrecht Molle aus, der sich zu diesem Zeitpunkt längst im Pensionsalter befand.
Seit dem Jahr 1995 gab es auch ein neues Finanzierungsmodell: Nicht mehr das Arbeitsamt bezahlte Redakteure, Papier, Druck und Vertrieb; stattdessen wurde nun ein bestimmter Betrag aus den Sanierungsmitteln des Senats für die Information der Bürger bereitgestellt.
Mit der Aufhebung von immer mehr Sanierungsstatute wurden auch die Mittel im geringer, die für das Magazin zur Verfügung standen. Das Ende von „Vor Ort“ war absehbar. Zwei Sonderausgaben werden noch erscheinen – dann ist das Magazin endgültig Geschichte.
Abschied wurde aber jetzt schon gefeiert. In den dafür viel zu kleinen Räumen der Mieterberatung in der Prenzlauer Allee wurde für die beieden langszeitredakteure ein Empfang ausgerichtet.
Bezirksbürgermeister Matthias Köhne war gekommen, der „Vor-Ort“-Initiator und einstige Prenzlauer Berger Baustadtrat
Matthias Klipp ebenso wie sein Großpankower Nach-Nach-
folger im Amte Jens-Holger Kirchner; Vertreter der Gesellschaft für behutsame Stadterneuerung S.T.E.R.N., Bezirksverordnete… .
Viele Lobesreden wurden auf die Bedeutung der zwanzig-
jährigen journalistische Begeitung des Umbruchs in Prenzlauer Berg gehalten – leider fand sich bsher aber niemand, der sich darüber Gedanken gemacht hätte, wie dieser Schatz möglichst allen so einfach wie möglich zugänglich gemacht werden könnte.
Denn im Internet sind lediglich die Ausgaben ab Juli/August 2005 abrufbar – und das auch nur im unhandlichen PDF-Format.