Geheimkino

Die Tür zum Laden steht offen. Drinnen ein Teppich, ein Sofa, Tisch, Stühle, Regale – alles offenbar irgendwo zusammen-
gesucht. Der Besucher steigt über einen Werkzeugkasten und stolpert über einen Staubsauger. Ein wohliger Duft von kochendem Suppenfleisch durchzieht den Raum.

Über einen kurzen Flur gelangt er in eine geräumige Küche, in der sich ein Mann an einem mit schwarzem Velours überzo-
genen Brett zu schaffen macht. Mit Klebefilm versucht er, ein Poster darauf zu befestigen: Drei Strandkörbe am Meer, darüber tief hängende Wolken.
So richtig will das Blatt nicht haften, schließlich aber scheint es gelungen und das Werk wird auf des Fensterbrett drapiert.

Doch kaum losgelassen, fällt das Bild herab. Ein Fluch, dann gilt die Aufmerksamkeit erst einmal dem brodelnden Inhalt des Kochtopfes.
Im Ladenraum ist derweilen ein Vater mit seinem Sohn zugange, schließlich kommt der vielleicht elfjährige Junge mit einer Kehrschippe in die Küche. „Wo ist der Mülleimer?“ „Warum nehmt ihr nicht den Staubsauger?“, fragt der Mann verwundert. „Da steht doch ein Staubsauger.“ Das leuchtet dem Jungen ein. Aus dem Ladenraum hört man ihn seinen Vater fragen: „Warum nimmst du nicht den Staubsauger? Da steht doch ein Staubsauger.“
Unerledigtes schafft unerwünschte innere Unruhe – und so versucht der Mann erneut, die Strandkörbe mit Tesafilm auf

dem schwarz umhüllten Brett zu befestigen. Ohne sichtbaren Erfolg. Der Gast bedankt sich für das angebotene Bier und empfiehlt Reißnägel. Der Mann lässt nicht erkennen, ob der Hinweis in Erwägung gezogen werden könnte. Im Laden dudelt ein CD-Player.
„Ich muss noch mal nach Hause – Musik holen“, sagt der Mann plötzlich und beginnt einen schon vorbereiteten Teig zu kneten.
Pizzaboden? Kuchen gar?
„Brot“, sagt der Mann und plättet aus dem Klumpen einen Fladen.
Dann kommt eine der beiden Besitzerinnen der Räume. Mit ihrer Kollegin arbeitet sie im Laden nebenan (irgendwas mit

Medien), die hiesigen Räume wurden von ihnen als Büro genutzt, nun aber nicht mehr benötigt. Da kam der Mann gerade recht.
Sie klärt ihn über die Tücken von Herd und Backofen auf – und tatsächlich: Das Brot in der Röhre ist zweifarbig. Die obere Seite ist schwarz, die untere hingegen immer noch teiggelb. Der Mann kramt in den Küchenregalen, findet, was er suchte und wendet sich erneut den Strandkörben zu. Das Poster, nun mit Reißnägeln gefügig gemacht, wird wieder aufs Fensterbrett gestellt.
Die zweite Ladeneigentümerin erscheint mit zehnjähriger Tochter und erbittet ein Getränk fürs Kind. „Ich muss noch mal nach Hause – Musik holen“, wiederholt der Mann und bietet

Cola an. Mama lehnt ab: Das Koffein. Wein, Bier und Wodka enthalten keines, kommen aber auch nicht in Frage.
Nun wird es eng.
Dann aber fällt dem Mann ein, dass er noch Bionade vorrrätig hat – man befindet sich schließlich in Prenzlauer Berg. Die anderen Anwesenden erhalten Bier, dann wird auf gutes Gelingen angestoßen.
Der Mann blickt zur Uhr: Halb neun. Und noch keine Gäste da.
„Das war früher auch so: Zehn vor Neun war noch keiner zu sehen und fünf nach Neun war der Raum voll.“ Ganz sicher scheint er sich aber nicht zu sein.
Fünf vor neun kommen die ersten, dann herrscht plötzlich

Platzmangel. Auch in der Küche. Der Vater hat den Staubsauger längst beiseite gelagt und widmet sich nun dem Bier-, Wein-, und Eintopfausschank.
Irgendwann sind keine auberen Löffel mehr da. Also ran an die Spüle und abgewaschen.
Derweilen kommen immer neue Besucher. Der Mann scheint jeden Ankömmling persönlich zu kennen, jedenfalls ist die Begrüßung dementsprechend. Das ist nicht verwunderlich, denn fast alle hat er selbst eingeladen. Per e-mail. So, wie er das bis vor zwei Jahren getan hatte, wenn im Vereinsladen – irgendwo zwischen Schönhauser Allee und Greifswalder Straße – wieder eine Filmvorführung stattfinden sollte. Das „Geheime Kino“ hatte keine Plakate und keine Eintrittskarten –

man erhielt eine Einladung oder hatte den Tip von einem guten Freund.
Es ist halb Zehn, der Topf ist fast leer.
Der Mann geht über den Hausflur und öffnet die Tür zum Nachbarladen. Dort befindet sich ein Raum mit einer Leinwand. Die dreißig Sitzgelegenheiten sind im Nu belegt. Die Vorstellung kann beginnen.

Dann kommt er noch einmal kurz zurück in die Küche und strahlt über das ganze Gesicht: Es hat funktioniert.

 

 

 

 



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