Denkmalschutz: 90jährige kann Wohnung nicht verlassen

02Gern wäre Ingeborg Straube bei diesem Sommerwetter ein wenig vor die Tür gegangen, durch den Park am Kreuzpfuhl, ein wenig Sonne tanken. „Ich versuche, so weit es noch geht, mich zu bewegen“, sagt die Neunzigjährige.
Das aber ist wegen Erkrankungen an der Wirbelsäule und den Gelenken nur noch mit dem Rollator möglich. Treppensteigen geht, wenn überhaupt noch, nur unter großen Schmerzen und mit fremder Hilfe. Doch Ingeborg Straube wohnt in der ersten Etage.

Zwar gibt es in dem Haus in der Weißenseer Woelckpromenade, in dem Ingeborg Straube seit 1961 wohnt, einen Fahrstuhl, aber der war schon bei ihrem Einzug außer Betrieb. Also wollte sie sich einen Treppenlift zu ihrer Wohnungstür installieren lassen. Auf eigene Kosten. Doch der Eigentümer des Hauses verweigerte die Zustimmung. Die Annahme liegt nicht fern, dass der Hauseigentümer eine günstige Gelegenheit gekommen sah, Ingeborg Straube endlich loszuwerden.
 

Ein Rechtsanwalt aus Neu-Isenburg scheitert mit einer Räumungsklage

002Die Häuser in der Woelckpromenade sind ein archtitektoni-
sches Kleinod. Vor dem Ersten Weltkrieg durch den Weißen-
seer Gemeindebaurat Carl James Bühring entworfen, gelten die mit Jugendstilelementen versehenen Backsteinbauten als Meisterleistug des Architekten. Das Ensemble steht unter Denkmalschutz.

Im Jahr 2000 wurde die Immobilie von einem Rechtsanwalt aus Neu-Isenburg bei Frankfurt am Main erworben.
Er erklärte, das Gebäude sanieren und modernisieren zu wollen und drängte in den Jahren danach auf den Auszug der Mieter. Allerdings gab es nie eine formale Modernisierungs-
ankündigung.

Der Aufzug: Seit Jahrzehnten außer Betrieb

Der Aufzug: Seit Jahrzehnten außer Betrieb

Weil sich Ingeborg Straube weigerte, aus dem Haus, in dem die damals schon 85jährige ein rundes halbes Jahrhundert wohnte, auszuziehen, klagte der Neu-Isenburger Rechtsanwalt 2008 auf Räumung.

„Dabei bin ich gar nicht gegen eine Sanierung“, sagt Frau Straube. Sie hatte ihrem Vermieter den Vorschlag gemacht, zeitweise in die leerstehende Nachbarwohnung umzuziehen. Sie hätte peu à peu ihre Siebensachen hinübertragen können – für die Möbel wäre dann ein Umzugsdienst in Anspruch genommen worden.
Kein großer Aufwand.
„Wäre die Sanierung des Strangs auf meiner Seite abgeschlossen, hätte ich wieder zurückiehen können.“

Der Eigentümer ging darauf nicht ein.

Den Prozess verlor er. Ein Auszug, so das Gericht seinerzeit, ist Frau Straube nicht mehr zuzumuten.

Von Sanierungsbemühungen des Eigentümers ist weit und breit nichts zu sehen. Die leergezogenen Wohnungen rotten seit Jahren vor sich hin. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte der Neu-Isenburger Rechtsanwalt im Angesicht des eindeutigen Gerichtsurteils schriftlich dargelegt:

„(…) ich erkläre klar und deutlich, dass es solange keine Instandsetzung und Modernisierung des Hauses geben wird, wie die Klägerin die von ihr innegehaltene Wohnung auf der linken Seite des Hauses nicht geräumt hat…“

So ungefähr kann man sich ein kleines bockiges Kind vorstellen, dem man aus guten Gründen verboten hat, in die Ecke seines Kinderzimmers zu pinkeln: ‚Es ist doch meins – da mache ich was ich will!‘

Oder aber einen in Neu-Isenburg beheimateten Eigentümer eines Berliner Mietshauses, der offenbar auf die „biologische Lösung“ seines Ärgernisses setzt – und sie möglicherweise ein wenig zu beschleunigen beschleunigen sucht.
 

Auf Kosten der Gesundheit

Man muss nicht Medizin studiert haben, um zu wissen, dass sich mangelnde Mobilität und die damit oft voranschreitende Vereinsamung durch fehlende soziale Kontakte negativ auf die gesundheitliche Verfassung älterer Menschen auswirken – und damit auch auf ihre Lebenserwartung.

Die Treppe: Unüberwindliches Hindernus

Die Treppe: Unüberwindliches Hindernus

Ingeborg Straube ist Medizinerin und weiß darüber hinaus auch um die Wichtigkeit des Sonnenlichts für die Gesundheit.
„Mein Vitamin-D-Spiegel ist im Keller“, sagt Frau Straube. Vitamin D wird mit Hilfe des Sonnenlichts in der Haut gebildet. Es spielt eine wesentliche Rolle bei der Regulierung des Calcium-Spiegels im Blut und beim Knochenaufbau. Ein Vitamin-D-Mangel führt mittelfristig zu Osteomalazie, der sogenannten Knochenerweichung.

Licht, Luft, Sonne und Bewegung im Freien finden für Ingeborg Straube praktisch nicht mehr statt.

Nachdem sich der altersbedingte Gesundheitszustand von Ingeborg Straube so weit verschlechtert hatte, dass sie auf Grund ihrer Wirbelsäulen- und Gelenkleiden nur noch unter großen Schmerzen die Stufen zu ihrer Wohnung bewältigen konnte, erbat sie Anfang 2012 von ihrem Vermieter die Genehmigung für den Einbau eines Treppenlifts.

Der Vermieter lehnte ab.

Also beschritt Ingeborg Straube den Rechtsweg.

 

Des Eigentümers Begründung, warum Frau Straube keinen Anspruch auf Treppenlift hat

Die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Sie nehmen keine Rücksicht auf das möglicherweise hohe Alter von Beteiligten, deren Zeit begrenzter ist, als die der Jüngeren.

Im September 2012 – also nach einem dreiviertel Jahr – das Urteil: Die Klage wird abgewiesen. Jedoch nicht, weil Frau Straube keinen Anspruch auf die Einbauerlaubnis des Treppenlifts gehabt hätte – sondern weil die von ihr hinterlegte Kaution für einen möglichen Rückbau des Lifts nach Ansicht des Gerichts zu gering bemessen war.

Ingeborg Straube erhöhte daraufhin die Kaution und ging in Berufung. Es verging ein weiteres halbes Jahr bis zur Verhandlung vor dem Landgericht.

Dem Hauseigentümer, der ja im Hauptberuf Jurist ist, musste gewahr geworden sein, dass er von Rechts wegen nun auf verlorenem Posten stand. Also übermittelte er dem Gericht kurz vor dem Termin im März 2013 einen Schriftsatz, in dem er dem Gericht mit zwingender Logik darlegte, warum Ingeborg Straube dennoch der Lifteinbau versagt werden muss.

 
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Des weiteren führte der Eigentümer aus
 

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Mit anderen Worten: Weil die promovierte Gynäkologin in der DDR dazu beitrug, die medizinische Versorgung von Schwangeren, Gebärenden und Neugeborenen sicherzustellen, ist sie für den nicht funktionierenden Aufzug verantwortlich – und hat damit natürlich auch jedes Recht auf die Genehmigung für den Einbau eines Treppenlifts verwirkt.

Das Berliner Landgericht sah sich allerdings außerstande, der Neu-Isenburger Logik zu folgen und verurteilte den Eigentümer dazu, den Einbau des Treppenlifts zuzulassen.

 

Denkmalschutz, wo es nichts zu schützen gibt oder: Was gehen das Amt Gerichtsurteile an

Nun also, nach weit über einem Jahr schien für Ingeborg Straube der Weg nach draußen in greifbare Nähe gerückt zu sein. Juristisch war die Angelegenheit mit einem rechtskräftigen Urteil abgesichert und der Geräteanbieter stand Gewehr – beziehungsweise Lift – bei Fuß. Nun bedurfte es nur noch eines Genehmigungstempels der Pankower Denkmalschutzbehörde. Was sollte da noch passieren?

Und richtig – es passierte erstmal nichts.

Nachdem Ingeborg Straube den Antrag samt den Konstruktions- und Installationsunterlagen der Liftbaufirma zu der Pankower Behörde geschickt hatte, herrschte Stille. Über Wochen.

Denkmalschutzchefin Kerstin Lindstädt: Verzögern,verschleppe, verhndern

Denkmalschutzchefin Kerstin Lindstädt:
Verzögern,verschleppe, verhndern

Was Frau Straube nicht wusste: Längst hatte sich Behördenleiterin Kerstin Lindstädt mit dem Eigentümer besprochen. Der Rechtsanwalt aus Neu-Isenburg machte dabei der Pankower Denkmalschutzchefin eine Variante der „Problemlösung“ schmackhaft die schon beide Gerichts-
instanzen als für die Seniorin nicht zumutbar eingestuft hatten: Frau Straube solle doch ins Erdgeschoss ziehen.

Doch die Wohnung dort ist mit fünf Zimmern völlig überdimensioniert, verwohnt und seit Jahren leerstehend.
Aber die Pankower Denkmalschutzchefin kümmerte das nicht: Das Haus steht unter Denkmalschutz, da kann man nicht einfach einen Treppenlift installieren. Dass der Lift nur bis zur vollendeten Sanierung im Haus verbleiben soll, weil ja dann der Fahrstuhl wieder in Betrieb geht und das Denkmal nicht beeinträchtigt wird, focht die Behördenleiterin nicht an.

Anfang Juni ließ sich Kerstin Lindstädt dann endlich zu einem Ortstermin blicken. Im Schlepptau: Der Eigentümer aus Neu-Isenburg.
Ingeborg Straube: „Da wurde dann aber weniger darüber gesprochen, welche möglichen Hindernisse für den Lifteinbau im Hausflur bestehen könnten. Stattdessen wurde fast nur Erdgeschosswohnung geredet.“
Als sie Kerstin Lindstädt darauf aufmerksam machte, so Frau Straube weiter, dass der Eigentümer gerichtlich dazu verurteilt wurde, den Lift zuzulassen und sie nun von der Denkmalschützerin konkret wissen wolle, welche Gründe gegen den Einbau sprächen, habe Kerstin Lindstädt die Wohnung fluchtartig verlassen. „Ich konnte gerade noch die Zusage von ihr erhalten, das mich ihre Entscheidung innerhalb der nächsten zwei Wochen erreichen wird.“

Danach geschah erst einmal… – genau!

Bezirksbürgermeister Matthias Köhne:  "Der Lift wird gebaut!"

Bezirksbürgermeister Matthias Köhne:
„Der Lift wird gebaut!“

Als die Prenzlberger Stimme im Juli von der Geschichte erfuhr, bat sie Kerstin Lindstädt um eine Stellungnahme. Die Behördenchefin teilte mit, dass man die Angelegenheit „in der kommenden Woche“ in einer Arbeitsgruppe besprechen werde, gab aber zu erkennen, dass die Entscheidung wohl gegen den Treppenlift fallen werde.
Auf die Frage nach den sachlichen Gründen für eine Ablehnung mochte sie nicht antworten: Dazu bräuchte sie erst eine Auskunftsgenehmigung – und die könne nur der Bürgermeister erteilen.

Es waren nicht einmal eineinhalb Tage seit der Bitte um eine Sprecherlaubnis für seine Denkmalsschützerin vergangen, da meldete sich Bezirksbürgermeister Matthias Köhne per Telefon bei der Prenzlberger Stimme. Seine Botschaft war so kurz wie eindeutig: „Der Treppenlift wird gebaut.“

 

Danach geschah…

…erstmal gar nichts.

Doch kürzlich erhielt Ingeborg Straube Post von der Pankower Denkmalschutzbehörde. Darin wird sie aufgefordert, weitere technische Unterlagen für de Liftanbau einzureichen.

OLYMPUS DIGITAL CAMERADas Dumme daran: Alle Dokumentationen, technischen Zeichnungen, Berechnungsgrundlagen etc. liegen dem Amt bereits vor. Weitere Unterlagen gibt es nicht und werden auch sonst nirgends in Deutschland eingefordert.

Zwei Frühjahre konnte Ingeborg Straube ihre Wohnung nicht verlassen, dazu einen Herbst, eineinhalb Winter und eineinhalb Sommer.
Sie hat sich ein lebenslanges Bleiberecht in ihrer Wohnung erkämpft und über zwei Gerichtsinstanzen die Zustimmung des Hauseigentümers zum Lifteinbau erzwungen. Und sie hat die Genehmigungszusage des Bezirksbürgermeisters.

Was ihr fehlt, ist der Treppenlift.

Ingeborg Straube ist am Ende. Am Ende ihrer Geduld. Sie hat nun vor, den Lift ohne den Stempel der Pankower Behörde einbauen zu lassen.

 

 



5 Kommentare zu “Denkmalschutz: 90jährige kann Wohnung nicht verlassen”

  1. Name tut nichts zur Sache

    Aug. 13. 2013

    Ich wünsche Frau Lindstädt einen beschwerlichen Lebensabend.
    Btw., könnte nochmal jemand nachhaken, ob da nicht evtl. auch ein wenig Bakschisch vom Herrn Eigentümer an Frau Lindstädt geflossen ist.
    Neuerdings soll das ja in Pankow erlaubt sein: http://prenzlauerberg-nachrichten.de/politik/_/ein-prasent-fur-das-amt-171250.html

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    • Name tut nichts zur Sache

      Aug. 13. 2013

      Tschuldigung – ich meinte natürlich einen „beschaulichen“ Lebensabend…

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  2. Ade Prenzl'berg

    Aug. 13. 2013

    Ich finde das sehr traurig vom Bezirksamt und der Denkmalschutzbehörde, wenn nun schon der Bürgermeister sagt, dass er gebaut wird, ja welche Instanz soll es denn noch geben, welche dafür Sorgt? Hat der Bürgermeister etwa seine eigene Behörde nicht im Griff?
    Furchbar!

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  3. In solchem Härtefall ist (zeitweise mit Rückbauoption) Ersatzvornahme angemessen (Menschenwürde der Bewohner stört beim Baudenkmalschutz offenbar).

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  4. Horst

    Sep. 10. 2013

    Meine Damen und Herren,
    es kann doch nicht sein, dass jeder sein privates Recht einfordern kann.
    Ein wenig Vernunft sollte gegeben sein, besonders, dann, wenn einem das Alter plagt.
    Wenn mein Tag gekommen, setzte ich mich unter einen Baum und bete zum lieben Gott, er möge es nicht zulassen, dass jemand einen Notarzt ruft, und das schönste im Leben zu einer Plage werden zu lassen.
    lesen Sie bitte das Buch: „Verlorene Liebe“, dann werden auch Sie verstehen.

    Mit freundlichem Gruß

    P. Horst

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