Der Preis ist zu hoch

Beforter contra>Das Schauspiel, das sich in Sachen Wohnanlage Belforter Straße auf der vergangenen BVV-Tagung bot, war bemerkenswert. Nicht nur, weil die rot-grüne Mehrheit mit einer 180-Grad-Wende ihren eigenen Beschluss über Bord warf – auch dass eine Debatte über die folgenschwere Entscheidung verhindert wurde, erscheint einzigartig.
Die Prenzlberger Stimme hat sich daher entschlossen, den Vertretern der beiden „Oppositions“-Fraktionen, die bereits beim Beschluss der Erhaltungsverordnung in der BVV saßen, Raum für die Darstellung ihrer Positionen zu den Vorgängen um das Karree an der Belforter zu geben. Hier die Stellungnahme von
Wolfram Kempe von der Pankower Linksfraktion.
 

Im Zusammenhang mit dem Karree Belforter-Straßburger-Metzer Straße wird da und dort von einer komplizierten Situation gesprochen. Dabei ist die Sache ganz einfach. Auf den ersten Blick.

Der Eigentümer der Grundstücks behauptet, durch das Handeln des Bezirksamtes und der BVV sei ihm bisher ein Schaden von rund 12 Millionen Euro entstanden, von denen er am 10. Oktober 2012 bei einer Zivilkammer des Landgerichtes Berlin 5,3 Millionen mit einer Klage geltend machte.
Das Gericht wiederum wünschte eine Einigung der Parteien und verlieh seinem Wunsch Nachdruck, in dem es zu erkennen gab, durchaus einen Schadenersatzanspruch gegeben zu sehen.

Angesichts der Höhe der Forderung und der Finanzlage des Bezirkes gibt es gute Gründe, daß diese Situation dem Bezirksamt und Mitgliedern der BVV – die sich um 60.000 Euro Unterhaltskosten für einer Seniorenbegegnungsstätte schon mal wie die Kesselflicker streiten können – kalten Schweiß auf die Stirn treibt und sie deshalb, zähneknirschend oder nicht, in einen Vergleich einwilligten, in dem sie eine Erhaltungsverordnung wieder aufhoben.

 

Bezirksamt wirft seine gesamte Rechtsauffassung über Bord

Der Preis für diesen Vergleich ist hoch. Den höchsten haben die Menschen zu zahlen, die derzeit in diesem Karree leben. Die “eindeutigen” Schutzregeln für Bestandsmieter werden sich spätestens in fünf Jahren in Schall und Rauch auflösen. Behaupte ich, denn nicht nur mir als stellvertretendem Vorsitzenden des Stadtentwicklungsausschusses lag der Vergleich bis zur heutigen Abstimmung in der BVV nicht schriftlich vor.

Das Bezirksamt wirft seine gesamte, seit dem Mai 2010 in dieser Sache eingenommene Rechtsauffassung, insbesondere aber auch die Rechtsauffassung der BVV radikal über Bord.
Es läßt sich vom Investor eine abenteuerliche Baugenehmigung quasi diktieren. Die BVV wird gezwungen, eine von ihr erlassene Erhaltungsverordnung selbst wieder aufzuheben, und so vollständig sanierten, vor allem aber billigen Wohnraum dem asozialen Profitmaximierungsinteresse Einzelner preis zu geben. Gemeinde- und Gemeinschaftsinteressen werden einem Privatinteresse geopfert.

Das ist aber noch nicht alles.

Durch den Vergleich werden alle anderen in der Sache insbesondere beim Oberverwaltungsgericht anhängigen Verfahren gegenstandslos.
Eine gerichtliche Überprüfung des Verwaltungshandelns und der Rechtsauffassung von Bezirksamt und BVV in dieser Sache findet nicht mehr statt. Insofern kann jetzt jeder alles über das Verfahren behaupten; ein belastbares Testat, eine wenigstens juristische “Wahrheit” jenseits von Interpretationen, Mutmaßungen und Meinungen wird es nicht mehr geben.
 

Die Rolle der gewählten Gebietskörperschaften wird in Frage gestellt

So bleibt die Frage, wem am Ende die Stadt wirklich gehört – ihren Bewohnern oder irgendwelchen Investoren – unbeantwortet. Daran kann weder das Bezirksamt noch die BVV ein Interesse haben. Es nutzt nur zukünftigen, neuen, egoistischen Stadtzerstörern.

Denn auch die Rolle von gewählten Gebietskörperschaften wie der BVV ist durch den Vergleich in Frage gestellt. Darf sie in Zukunft noch absurde Planungen ablehnen – oder traut sie es sich noch? Traut sie sich zukünftig noch, sich aktiv in die Gestaltung von B-Plänen, deren Beschluss eines ihrer vornehmsten Rechte ist, einzumischen?

Die Mehrheit der BVV war im Mai 2011 der Meinung, die sogenannten Altneubauten im Karree sind ein wichtiges Zeugnis der Stadtgeschichte und als solches erhaltenswert. Darin wurde sie von einem Gutachten bestärkt. Traut sie sich solche eigenen Positionen noch zu, wenn sie mit Verwertungsinteressen an Grund Boden kollidieren? Ich bezweifle das.

 

Wacklige Begründungen

Auf den zweiten Blick schließlich sind die Gründe, die für den Vergleich sprechen, selbst äußert wackelig.

Die Zivilkammer des Landgerichtes zieht als Indiz ein Verwaltungsgerichtsurteil vom April 2011 heran, gegen das der Bezirk Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht eingelegt hat, und das dadurch nicht rechtskräftig ist.

Egal.

In der Klagebegründung vor der Zivilkammer finden sich Abschriften illegal angefertigter Tonbandmitschnitte einer Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses und werden so Gegenstand der Verhandlung.

Egal.

Im Laufe des Verwaltungsverfahrens wurden die Bezirksverordneten mit zwei Schreiben des Investors massiv unter Druck gesetzt. Das wird durch den Vergleich hingenommen.

Egal.

Der dem Investor tatsächlich entstandene Schaden würde nach gerichtlicher Feststellung eines grundsätzlichen Anspruchs erst in einem zweiten Verfahren ermittelt. Darum wird keiner sagen können, wie hoch der Schaden, der heute vom Bezirk “abgewendet” worden ist, wirklich gewesen wäre und was an der Forderung Investorenphantasie war.

Egal.

Ich spreche keiner Kollegin und keinem Kollegen Bezirksverordneten ab, in dieser Drucksituation nicht nach gründlicher Abwägung ihrem Gewissen gefolgt zu sein. Die passive Verweigerung einer Debatte durch die große zustimmende Mehrheit ist ein Indiz dafür, wie groß die Bauchschmerzen der Kolleginnen und Kollegen bei dieser Zustimmung wirklich waren.

Mir war der Preis zu hoch. Als ich vor vielen vielen Jahren noch einer der Sprecher des Prenzlauer Berger HausbesetzerInnenrates war, habe ich gelernt: Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Die große Mehrheit der Bezirkspolitik wollte nicht kämpfen.

 
Überschrift und Zwischenüberschriften: Prenzlberger Stimme

 

 

Weitere Artikel zum Thema:

 

„Geheimausschuss“ für Aufklärung und Transparenz

Belforter Karree: Abreißen für den Maximalgewinn

Belforter Karree: Bäume gefällt – Baubeginn ungewiss

Belforter Karree: Jetzt regiert die Kettensäge…

Belforter Karree: Nachbarn klagen gegen Bebauungsvertrag

Bezirksverordneter von Abstimmung ausgeschlossen

Heuchelei und durch Dogmen vernebelten Einschätzungen

Karree Belforter Straße in der BVV: Bloß keine Debatte!

Belforter Karree: Bezirk nimmt Erhaltungsverordnung zurück

Belforter Karree : „Econcept“ klagt gegen den Bezirk

Belforter Karree: Erhaltungsverordnung sicher

Belforter Karree: Schlacht der Gutachter

Gutachten zum Karree Belforter Straße veröffentlicht“ in Prenzlauer Berg

Bauensemble „einmalig“ in Prenzlauer Berg

Der Brief

Veränderungssperre für KolleBelle-Hinterland

Der Auftritt

Wolfgang Thierse fordert Schutz der Mieter am Wasserturm.

Allgemeine Verunsicherung

Platz für Paläste

 

 

 

 



No comments.

Kommentar schreiben

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmen Sie dem zu. Danke!

Datenschutzerklärung
Social Media Auto Publish Powered By : XYZScripts.com