Die ältere Dame hat einen ganzen Stapel kleiner Zettel mitgebracht, auf denen Bertolt Brechts “Pappel vom Karlsplatz” abgedruckt ist. Darüber steht in auch nicht eben großer Schrift: “Unsere Pappeln soll’n weg! Empört euch!”
Doch allzu viele sind nicht da, um sich zu empören: Der Spätnachmittag füllt zwar die Pappelallee mit von der Arbeit nach Hause eilenden Passanten – doch so richtig Zeit hat niemand.
Außer den beiden Herren von der Polizei mit ihren vom jahrzehntelangen Dienst zum Wohle der öffentlichen Ordnung gezeichneten Gesichtern.
Die naheliegende Annahme, dass sie vom Bezirksamt geordert wurden, um dem zu erwartenden Ansturm auf den Infostand Herr zu werden, an dem über den Zustand der Alleebäume unterrichtet und die daraus möglichen Konsequenzen für die Bäume erläutert werden sollen, weist Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner von sich. Er sei nicht weniger als der Fragesteller über die Präsenz der Herren in Blau erstaunt und hätte beim Eintreffen der Beamten schon befürchtet, sie würden ihn wegen unerlaubter Nutzung öffentlichen Straßenlandes belangen.
Am Info-Stand – bestehend aus einem kleinen Stehtisch sowie einem auf dem Pflaster ausgerollten Baum-Plan – sind die Anbieter der Informationen eindeutig in der Überzahl: Der Stadtrat, Mitarbeiter aus dem Tiefbau- und Landschaftsplanungsamt, je ein Bezirksverordneter der Piraten und der Grünen…
Die Dame mit den Brecht-Zetteln hatte kurz bei Baum-Gutachter Guntram Gehler verweilt. Nun steht sie wieder beim Stadtrat und redet auf ihn ein.
Doch Kirchner zeigt sich uneinsichtig – also lässt sie plötzlich ein kurzes, lautes Stoßgebet über die Straße schallen: “Ilja! Wo ist Ilja?! Ilja Richter, hilf!”
“Jaja, Show”, brubbelt, Kirchner, “der Showmaster… .”
Im Wahlkampfmodus
Der Schauspieler Ilja Richter hatte sich nämlich ein paar Tage zuvor bei einer Allee-Begehung zum Sprecher der Baumfreunde gemacht und Jens-Holger Kirchner den wunderschönen Satz entgegengeschleudert „Wenn Sie Venedig zu verwalten hätten, verschwänden alle Brücken!“
Doch diesmal ist weit und breit kein Ilja in Sicht. Auch die vorüberhuschenden Passanten nehmen kaum Notiz – weder von dem kleinen Info-Stand, noch von der Dame mit dem Pappel-Gedicht.
Wo Aufmerksamkeit fehlt, muss sie geschaffen werden. Also ergreift der Politiker die Initiative sowie einen Stapel jener Faltblätter, die das Bezirksamt in Sachen Pappeln und Allee drucken ließ.
Einen Flyer in der rechten Hand und “Informationen über die Bäume der Pappelallee” rufend, tritt er der nächsten entlangkommenden Fußgängerin entgegen, die, wohl aus irgendwelchen Gedanken gerissen, den so plötzlich vor ihr Stehenden erschrocken anblickt, um dann mit erhöhter Schrittfrequenz den Ort ihres Erschreckens zu fliehen.
Das wiederholt sich zwei, drei mal, dann endlich nimmt ihm – im Vorübergehen und ohne dem Blättchen wirklich Aufmerksamkeit zu schenken – ein Pärchen ein Exemplar des dünnen Druckwerks ab. Die Augen des Verteilers leuchten: “Jetzt bin ick wieda im Wahlkampfmodus.”
Das „K-Wort“ fällt
Viele Flyer wird er dabei nicht los, und so begibt er sich schon nach kurzer Zeit wieder an den kleinen Stehtisch. Doch dort wartet bereits die Dame mit dem vervielfältigen Gedicht.
“Als ich noch in Bonn wohnte”, erklärte sie nun und tippte dabei auf ihren Stapel Karlsplatz-Pappeln, “da wollte man einmal eine wunderschöne Kastanienallee abholzen. Aber dann hat man die Bäume an den Wurzeln behandelt und sie konnten erhalten bleiben.”
“Kastienallee” hätte sie lieber nicht sagen sollen. Der Stadtrat zuckt bei dem K-Wort unmerklich zusammen und seine Stimme wird um ein minimales Dukt lauter.
Offensive!
“Wissen Sie was? Ich schenke Ihnen die Pappeln. Sie können sie haben. Wir machen einen Vertrag und dann sind Sie für die Pappeln verantwortlich.”
Das Angebot kommt für die Dame so überraschend, dass sie erst ja sagt – um dann einzuschränken: „Aber nicht hier. Also nicht diese Pappeln, sondern die vor meinem Wohnhaus, eine Querstraße weiter.” – “Ja, bitte schön. Wir schließen eine Vereinbarung wie in der Oderberger Straße… .”
Die Dame winkt ab. “Ach, Oderberger Straße… – da könnte man auch einiges zu sagen…”
Kein Ilja Richter weit und breit
Die Dämmerung ist mittlerweile der Dunkelheit gewichen. Die beiden Blaumänner haben ihren Platz am Rinnstein verlassen und sich nun an der Hauswand postiert – so, als wollten sie die geschlossene Sushi-Bar bewachen.
Wer jetzt über den Bürgersteig schreitet, hat zuweilen Muße stehenzubleiben, um zu schauen und Antworten auf drängende Fragen zu erheischen.
Zum Beispiel: “Wer sind Sie?” –
“Ich bin der zuständige Bezirksstadtrat.”
Und, ja es werden neue Bäume gepflanzt, auch das Geld dafür ist vorhanden und die Planer hätten für den Umbau der Allee die Straßenränder am liebsten völlig baumlos – weil man so die Parkplätze besser anordnen könnte…
Die Reaktionen sind durchwachsen. Ablehnung und harsche Worte sind ebenso dabei, wie zumindest interessiertes Zuhören.
Nicht selten fällt ein Blick auf die als „Gelb“ markierten Bäume, die mit voller Krone am Straßenrand stehen – und doch auf der Abschuss… – pardon – Absägeliste stehen.
Denn – so sagt der Gutachter – sie hätten nur noch eine Lebenszeit von 15 Jahren. Das – so sagt der Stadtrat – lohne doch den ganzen Aufwand der Erhaltung eigentlich nicht.
Die Dame mit dem Brecht-Gedicht ist noch immer da. Missmutig lauscht sie den Erklärungen, die abwechselnd mal vom Stadtrat, mal von dessen Mitarbeitern auf interessierte Bürger niedergehen.
Ihre Kampfeslust scheint ein wenig erlahmt. Immer wieder gegen die zahlenmäßige Überlegenheit der Pappelfällwilligen anzukämpfen, kostet Kraft.
Und kein Ilja Richter weit und breit…
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Harry
Okt. 29. 2013
Warum sind die Schreiber aller bisherigen Artikel und Sendungen über die Pappelallee so uninformiert? In der Pappelallee stehen nur wenige Pappeln und diese wurden dort erstmals ca. 1985 gepflanzt und ausschließlich weil damals keine anderen Bäume zur Verfügung standen. Pappeln eignen sich für innerstädtische Straßen insbesondere wegen ihrer horizontalen Wurzelbildung nicht. Seit der Anlegung des Feldwegs um 1826 und der Benennung in Pappelallee um 1860 bis ca. 1985 standen hier nie Pappeln. Der Name entstand im Volksmund und wurde von der Stadt übernommen. Meine persönliche Vermutung ist, daß diese Straße im Volksmund ihren Namen von dem nahegelegenen Platz zur Einsamen Pappel (damals (seit 1825) auch Exerzierplatz genannt, heute Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark) erhalten hat. Die einsame Pappel (bzw. der Nachkömmling) steht übrigens heute immer noch neben (nicht an!) der Topsstraße und ist mit einer Informationsplatte versehen, die auf die Bedeutung dieses Baumes im Zusammenhang mit der Märzrevolution 1848 verweist.
Kathrin Berger via Facebook
Okt. 29. 2013
Harry schreibt weiter:
Kathrin Berger via Facebook
Okt. 29. 2013
“ … Meine persönliche Vermutung ist, daß diese Straße im Volksmund ihren Namen von dem nahegelegenen Platz zur Einsamen Pappel (damals (seit 1825) auch Exerzierplatz genannt, heute Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark) erhalten hat. Die einsame Pappel (bzw. der Nachkömmling) steht übrigens heute immer noch neben (nicht an!) der Topsstraße und ist mit einer Informationsplatte versehen, die auf die Bedeutung dieses Baumes im Zusammenhang mit der Märzrevolution 1848 verweist. ..“ Toller Kommi, wieder was gelernt :)!